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Belgien verlängert Laufzeit von zwei Atomreaktoren und beschleunigt Umstieg auf Erneuerbare Energien

Von Rainer Lütkehus.

In Belgien soll es doch auch nach 2025 mit Kernenergie weitergehen. Ohne sie wäre die Stromversorgungssicherheit im Königreich nicht zu gewährleisten. Das ist durch den Krieg in der Ukraine noch einmal deutlich ins Bewusstsein gerückt. Eigentlich war seit 2003 gesetzlich festgelegt, bis Herbst 2025 schrittweise, aber endgültig aus der Atomkraft auszusteigen. Nun sollen die zwei jüngsten der insgesamt sieben Atommeiler im Land, Doel 4 bei Antwerpen und Tihange 3 unweit von Lüttich, die beide 1985 in Betrieb gegangen sind, bis Ende 2035 am Netz bleiben. „Wir entscheiden uns für Sicherheit in unsicheren Zeiten“, sagte Premierminister Alexander De Croo nach den Regierungsverhandlungen am 18. März.

Kurskorrektur in der belgischen Energiepolitik

Die grüne Energieministerin in der Sieben-Parteien-Regierungskoalition, Tinne Van der Straeten, musste ihren Plan aufgeben, bis 2025 alle Atommeiler abzuschalten und durch subventionierte Gaskraftwerke zu ersetzen. Der Krieg in der Ukraine hatte die Gasabhängigkeit als Problem ganz oben auf die politische Tagesordnung gesetzt, so dass sich auch die Grünen dem jetzt vereinbarten Kompromiss nicht verschließen konnten, der neben der Laufzeitverlängerung auch einen Schub bei den Erneuerbaren Energien vorsieht.

Dafür sollen 1,1 Mrd. Euro an staatlichen Mitteln zur Verfügung gestellt werden. Damit soll etwa der Ausbau der Offshore-Windenergie beschleunigt werden. Belgien gehört  laut Angaben des internationalen Windenergieverbands GWEC schon zu den größten Playern weltweit bei Offshore-Wind.  Mit seinen acht Wind-Offshore-Parks vor der belgischen Nordseeküste nimmt es, gemessen an der weltweit installierten Kapazität, mit einem Anteil 6 Prozent den fünften Rang nach Großbritannien (29 Prozent), China (28) , Deutschland (22) und den Niederlanden (7 Prozent)  ein.

Eine Milliarde Euro für die Beschleunigung des Ausbaus von erneuerbaren Energien

Laut dem Plan der belgischen Regierung sollen Belgiens Offshore-Windparks 2030 dreimal mehr Strom produzieren als heute. Anstatt auf 4.400 Megawatt, wie ursprünglich geplant, soll die Kapazität  auf 5.800 Megawatt erhöht werden. Das entspricht etwa der Kapazität der sieben Atommeiler in Belgien. „Wir machen unsere Nordsee zu einem nachhaltigen Kraftwerk“, hatte die belgische Energieministerin Van der Straeten bei der Vorstellung des Plans im Oktober gesagt.

Möglich wird der ehrgeizigere Plan durch leistungsstärkere und 300 m hohe Windkrafträder. Die sollen auf einer noch verfügbaren Zone, benannt nach der belgischen Prinzessin und Thronfolgerin  Elisabeth, auf einer noch zu bauenden fünf Hektar großen Beton-Energie-Insel installiert werden. Die dafür erforderlichen Konzessionen will die belgische Regierung ab Mitte 2023 versteigern. Von der künstlichen Insel soll es nicht nur eine Verbindung zum belgischen Festland, sondern auch Verbindungen zu Nachbarländern geben. Belgien ist bisher das einzige Land mit Windkraft in der Nordsee, das noch keine Energieinsel hat. Um die zusätzliche Windenenergie ins Landesinnere Belgiens bringen zu können, soll  der belgische Übertragungsnetzbetreiber Elia ab Ende 2023 dort zusätzliche Kabel verlegen.

Außerdem will die belgische Regierung die 1,1 Mrd. Euro dafür verwenden, damit Belgien eine europäische Drehscheibe für importierten, aus Sonnen- und Windstrom generierten Wasserstoff wird (Belgieninfo berichtete). Sie erwägt sogar, im Falle eines Stromüberangebots die nun zwei weiterlaufenden Reaktoren für die Wasserstoffproduktion im Inland einzusetzen. Damit soll die Produktion von erneuerbaren Strom nicht von Atomstrom aus dem Markt verdrängt werden. Auch soll im Inland der Ausbau von Solardachanlagen sowie die Installation von Wärmepumpen mit einer Mehrwertsteuerreduzierung von 21 auf 6 Prozent stimuliert werden, zunächst für die Jahre 2022 und 2023.

