Von Michael Stabenow
Mit königlichem Segen, aber bescheidenen Erfolgsaussichten haben sich Belgiens „Rote Teufel“ auf den Weg zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gemacht. Am Freitag steht zunächst in Kuwait ein Testspiel gegen Ägypten am. Am 23. November geht es in Katar zunächst gegen Kanada zur Sache. Vier Tage später folgt das Spiel gegen Marokko. Am 1. Dezember trifft die Mannschaft von Nationaltrainer Roberto Martinez schließlich auf Kroatien, den Vizeweltmeister von 2018 und den wohl schwierigsten der drei Gegner in der Gruppe F.
Beim Gruppenfoto mit König Philippe auf dem Trainingsgelände der Roten Teufel im südwestlich von Brüssel gelegenen Tubize setzten das Staatsoberhaupt und die meisten Nationalspieler zwar pflichtbewusst ein freundliches Lächeln auf. Und seine Majestät versuchte sich sogar spaßeshalber als Co-Trainer der Roten Teufel (https://twitter.com/i/status/1592563076208787457). Aber von Zuversicht war eigentlich nicht viel zu spüren – und das hat weniger mit den kritischen Fragen zu tun, welche die Ausrichtung der Weltmeisterschaft im Golfstaat auch in Belgien aufwirft.
Die Roten Teufel, die sich zum fünften Mal in Folge für eine WM-Endrunde qualifiziert haben, stehen in der Fifa-Weltrangliste zwar hinter Brasilien und vor Argentinien, Frankreich und England noch an zweiter Stelle. Die jüngsten Leistungen, nicht zuletzt die zwei Schlappen in der Nations League gegen den Erzrivalen Niederlande, haben indes erhebliche Zweifel an der derzeitigen Qualität der Mannschaft geweckt.
Martinez ist es noch nicht gelungen, eine ideale Mischung aus alten Kämpen und aufstrebenden jüngeren Spielern zu finden. Im Aufgebot für Katar stehen sechs hocherfahrene, aber eben nicht mehr ganz junge Spieler, die es auf über 100 Auftritte im Trikot der Roten Teufel gebracht haben: neben dem für den – seit Saisonbeginn schwächelnden – belgischen Rekordmeister RSC Anderlecht auflaufenden Abwehrmann Jan Vertonghen (bisher 141 Länderspiele) sind das Tobias Alderweireld (Royal Antwerp), Axel Witsel (Atletico Madrid), Dries Mertens (Galatasaray Istanbul), Eden Hazard (Real Madrid) sowie Romelu Lukako (Inter Mailand), mit 29 Jahren das „Nesthäkchen“ im Hunderterklub. Torwart Thibaut Courtois (Real Madrid) dürfte beim Auftaktspiel gegen Kanada in den exklusiven Kreis aufrücken. Und Mittelfeldmotor Kevin De Bruyne (Manchester City) nähert sich mit großen Schritte der Marke von 100 Länderspielen.
Viele klangvolle Namen, aber auch manche Fragezeichen. Mannschaftskapitän Eden Hazard, bei Real Madrid oft Bankdrücker, läuft seiner Form hinterher. In Tubize räumte er ein, dass Martinez eigentlich dem zuletzt erfolgreich für den englischen Erstligisten Brighton&Hove Albion spielenden Leandro Trossard den Vorzug geben müsste. „Über die vergangenen Monate betrachtet hat er es letztlich mehr verdient als ich“, sagte Hazard. Aus heutiger Sicht dürfte Hazard, einer aus der „Goldenen Generation“ der Roten Teufel, kaum über Kurzeinsätze hinauskommen.
Vincent Kompany und Thomas Vandermaelen, zwei Stützen der Mannschaft, die 2018 im Halbfinale in Sankt-Petersburg gegen den späteren Weltmeister Frankreich mit 0:1 ausgeschieden war, haben inzwischen die Fußballschuhe an den Nagel gehängt. Mittelstürmer Lukako, der in seinen bisherigen 102 Länderspielen schon 68 Tore erzielte, plagen nach der Rückkehr zu Inter Mailand Verletzungssorgen. Er dürfte, falls Belgien die Gruppenphase übersteht, erst im weiteren Verlauf des Turniers fit genug für eine tragende Rolle sein. Weit über 30 Jahre alt sind Verteidiger Alderweireld, Mittelfeldspieler Witsel und der einst als offensiver Wirbelwind gefürchtete Mertens.
So sehr Martinez auf die Erfahrung der Routiniers vertraut, so sehr muss er auch auf jüngere Spieler setzen. Schlüsselspieler der Roten Teufel dürfte, wenn er verletzungsfrei bleibt, Mittelfeldstar De Bruyne sein. Tormann Courtois war zuletzt in bestechender Form. Die Hoffnungen im hinteren Mannschaftsteil ruhen außer auf Thomas Meunier (Borussia Dortmund) sowie Timothy Castagne und den 24 Jahre alten Innenverteidiger Wout Faes (beide Leicester City) nicht zuletzt auf dem erst 19 Jahre alten Zeno Debast, der im Gegensatz zu seinem Verein RSC Anderlecht zuletzt überzeugt hat.
Im Mittelfeld dürfte neben De Bruyne Youri Tielemans (Leicester City) gesetzt sein. Ob der links auflaufende Yannick Carrasco (Atletico Madrid) an glorreichen Zeiten anknüpfen kann, ist fraglich. In der Hinterhand hat Martinez für diesen Mannschaftsteil noch Thorgan Hazard (Borussia Dortmund) sowie den Routinier Hans Vanaken vom FC Brügge, der neben Jungnationalspieler Debast als einziger im derzeitigen Aufgebot seine gesamte bisherige Karriere in Belgien absolviert hat.
Als Hoffnungsträger gilt Vanakens früherer Mannschaftskamerad Charles De Ketelaere. Er läuft jedoch seit seinem Wechsel aus Brügge zum AC Mailand seiner Bestform hinterher. Im Sturmzentrum wird es, falls Lukaku nicht spielt, Michi Batshuayi richten müssen. Der Wandervogel der Roten Teufel ist inzwischen bei Fenerbahçe Istanbul auf der neunten Station seiner Profikarriere angelangt.
Keine Sorgen über seine Zukunft muss sich, unabhängig vom Verlauf des Turniers, Nationaltrainer Martinez machen. Der belgische Fußballverband will in jedem Fall den Vertrag mit dem seit August 2016 amtierenden Coach verlängern. Aber ob der 49 Jahre alte Martinez nach einem enttäuschenden WM-Verlauf bei den Roten Teufeln auf Posten bleiben will? Aber noch ist es ja nicht so weit. Vielleicht erweist sich das Engagement des Königs als Ko-Trainer noch als Wunderwaffe?
© Foto: Brussels Airlines
Beiträge und Meinungen