Von Reinhard Boest
Seit Monaten haben die EU-Mitgliedstaaten darüber gestritten, ob und wie man mit exorbitant steigenden Energiepreisen, insbesondere für Gas, und ihren Auswirkungen auf Unternehmen und Privathaushalte umgehen soll. Kurz vor Weihnachten gab es jetzt doch eine Einigung. In der Diskussion standen sich im Wesentlichen zwei “Schulen” gegenüber: Befürworter eines Gaspreisdeckels, das heißt einer Obergrenze für den Handel mit Gas, gegen Vertreter einer Gaspreisbremse, die die gestiegenen Preise durch Hilfen für die Bezieher abmildern wollen. Zur ersten Gruppe gehört eine Mehrheit der Mitgliedstaaten, darunter Belgien, zur anderen vor allem Deutschland und die Niederlande.
In der Zwischenzeit verfolgte jeder Mitgliedstaat seine eigene Politik, oft ohne oder mit wenig Rücksicht auf die Nachbarn. So hat sich der belgische Premierminister Alexander De Croo mehr als einmal über Mitgliedstaaten beschwert, die mit ihren “tiefen Taschen” Gas zu beliebigen Preisen einkaufen und Haushalte und Unternehmen in einem Ausmaß entlasten, bei dem andere nicht mithalten können. Energieminsterin Tinne Van Der Straeten hat kürzlich in einem Interview im “SPIEGEL” deutlich gemacht, wer damit gemeint ist. Deutschland und die Niederlande haben sich gegen einen Deckel vor allem mit dem Argument gewehrt, dass dann Gaslieferungen nach Europa ausblieben und anderswo hingingen.
Da es seit vielen Jahren einen europäischen Binnenmarkt für Strom und Gas gibt, war klar, dass man eine gemeinsame Lösung finden musste. Aber schon die Kommission zeigte sich bei der Erarbeitung von Vorschlägen unsicher. Die bisherigen Marktmechanismen waren nicht ausgelegt auf einen Schock, wie er durch den russischen Angriffskrieg mit einem Wegfall des wichtigsten Lieferanten ausgelöst wurde. Es gibt für solche Situationen eben kein Drehbuch, mangels entsprechender Infrastrukturen auch kein schnelles Umschalten auf andere Lieferanten oder Energiequellen.
Über viele Maßnahmen hat man sich in den vergangenen Wochen und Monaten einigen können, wie etwa über den gemeinsamen Einkauf von Gas, die Möglichkeit der Abschöpfung von “Übergewinnen”, eine stärkere Diversifizierung der Energieversorgung oder die Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Wenn es aber um Eingriffe in den Preis ging, war die Blockade unübersehbar. Man hätte die Maßnahme mit Mehrheit beschließen können, ist aber davor angesichts der Sensibilität der Frage zurückgeschreckt, vielleicht auch weil der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sich hier so deutlich positioniert hat. Es bedurfte zweier – erfolgloser – Durchgänge bei den “Chefs”, bevor jetzt doch eine Entscheidung bei den Energieministern fiel.
Wenn man sich das Ergebnis anschaut, fragt man sich allerdings, ob das den Aufwand gelohnt hat. Ab 15. Februar 2023 soll der Großhandelspreis bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden, wenn dieser Preis an drei aufeinanderfolgenden Werktagen bei der virtuellen niederländischen Gashandelsbörse (TTF) übertroffen wird und zugleich 35 Euro oder mehr über dem Weltmarktpreis für Flüssiggas (LNG) liegt. Bezugsgröße ist der Preis für Monatskontrakte (“month ahead”). Dieser Preiskorrekturmechanismus gilt dann für mindestens 20 Tage, kann aber ausgesetzt werden, wenn etwa Versorgungsprobleme auftreten. Er wird automatisch deaktiviert, wenn der Preis an drei aufeinanderfolgenden Tagen unter 180 € liegt. Dieser Deckel liegt deutlich unter den Preisspitzen, die im letzten Sommer zu beobachten waren (weit über 300 Euro) aber auch über dem aktuellen Preisniveau (etwa 135 Euro). Auch die prognostizierten Preise für das kommende Jahr lassen nicht erwarten, dass der Mechanismus zum Zuge kommt, der vorerst auch nur für zwölf Monate gilt. So kann der Bundeskanzler zufrieden sein, der nur einen Deckel akzeptieren wollte, der sowieso nicht angewendet wird. Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck fiel es leichter, dem erreichten Kompromiss letztlich doch zuzustimmen.Vielleicht muss er im nächsten Sommer auch nicht, koste es was es wolle, Gas zur Füllung der Speicher einkaufen und damit auch für die Partner in der EU die Preise verderben. Das ist dann auch ein Erfolg für Belgien…
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