Regierung verhandelt mit Engie

Von der Regierung bekam Van der Straeten das Mandat, mit dem französischen AKW-Betreiber Engie über die Laufzeitverlängerung zu verhandeln. Der hatte eine Laufzeitverlängerung schon im Sommer 2021 ausgeschlossen und dies später bekräftigt. Dafür sei es zu spät, so Engie-Electrabel-Chef Thierry Saegeman. Bis 2025 sei es nicht mehr möglich, die Umbauarbeiten der zwei Reaktoren abzuschließen, damit sie im Winter 2025 wieder in Betrieb genommen werden könnten.  Zudem seien die für die Verlängerung erforderlichen Folgenabschätzungen, öffentlichen Anhörungen und Kernbrennstoffbestellungen zeitaufwendig. Die belgische Regierung will dem Energiekonzern dafür nun bis zum Winter 2026/2027 Zeit einräumen.

Grünes Licht gab es bereits von der belgischen Atomaufsichtsbehörde Agence Fédérale de Contrôle Nucléaire (AFCN). Die  hatte  in einem Gutachten bestätigt, dass eine Laufzeitverlängerung für die zwei infrage kommenden Atommeiler sicherheitstechnisch machbar sei. Sie müssten dafür allerdings auf den aktuellsten Stand gebracht werden.

So muss die belgische Regierung den Energiekonzern Engie nur noch finanziell überzeugen. Zusätzlich zu der gewährten Frist wird Engie Preisgarantien fordern. Das wird wohl in Form von Differenzkontrakten geschehen. Bei solchen Verträgen gleicht der Staat die Differenz aus, wenn die Strompreise an den Strombörsen unter einen bestimmten Schwellenwert fallen. Die Regierung veranschlagt die Kosten dafür auf eine Milliarde Euro.

Regierung muss EU-Kommission konsultieren

Allerdings könnten der Laufzeitverlängerung der beiden Atommeiler noch rechtliche Bedenken seitens der EU-Kommission im Wege stehen. Um die Grundlastkapazität aller sieben Atommeiler in Höhe von insgesamt 5.800 Megawatt ersetzen zu können, hatte die belgische Regierung einen Vergütungsmechanismus für die Vorhaltung von Stromerzeugungskapazitäten (CRM) während 15 Jahren geschaffen. Der wurde von der EU-Kommission genehmigt, weil diese ihre Bedingung, den Atomausstieg, erfüllt sah.

Im Oktober hatte der belgische Übertragungsnetzbetreiber Elia solche Kapazitäten im Umfang von 4.500 Megawatt vor allem an Gaswerksbetreibern versteigert, und zwar mit einer durchschnittlichen Vergütung von 32.000 Euro pro Megawatt und Jahr. Auch zwei noch zu bauende Gaskraftwerke von Engie sind darunter. Die belgische Regierung möchte den Mechanismus beibehalten, und auch die zwei neuen Gaskraftwerke nicht davon ausschließen, obwohl die Verstromung von Erdgas auf absehbare Zeit sehr teuer bleiben wird.

Regierung rechnet mit Verständnis der EU-Kommission

Da die EU-Kommission den belgischen Vergütungsmechanismus unter der Bedingung eines vollständigen Atomausstiegs genehmigt hatte, wird die belgische Regierung erneut mit ihr sprechen müssen, es sei denn sie überarbeitet ihn vollständig. Sie erwartet jedoch nicht, dass ihn die EU-Kommission angesichts des Kriegs in der Ukraine verbieten werde. Denn die EU-Behörde hatte am 8. März eine harte Strategie  („RepowerEU“) aufgelegt. Darin empfiehlt sie, bis zum Äußersten zu gehen, um die EU bis 2030 völlig unabhängig von russischem Erdgas zu machen.

Die Einzelheiten der am 18. März beschlossenen Maßnahmen finden sich hier: https://www.premier.be/fr/prolongation-de-la-duree-de-vie-des-centrales-doel-4-et-tihange-3

Offshore-Windpark Thornton Bank vor der Küste Belgiens
(c) Foto: Jan Oelker / Repower , 2008

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