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Belgiens Premierminister Bart De Wever steht nach seinem Erfolg im Ringen um die Ukrainehilfe beim EU-Gipfeltreffen mehr denn je im Rampenlicht
Von Michael Stabenow
Erfreulicher hätte das Jahr 2025 für Bart De Wever wohl kaum ausklingen können. Im Februar hat der flämische Nationalist, dessen Neu-Flämische Allianz (N-VA) nach wie vor in Artikel 1 ihres Programms die „unabhängige Republik Flandern“ propagiert, das Amt des Premierministers…aller Belgier übernommen. Seither ging es mit der von ihm geführten Arizona-Koalition ziemlich auf und ab. Nun ist er wieder obenauf.
De Wevers hartnäckige Weigerung, die beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear gelagerten russischen Milliardenguthaben zur Unterstützung der Ukraine zu nutzen, machten ihn zuletzt in den Augen vieler EU-Partner zum europäischen Buhmann. Es schien, als sei ihm das flämische oder auch belgische Hemd näher als der europäische Rock.
Dann kamen die frühen Morgenstunden des Freitags. De Wever, der am Sonntag 55 Jahre alt wird, konnte ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk entgegennehmen. Seine nicht zuletzt von der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni geteilten Warnungen vor den rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen eines Rückgriffs auf die russischen Guthaben brachte schließlich auch Bundeskanzler Friedrich Merz, der sich vehement für den die Nutzung der Euroclear-Milliarden eingesetzt hatte, zu vorgerückter Stunde beim EU-Gipfeltreffen zum Einlenken.
Die russischen Euroclear-Guthaben bleiben weiter eingefroren und sollen gegebenenfalls genutzt werden, wenn es eines Tages um die Beteiligung an den Reparaturkosten in der Ukraine gehen sollte. Soweit die Theorie. In der Praxis wird aber derzeit nicht damit gerechnet, dass es dazu kommen wird. Daher die jetzt gefundene Kompromisslösung: Die Ukraine soll 2026 und 2027 in den Genuss von europäischen Darlehen in Höhe von 90 Milliarden Euro kommen. Die Gelder sollen durch die EU zu günstigen Zinsen am Kapitalmarkt aufgenommen und durch den Gemeinschaftshaushalt abgesichert werden.
De Wever wäre nicht De Wever, wenn er sich in der Stunde der persönlichen Genugtuung offen auf die eigene Brust klopfen würde. Auch während der weitgehend auf Englisch bestrittenen nächtlichen Pressekonferenz tat er dies nicht. Nein, nicht Belgien, sondern Europa und die Ukraine seien die Gewinner der Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs. „Es gab niemals eine Debatte, ob wir der Ukraine helfen. Die einzige Frage war: wie“, sagte der in elegantem dunkelgrauem Nadelstreifenanzug mit Weste vor die Mikrofone getretene Premierminister.
Dass die Tatsache, dass es nun rechtliche Sicherheit gebe, dass Chaos vermieden worden und dass Europa geeint bleiben, sein Verdienst sei, sagte De Wever nicht. Aber der selbstbewusste Aufritte des Belgiers, der das politische Gewicht kleiner und mittelgroßer Mitgliedstaaten im EU-Klub hervorhob, lässt vermuten, dass er es durchaus so denkt. Während in deutschen, aber auch den Medien anderer Mitgliedstaaten die Rolle des nachdrücklich für den Rückgriff auf die Euroclear-Milliarden werbenden deutschen Bundeskanzlers kritisch beleuchtet wurde, stand in Belgien am Freitag, unabhängig von der Weltanschauung, Lob für De Wevers Haltung, aber auch sein Verhandlungsgeschick im Mittelpunkt.
Die meist regierungskritische flämische Zeitung „De Morgen“ bezeichnete den nicht zuletzt von Merz und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen befürworteten Rückgriff auf die Euroclear-Milliarden als „ruchlosen Vorschlag“ mit erheblichen rechtlichen, finanziellen und politischen Risiken für Belgien, aber auch für die anderen europäischen Länder. Es sei gut, dass dieser „gefährliche Plan“ bis auf weiteres gestrichen sei. „Das ist ein politischer Triumph für De Wever, aber es wird sich auch als Triumph für die Europäische Union erweisen“, befand De Morgen-Leitartikler Bart Eeckhout.
