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Entsetzen und Empörung in Belgien über abgerissene Jesuskind-Puppe auf Brüsseler Grand Place

Ein Akt von Vandalismus sorgt für Krach um die künstlerische Gestaltung der traditionellen Weihnachts-Krippe auf dem Brüsseler Grand Place

Von Thomas A. Friedrich

Ausgerechnet in der Nacht zum ersten Advent hat sich eine regelrechte Freveltat auf dem festlich geschmückten Grand Place im Herzen Brüssels ereignet.

Am frühen Sonntagmorgen entdeckten städtische Mitarbeiter, dass der Kopf der Jesuskind-Puppe aus Stoff abgerissen und aus der Krippen-Installation neben dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum entwendet worden war.

Der Vorfall erhitzt seither die Gemüter – nicht nur in den sozialen Medien. Das verstörende Ereignis wirft einen Schatten auf die vorweihnachtliche Stimmung in der belgischen Hauptstadt. Viele gläubige Menschen sehen wenige Wochen vor der Heiligen Nacht ihre religiösen Gefühle verletzt.  „Tempus ante natale Domini“ – so wird die Adventszeit liturgisch als die „Ankunft des Herrn“ umschrieben. Der Begriff Advent kommt aus dem lateinischen „adventus“ und bedeutet Ankunft.

 Zorn entlädt sich in sozialen Medien

Nicht nur auf Facebook, Instagram und Tik-Tok haben die Ereignisse vom vergangenen Sonntag die schon vorher kontrovers geführte Diskussion über die auf dem Grand Place ausgestellten Krippenfiguren weiter angeheizt. Denn die in Textilkunst ausgeführten Figuren der Heiligen Familie, Josef, Maria und das Jesu-Kind, waren gesichtslos dargestellt – das Jesu-Kind als Stoffpuppe in der drapierten Krippe ohne Augen, Nase und Mund.

In einer Zeit, in der die Weihnachtszeit international zunehmend unter “Happy Holidays” oder – in Belgien – “Fêtes de fin d´année” firmieren, gibt es unter gläubigen Christen durchaus die Befürchtung, dass die gesichtslosen Figuren in der Brüsseler Krippe als eine Entfernung von traditionellen Werten verstanden werden könnten. Dagegen hält jedoch die für die Installation der Krippe und die Gesamt-Konzeption des Weihnachtsmarkts „Plaisirs d´Hiver“ verantwortliche städtische Organisation „Brussels Major Events (BME)“. So sieht BME-Direktorin Delphine Romanus die von einer katholischen Künstlerin gestalteten Textil-Kreationen als einen „Ausdruck künstlerischer Freiheit“.

Hirnlos – Kopflos

Der Vorfall in der Nacht zum ersten Adventssonntag lässt sich kaum als „dummer Jungen-Streich“ abtun. Denn der Jesuskind-Puppe wurde mit Vorsatz der Kopf abgerissen, und nur der Torso befand sich – unversehrt von Josef und der heiligen Mutter Maria umrahmt – noch in der Krippen-Installation. „Unglaublich, ein unerhörter Skandal, ein anti-christlicher Akt” sowie „Blasphemie“, lauteten die eher moderaten Kommentare im Netz.

 Katholische Künstlerin erhielt 65.000 Euro für umstrittenen Krippenaufbau

 Die mit 65.000 Euro von der Stadt Brüssel finanzierte Darstellung der Ankunft Jesus auf dem Grand Place geißeln viele Kritiker als Bruch mit christlichen Traditionen. Nicht zum ersten Mal haben sich respektlose Täter am vorweihnachtlichen Krippen-Aufbau auf dem weltberühmten Platz und UNESCO-Welt-Kulturerbe vor der einzigartigen Kulisse jahrhundertealter Zunfthäuser vergriffen.

Bereits 2014 raubten politische Aktivisten aus Prostest gegen die damalige Regierung unter Premierminister Charles Michel das Jesu-Kind aus der Krippe. Vandalismus in der Adventszeit auf der Grand-Place ereignete sich ebenso 2015 und 2017. Im Jahr 2016 stahlen Tierschützer, die dies wohl als einen Akt der Befreiung verstanden, ein lebendiges Schaf aus dem Krippen-Stall.

