Von Reinhard Boest
Ende März hat der Verwaltungsrat der Belgischen Staatsbahn (SNCB/NMBS) den neuen dreijährigen Verkehrsplan gebilligt. Er bezieht sich auf den Zeitraum Dezember 2023 bis Dezember 2026. Seither tourt der föderale Verkehrsminister Georges Gilkinet (Ecolo) zusammen mit Vertretern der Bahn und des Infrastrukturbetreibers Infrabel durch das Land, um den Plan nach und nach in allen Provinzen vorzustellen. Der Plan, den die Regierung noch genehmigen muss, beschreibt die Leistungen, die die Bahn ihren (potentiellen) Kunden anbieten will. Er schließt an die entsprechenden Pläne für 2017/20 und 2020/23 an.
Angebot wird ausgeweitet – unter Bedingungen
Mit fast 90 Millionen Zugkilometern soll das Angebot gegenüber dem laufenden Zeitraum um rund 7,5 Prozent steigen, deutlich mehr als in der Vergangenheit. Ziel ist es, bis 2032 die Zahl der Zugreisenden um 30 Prozent zu steigern, sowohl für Fahrten zur Arbeit und zur Schule als auch für den Freizeitverkehr. Bis Ende 2026 soll schrittweise die Zahl der Züge erhöht werden, so dass dann zusätzliche 2.000 Züge pro Woche verkehren, davon 720 am Wochenende.
Allerdings weist die Bahn gleich darauf hin, dass die Umsetzung dieser Pläne an Bedingungen geknüpft ist, deren Realisierung nach den bisherigen Erfahrungen durchaus schwierig werden könnte. Denn in den Zeitraum fallen Wahlen auf föderaler und regionaler Ebene, die zu einer Verschiebung der politischen Prioritäten führen können. Bisher gehört eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene zu den wichtigsten Zielen der Regierung, nicht zuletzt mit Blick auf den Klimawandel.
Zu den Voraussetzungen für einen Erfolg des Plans gehört zunächst der weitere Ausbau der Infrastruktur, insbesondere der Strecken rund um Brüssel für den S-Bahnverkehr (RER – eine unendliche Geschichte seit über 25 Jahren). Eine weitere Bedingung ist die rechtzeitige Lieferung bestellter neuer Fahrzeuge durch Alstom. Sschließlich braucht die Bahn für mehr Züge auch zusätzliches Personal; allein für das laufende Jahr sucht sie 500 Lokomotivführer und Zugbegleiter.
Neue Züge, mehr Verbindungen, auch spätabends
Welche Verbesserungen möchte die Bahn anbieten, um in Zukunft für mehr Fahrgäste attraktiver zu werden? Vor allem eine Modernisierung der Züge und eine Ausweitung des Angebots.
Mit der schrittweisen Erneuerung des Fahrzeugparks verbinden sich 10.000 zusätzliche Sitzplätze, 40 Prozent mehr Platz für die Mitnahme von Fahrrädern sowie Klimatisierung in 80 Prozent der Züge (heute 65 Prozent). Ende 2026 sollen alle Züge mit dem europäischen Sicherungssystem ETCS ausgerüstet sein. Mit der Ausmusterung alter Lokomotiven und Waggons sollen die Zuverlässigkeit und damit auch die Pünktlichkeit steigen – damit ist es bei vielen europäischen Bahnen derzeit nicht gut bestellt.
280 Bahnhöfe, und damit mehr als die Hälfte, sollen von einem erweiterten Zugangebot profitieren. Der Schwerpunkt liegt auf den Vorortverbindungen in das Umland der großen Städte, also Brüssel, Antwerpen und Lüttich, sowie den Verbindungen zwischen den großen Städten am Wochenende. Etwa fünfzig Vorortzüge (S-Bahn) sollen von Antwerpen und Brüssel am Freitag und Samstag abends länger verkehren, dreißig sogar bis ein Uhr in der Nacht nach Nivelles, Ottignies, Braine-le-Comte, Löwen, Mechelen oder Aalst. Damit soll es möglich sein, etwa nach einem Restaurant- oder Theaterbesuch noch mit dem Zug nach Hause zu kommen. Am Wochenende sollen IC-Züge auf den Linien Brüssel – Charleroi, Brüssel – Mons, Brüssel – Löwen – Lüttich, Kortrijk – Brugge sowie Antwerpen – Löwen alle 30 Minuten verkehren statt wie bisher stündlich. Auf den Strecken an die Küste ist das schon heute die Regel. Auch die bisher übliche Ausdünnung der Fahrpläne in den Schulferien soll entfallen.