Jenseits der Sprachgrenze war die ebenfalls oft regierungskritische Zeitung „Le Soir“ voll des Lobes für den Premierminister. In einem „Hut ab, Bart De Wever!“ überschriebenen Beitrag der Chefkommentatorin Béatrice Delvaux hieß es: „Dies ist eine wirkliche Meisterleistung und ein ungewöhnliches Kunststück, dass Bart De Wever und mit ihm Belgien in diesem Dossier der ´russischen Guthaben‘ vollbracht haben.“ Der belgische Regierungschef habe sich „als Staatsmann ungewöhnlichen Ausmaßes“ erwiesen.
Dies gelte, so fuhr Delvaux fort, für De Wever unter drei unterschiedlichen Blickwinkeln: „Er hat bei den Wahlen die als Sieger gehandelte extreme Rechte geschlagen. Er hat Belgien auf der europäischen Bühne das Gewicht zurückgegeben, das es lange nicht mehr gehabt hat. Und er hat es Europa erlaubt, die Reihen (zu 24) zu schließen und eine Handlungsfähigkeit an den Tag zu legen, die ihm eklatant fehlten“, schrieb die Kommentatorin von „Le Soir“. Und dies sei „umso unglaublicher“, als die N-VA ein ambivalentes Verhältnis zum rechtsradikalen Vlaams Belang an den Tag gelegt, die Auflösung Belgiens befürworte und europäische Anleihen abgelehnt habe.
Die der Arizona-Koalition eher gewogene flämische Zeitung „De Standaard“, hob hervor, dass es De Wever in einer „kuriosen Entente“ mit Italien und einer „osteuropäischen Koalition von Unwilligen“ gelungen sei, Euroclear zu verschonen und die Schuldenaufnahme durch die EU durchzusetzen. „De Wever wird sein bestes Deutsch hervorkramen müssen, um die Sympathien von Kanzler Friedrich Merz und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurückzugewinnen, aber die Deutschen werden das wohl überleben“, äußerte sich De Standaard-Kommentator Hans Cottyn.
Der Kommentator fügte hinzu: „Weder Schadenfreude noch Triumphalismus sind angemessen. De Wever ist zurecht vorsichtig, sich die Federn an den Hut zu stecken.“ Aus seiner bevorzugten „Underdog-Position heraus“ habe der belgische Premier die nördlicheren EU-Länder davon überzeugt, der gemeinsamen Schuldenaufnahme zuzustimmen – „etwas, woran sie zuvor wohl niemals hätten denken können.“
Ein nuanciertes Bild von De Wever zeichnete der öffentliche flämische Rundfunksender VRT. „Die belgische Presse und politische Gegner scheinen ihn wohl heilig zu sprechen“, zitiert der Sender den Genter Politikwissenschaftler Nicolas Bouteca. Es sei bemerkenswert, dass alle Parteien vom linken (PVDA/PTB) bis zum rechten Rand (Vlaams Belang) einer Meinung mit dem Regierungschef seien. „De Wever ist auf dem Weg, sich den Kanzlerbonus zu holen“, erklärte Bouteca unter Anspielung auf ein in Deutschland nicht immer auftretendes Phänomen.
Dass der vom Vlaams Belang geschätzte ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán De Wever jetzt in Brüssel als einen „Helden“ pries, bezeichnete Bouteca als „Gottesgeschenk für De Wever“, der mit dem Vlaams Belang regelmäßig über Kreuz liegt. Dennoch scheine sich der Regierungschef als „Chamäleon“ zu entpuppen.
So verwies Bouteca darauf, dass De Wever Regierungschef geworden sei, ohne beim N-VA-Kernanliegen einer weiteren Staatsreform etwas vorweisen zu können. In ihrem Wahlprogramm habe sich die Partei zudem gegen europäische Steuern oder Schulden ausgesprochen. Der Genter Europawissenschaftler Hendrik Vos pflichtete seinem Kollegen Bouteca bei. „Schon ironisch, denn die N-VA hat sich immer gegen europäische Anleihen oder, noch mehr, europäische Schulden gewandt, während nun just dies geschehen ist“, erläuterte Vos im Sender VRT.
Dass De Wever bereit ist, unkonventionelle Wege zu beschreiten, zeigte sich vor wenigen Wochen. Ende November schien das Schicksal der von ihm geführten Arizona-Koalition am seidenen Faden zu hängen. Dann schaffte es der Premierminister, die fünf Regierungsparteien auf einen Kompromiss zur Haushaltspolitik einzuschwören – auch wenn darin Maßnahmen enthalten sind, die sich in keinem ihrer Parteiprogramme wiederfanden (Ein heißer Herbst in Belgien – Belgieninfo).







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