
Von Michael Stabenow
Belgien steckt, wie jedes Jahr im Juli, im „Tour de France“-Fieber. Hocken die Fans nicht vor dem Fernseher, dann streifen sie dieser Tage besonders gerne Radfahrhose und buntes Oberteil über und treten selbst fleißig in die Pedale. Was gibt es Schöneres als den Idolen nachzueifern? Auch der Schreiber dieser Zeilen hat sich dieser Tage mehrfach auf den Sattel geschwungen und dabei, wenn auch in gemächlichem Tempo, gelegentlich, aber durchaus neidisch an das Riesenspektakel südlich der Grenze gedacht.
Dass bei der diesjährigen Tour der belgische Sprinterkönig Jasper Philipsen, nach dem Auftaktsieg für einen Tag stolzer Träger des Gelben Trikots des Führenden im Gesamtklassement, schon auf der dritten Etappe wegen eines Sturzes aufgeben musste, tut der Begeisterung unter Flamen und Wallonen kaum Abbruch. Schon eher die Art und Weise, wie der augenscheinlich ausgelaugte zweifache Olympiasieger von 2024, Remco Evenepoel, schon am Fuße des legendären Tourmalet-Passes vom Rad ab- und in das Auto des Teamleiters einstieg.
Zugegeben, die Passhöhe in den Pyrenäen befindet sich 2115 Meter über dem Meeresspiegel – und damit fast 2000 Meter höher als jene 139 Meter, die wir jetzt als Höchstmarke in Wallonisch-Brabant erstrampelt haben. Der Vollständigkeit halber erwähnt sei, dass unser gemessener Tiefpunkt im Tal der Dijle bei 31 Metern über Normalnull erreicht war.
Natürlich können und wollen wir unser Geschick beim Pedalieren nicht an jenem eines Tadej Pogačar, eines Jonas Vingegaard oder auch des deutschen Shootingstars Florian Lipowitz messen. Aber eines steht fest: Aufgeben à la Evenepoel kommt für uns nicht in Frage. Aber wir geben gerne zu: Das Risiko eines Sturzes ist größer, wenn man im Pulk der Fahrer bei Tempo 60 und mehr nur Zentimeter voneinander entfernt strampelt. Und Tourmalet und Mont-Ventoux stellen natürlich auch „etwas“ höhere Ansprüche als Brabanter Anstiege.

Was hingegen den Tour-Fahrern, die meist über glatt asphaltierte Straßen flitzen, erspart bleibt, sind belgische Radwege. Rings um Brüssel entstehen derzeit zwar regelrechte Schnellstraßen für Räder – nicht zuletzt mit dem hehren Ziel, Berufspendler aus dem Auto zu locken. Aber wer sich in gemächlichem Tempo auf solcherlei moderne Pisten wagt, wird nicht nur seine Freude haben. Nicht nur wird er beständig von verbissen in die Pedale tretenden Möchtergern-Evenepoels und -Philipsens in den Schatten gestellt. Er macht auch Bekanntschaft mit in hoher Geschwindigkeit vorbeirauschende E-Bikes und vor allem jenen offiziell „nur“ bis zu Tempo 45 zugelassenen, rasenden „Speed Pedelecs“ – zu erkennen an weißroten Kennzeichen.
Also dann lieber klassische Radwege? Nicht unbedingt. Es gibt nämlich manchen Hobbyfahrer, der entweder unwissend ist oder sich für besonders schlau hält. Er ignoriert einfach das durch die blauen Schilder mit weißem Zweirad – gekennzeichnete Gebot zur Nutzung der Radwege. Irgendwie kann man durchaus verstehen, dass manche Radler einen glatten Fahrbahnbelag inmitten von Autos, Bussen und Lastwagen vorziehen. Und zudem scheinen derzeit mehr öffentliche Gelder in die „Schnellwege“ als in Instandhaltung und Neubau klassischer Radwege zu fließen.

Ein paar Beispiele gefällig? Im Brüsseler Stadtteil Watermael-Boitsfort erinnert der durch das blaue Schild mit dem weißen Rad gekennzeichnete Weg neben der Chaussée de La Hulpe eher an ein bröckelndes Mosaik. In Tervuren gleicht ein offenbar auch vom Schwerverkehr nicht verschonter Radweg eher einem Reibeisen. In Overijse sorgt das expandierende Wurzelwerk von Bäumen entlang der Nationalstraße 253 für im wahrsten Sinne des Wortes holprige „Erfahrungen“. Und auf dem Radweg an der von Waterloo nach Süden führenden Nationalstraße 5 ist die eine oder andere Betonplatte regelrecht aus den Fugen geraten.
Und noch etwas, mit dem die Profis in Frankreich normalerweise nie, Freizeitfahrer auf belgischen Radwegen hingegen regelmäßig konfrontiert werden: Gegenverkehr. Eigentlich sollte man ja über dort über jedes Zweirad erfreut sein. Leider scheinen aber nicht wenige Zeitgenossen vergessen zu haben, dass es sich dabei um „Einbahnwege“ handelt, auf denen man sich nicht entgegen der Fahrtrichtung fortbewegen darf. Da kann es an manchen Stellen nicht nur verdammt eng, sondern geradezu brenzlig werden.
Muss die Devise also lauten: Tour, ja bitte, aber Radwege, nein danke? Wir verfolgen das Rennen auf dem Sofa. und wenn wir selbst strampeln. dann auf dem Radweg und in der vorgegebenen Fahrtrichtung! So rollen wir gemächlich über Brabanter Wege und träumen hin und wieder ein wenig von den Pogačars, Vingegaards und Evenepoels dieser Welt.








Beiträge und Meinungen