82 Bahnhöfe in Belgien verfügen derzeit über eine direkte Zugverbindung zum Flughafen Brüssel-Zaventem, aber nur wenige zum anderen großen Verkehrsflughafen in Charleroi-Gosselies. Künftig soll dieser mit Busverbindungen von/zu den Bahnhöfen Fleurus und Luttre besser erreichbar sein. Allerdings war etwa die angekündigte direkte IC-Verbindung von Löwen über Fleurus nach Charleroi schon im Verkehrsplan 2020-23 vorgesehen – und existiert bis heute nicht.
Bessere Koordinierung mit anderen Verkehrsmitteln
Bis 2026 sollen die Umsteigemöglichkeiten zwischen den Zügen der SNCB um 12 Prozent erhöht werden. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit mit den Anbietern De Lijn (Flandern), TEC (Wallonie) und STIB/MIBV (Brüssel) mit dem Ziel verbessert werden, mehr intermodale Knotenpunkte einzurichten. Gerade in Brüssel zeigt sich aber, dass eine sinnvolle Nutzung des – schon jetzt vorhandenen – vielfältigen Angebots verschiedener Verkehrsträger unter dem Fehlen eines wirklichen Verkehrsverbunds leidet. Ein 49 Euro-Ticket wie in Deutschland wäre hier ein echter Gewinn.
In die Renovierung der Bahnhöfe sollen bis 2032 1,8 Milliarden Euro fließen, um Intermodalität, Zugänglichkeit und Komfort zu verbessern. Dabei sollen 50.000 zusätzliche Stellplätze für Fahrräder (derzeit gibt es 114.000) und 5.000 weitere P+R-Plätze für Autos (derzeit 75.000) entstehen und doppelt so viele Bahnhöfe für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein wie heute (derzeit sind es 88 von rund 550).
Auch ein grenzüberschreitendes Projekt ist im Programm: eine Zugverbindung zwischen Aachen, Lüttich und Maastricht. Zwischen Aachen und Maastricht verkehrt der Zug schon seit 2019; auch zwischen Lüttich und Maastricht verkehren regelmäßig direkte Regionalzüge. Zwischen Aachen und Lüttich kann man dagegen nur mit dem Thalys oder dem deutschen ICE ohne Umsteigen fahren. Die seit langem geforderte Ausdehnung der Verbindung Aachen – Maastricht auf Lüttich scheiterte bisher wegen der technischen Anforderungen der SNCB an die eingesetzten Triebwagen. Im Dezember 2023 soll es nun soweit sein, dass die Dreiecksverbindung zwischen allen drei Städten Wirklichkeit wird.
Es bleibt abzuwarten, wie es mit dem ehrgeizigen Vorhaben in der Realität vorangeht. Was etwa die Vollendung des RER-Netzes rings um Brüssel angeht, war kürzlich in “Le Soir” zu lesen, dass der Ausbau der Strecke Richtung Nivelles/Charleroi sich bis Dezember 2033 hinziehen werde. Der vor den Toren Brüssels gelegenen Gemeinde Linkebeek ist es bisher gelungen, die Verbreiterung der Trasse für die erforderlichen weiteren Gleise zu verhindern. Wenn es vor knapp 200 Jahren schon dieselbe Einstellung und vor allem die heute geltenden Verfahren gegeben hätte: wer weiß, ob in Belgien (und auch anderswo) überhaupt eine Eisenbahn gebaut worden wäre…
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