Der Raub der Jesuskind-Puppe in diesem Jahr scheint eine neue Dimension darzustellen. So gibt es durchaus Mutmaßungen, dass diese Tat einen religiös-weltanschaulichen Hintergrund haben könnte.

Zwei Stimmen aus der belgischen Presse

In den belgischen Medien ist das jüngste Geschehen rund um die Krippe und die Entwendung des Kopfs der Jesus-Puppe auf ein unterschiedliches Echo gestoßen.

Die flämische Zeitung “Het Laatste Nieuws” griff die Kontroverse wie folgt auf: „Statt der üblichen Krippe gibt es in der Hauptstadt dieses Jahr eine moderne Version, in der zum Beispiel die traditionellen Figuren durch Puppen mit nicht erkennbaren Gesichtern aus Stoff ersetzt worden sind“. Nein, die Brüsseler Krippe breche so keineswegs mit christlichen Traditionen, meint die Zeitung.

Josef, Maria und das Jesuskind seien immer noch da, und sie stünden auch immer noch in einem Stall. Als künstlerisch gelungen ordnet die liberale Zeitung indessen die Darstellung nicht ein: „Nichtgläubige, Christen und Muslime sind sich einig. Und wenn es nur in der Ablehnung dieser kalten modernen Krippe ist”, frotzelte “Het Laatste Nieuws”. 

 Über Geschmack lässt sich natürlich streiten“, gab “Het Nieuwsblad” zu bedenken. Aber dass die Krippe ein Angriff sei auf christlich-westliche Traditionen oder einen wirren Auswuchs von `Woke` darstelle, sei „einfach nur Unsinn“. Die Künstlerin, die die Ausschreibung gewonnen habe, sei eine stolze und praktizierende Katholikin, meldet die flämische, in der politischen Mitte verortete Zeitung. In der Jury seien überdies auch Vertreter der Katholischen Kirche vertreten gewesen.

 Also alles nur ein Sturm im Wasserglas? 

Wohl kaum, denn die in der guten Brüsseler Stube aufgebaute Krippe sowie der in der Altstadt bis hinüber bis zur Place Sainte Catherine reichende Weihnachtsmarkt ziehen immerhin mehr als vier Millionen Besucher aus aller Welt in den Wochen vor Weihnachten in die belgische Metropole. Und vielleicht sorgen die wütenden Ausbrüche von Kritikerin und Befürwortern in den sozialen Netzwerken in diesem Jahr sogar für einen neuen Besucherrekord.

 Zurück zum belgischen Schauplatz

Und was bedeutet der Wirbel um die Krippe und den Raub der Krippe auf dem Grand Place für das gereizte politische Klima in Brüssel? Es kann kaum verwundern, dass in der belgischen Hauptstadt – seit bald 550 Tagen, eine Rekordmarke, ohne Regierung – auch politische Süppchen mit dem Krippen-Streit gekocht werden. So befand der Kommentator von “Het Nieuwsblad”: „Worum geht es bei dem ganzen Aufruhr also eigentlich? Er ist schlicht und ergreifend das Ergebnis eines von der radikalen Rechten befeuerten Kulturkampfs. Ein Kulturkampf, in dem auch MR-Chef Georges-Louis Bouchez kräftig Öl ins Feuer gegossen hat. Derselbe Bouchez, der sich als Messias inszeniert, der Brüssel retten wird. Dafür ist ihm jedes Mittel recht, auch Kontroversen um Krippen.“  

Jesu-Kind-Puppe 2.0” ist schon in der Mache

Dagegen hüllte sich der sozialistische Bürgermeister der Gemeinde Brüssel, Philippe Close, zur Causa in Schweigen. Und es sieht sogar ganz danach aus, als werde bald eine besinnliche Stimmung in der EU-Hauptstadt und auf dem Grand Place wieder einkehren. So kündigte Event-Managerin Delphine Romanus schon vor dem zweiten Adventssonntag einen neutralen Ersatz –  gleichsam eine Jesu-Kind-Puppe 2.0  – an. Es gebe genug Stoff, mit dem die beauftragte Künstlerin sich rasch ans Werk machen könne. Es dürfte sich also lohnen, beim nächsten Bummel in der City genauer in die Krippe zu schauen und sich ein eigenes Bild zu machen.

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