Aktuell, Belgien

Belgische Zerreißprobe am flämischen Feiertag

Schwarz-Gelb statt Schwarz-Gelb-Rot: Die belgische Flagge auf der Brüsseler Kathedrale zeigt sich derzeit in den „flämischen Farben“

Von Michael Stabenow

Was für ein morgendlicher Schrecken bei der Lektüre der neuesten Ausgabe von „De Standaard“: Auf Seite 12 ein Foto der – stumpfen – Turmspitzen der Kathedrale St. Michael und St. Gudula im Herzen Brüssel Brüssels: Rechts, im Winde stolz flatternd wie eh und je, die grün-roten Farben der Gemeinde Brüssel, links, reichlich zerfleddert, die schwarz-gelb-rote Flagge. Vom rechten, roten Teil der Flagge, der die Verbindung zwischen Flandern (Schwarz-Gelb) und Wallonien (Rot-Gelb) zum Ausdruck bringt, ist nur noch ein schmaler Streifen übrig – der Großteil weht nur noch als Fetzen im Wind.

In Schwarz-Gelb, den Farben Flanderns, flattert nun die Fahne auf dem hohen Turm – und das am 11. Juli, dem „Feiertag der Flämischen Gemeinschaft“. „Ausgerechnet nun reißt die Belgische Flagge“, lautet die Überschrift des Artikels in „De Standaard“ – Grund genug, nach zuletzt unruhigen politischen Zeiten sich selbst ein Bild zu machen und vor Ort ein paar Fotos zu schießen. Tatsächlich, da oben, 69 Meter über dem Vorplatz der Kathedrale, bewegt sich, was von der belgischen Fahne übriggeblieben ist, im Wind. Mal schlägt sie nach links, dann rechts nach aus. Dann wieder erstarrt sie kurzzeitig, und gleich darauf flattert sie wieder wild. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der rote Fetzen ganz vom verbliebenen schwarz-gelben Teil der Flagge löst.

Hat das vielleicht einen symbolischen Wert? Eigentlich scheinen Belgien nach dem überraschend schnell, nur einen Monat nach der Parlamentswahl erteilten Auftrag an Bart De Wever, den Antwerpener Bürgermeister und Chef der Neu-Flämischen Allianz (N-VA), nun doch etwas stabilere Zeit bevorzustehen.

Aber in Belgien weiß man ja bekanntlich nie. De Wever ist jetzt zwar „Formateur“ – aber die Verhandlungen über die geplante „Arizona“-Koalition mit den flämischen Sozialisten und Christdemokraten sowie den französischsprachigen Liberalen und der sich in der politischen Mitte verortenden Partei „Les Engagés“ stecken noch in den Kinderschuhen.

Genug Zeit also, sich über die belgischen „Arizona“-Perspektiven und die Zukunft des Königreichs der Flamen, Wallonen, Brüsseler und Deutschsprachigen im Osten des Landes den Kopf zu zerbrechen. Vordringlich ist jedoch die Frage zu klären, wieso, warum gerade jetzt, zumindest hoch oben auf der Kathedrale, die belgische Bande fast ganz durchtrennt werden konnten. Eine Frage, die sich von selbst beantwortet, wenn man an die meteorologischen Turbulenzen der vergangenen Tage in Belgien denkt?

Was nun? Für die Beantwortung dieser nicht weniger wichtigen Frage hat dankenswerter der Kollege Simon Andries in „De Standaard“ gesorgt. So hat er herausgefunden, dass es zumindest der Wettergott nicht immer gut meint mit den auf den Türmen von St. Michael und St.Gudula flatternden Flaggen. Die jetzt beschädigte belgische Fahne sei erst im vergangenen Jahr dort angebracht worden. Am 21. Juli, dem belgischen Nationalfeiertag, werde es hoch oben auf dem linken Turm wieder dreifarbig zugehen. Und noch eine Erkenntnis zum Schicksal der Fahne konnte Andries einem namentlich nicht genannten kirchlichen Gesprächspartner entlocken: „Die Fahne hat schon viel durchgemacht – genau wie Belgien eigentlich.“

 

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