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Jazz aus Belgien – Jelle van Giel und Milan Verbist


Von Ferdinand Dupuis-Panther

Die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, Jazz genannt, fristet ja zumeist ein Nischendasein, gilt als verkopft, hat es schwer sich gegen Pop- und Rockmusik, Techno oder gar klassischer Musik einen Platz zu sichern. Doch es lohnt sich, in zwei der jüngsten Veröffentlichungen hineinzuhören. Mit „All I Hear“ stellt der Anwerpener Schlagzeuger Jelle Van Giel seine Close Distance Band vor. Der Pianist Milan Verbist hingegen hat mit seinem Trio neben weniger bekannten Jazzstandards fünf eigene Kompositionen eingespielt.

Vorhang auf für die Close Distance Band

Die Instrumentierung mit Rhodes und E-Gitarre sowie die gelegentliche Beimischung von subtilen Klangbildern lassen das vorliegende Album als Jazz Rock 2.0, wenn nicht gar 3.0, erscheinen. Dabei gibt es Passagen wie das Bass-Solo von Yannick Peeters in „In Between The Sea And The Houses On The Hill“, das sehr lyrisch ausgerichtet ist. Konzertantes geht eine Liaison mit Rockigem ein, lauschen wir dem Eingangsstück “The secret of Bluebell“. Da meint man gar in den Gitarrenlinien eine Mischung von Pink Floyd und Deep Purple durchscheinen zu sehen. Rockiges wird insbesondere dank der Pianopassagen von Konzertantem abgelöst. Man hat  bisweilen die Vorstellung, einem musikalischen Malstrom beizuwohnen und dann wiederum eher in einem Salon kammermusikalischen Jazz zu hören. Auffallend ist das ausgewiesenem lyrischen Tastenspiel von Ewout Pierreux nebst den tiefen Bassklängen in der Einführung des bereits oben erwähnten Stücks „In Between The Sea And The Houses On The Hill“. Es gleich einer musikalischen Untermalung eines Films mit ausgedehnten Landschaftsbildern von rollenden grünen Hügeln oder einer flachen Polderlandschaft.

Photo (c)  Trui Amerlinck.

Nach dem „kleinen Träumer“ (Little Dreamer) mit einem Ausflug in die Welt von Chopin, so hat es den Eindruck, folgt eine „Ode“ an den unbesungenen Helden (Unsung Hero). Nehmen uns die Musiker mit dem „Heldenepos“ nicht auch mit in die Welt von Songs, die in den 70er Jahren im Umfeld von Dylan, Guthrie oder Baez entstanden sind? Zugleich scheint aber das Element von Rockmusik diese Vorstellung zu konterkarieren. Eine reine Ballade hören wir jedenfalls nicht. Das ist vor allem Roeland Celis geschuldet, der für uns Jeff Beck und andere reloaded, oder? Wie auch in anderen Stück gibt es genug Raum zur solistischen Entfaltung, so auch für den Pianisten, der uns eine Tastenkaskade präsentiert. Romantische Klavierpassagen erleben wir zu Beginn von „Black Sunlight“, ein Stück, das nach und nach dramatischer ausgeformt wird und recht überraschend endet. Nachfolgend steht „Within This World“ auf dem Programm. Beim Hören erleben wir Sphärisches und zugleich einen Gitarristen, der in der Welt der Jazzgitarre von Barny Kessel bis Attila Zoller zuhause ist, oder? Fazit: Ein sehr gelungenes Debüt der neuen Band des Antwerpener Drummers Jelle Van Giel, der auf dem Album sehr sensibel agiert.

Nicht allein Time Change – Milan Verbist Trio

Getragen und mit „nordischer Schwere“ – man denke an Komponisten wie Grieg und Sibelius – eröffnet das Trio um den Pianisten Milan Verbist das aktuelle Album. Lauscht man den melodischen Linien und den Harmonien, könnte man meinen, es werde eine winterliche Nacht in Skandinavien musikalisch skizzziert, als werde der nordische Winter lebendig, in dem manchenorts die Sonne nur selten oder gar nicht scheint. „Time Change“ lautet der Titel des Stücks. Wahrlich der Charakter des Stucks wandelt sich von der „Froststarre“ und der „winterlichen Ruhe“ und dem Eisgang zu den ersten Frühlingstrahlen der Sonne. Im Fokus steht dabei der Pianist, derweil seine Mitmusiker, Toon Rumen (double bass) und Jens Meijer (drums) eher als „Randfiguren“ erscheinen. Nach und nach nehmen sich aber auch diese „Randfiguren“ ihren Platz, treten mit Bassklang und distinkter Rhythmik in den Vordergrund. Schließlich erlebt man den Bassisten in einem ohrschmeichlerischem Solo, verbunden mit wenigen Trommelwirbeln im Hintergrund und kristallinem Klavierklang. Der Winter scheint vorbei, das Eis gebrochen, das erste Grün ist zu spüren. So könnte man interpretieren, was zu hören ist.

PHOTO eddy@eddywestveer.com

Dem polnischen Trompeter Tomasz Stanko verdanken wir das Stück „Bosonossa“, das vom Bassisten eröffnet wird. Mitreißend ist das, was wir hören. Da gibt es „Saitensprünge“ zu erleben wie auch die „tiefen Abgründe des Instruments”, ehe dann der Drummer des Trios zu erleben ist. Schließlich ist es am Pianisten, für aufgehellte Harmonien und ein gewisses Pling-Pling-Pling auf den Tasten zu sorgen. Im Gegensatz zum Eröffnungsstück ist eine starke Verquickung der drei Musiker auszumachen. Sie knüpfen ein dichtes Klanggewebe, zu dem jeder auf seine Weise beiträgt. Zudem hat der Bassist auch in diesem Stück Freiraum, um seine zupfenden Finger über die Saiten zu setzen, durchaus mit Tempo. „No, I Haven’t“ ist aus der Feder des Pianisten genauso wie das Eröffnungsstück oder „Brigitte’s Waltz“. Monk oder nicht? – das stellt sich beim Hören von „No, I Haven’t“ die Frage. Es scheint jedenfalls so, als lehne sich das Stück durchaus an den „Meister des Bop“ an. Tastensprünge und kein perlendes Tastenspiel ist das, was charakteristisch ist, und das in allen Lagen. Rhythmisch unterfüttert wird dieses temporeiche Stück durch das Spiel des Drummers und Bassisten. Übrigens, auch ein gewisser Swing wohnt dem Song inne. Kommen wir dann zu „Brigitte’s Waltz“: Beinahe etwas Pophaftes nimmt man wahr. Oder besser gesagt etwas von instrumentalem Singer/Songwriter. Dahingleitend ist der Klang, so als würde eine Gondelfahrt in ein Klangbild verwandelt werden. Sind da nicht auch hier und da Blues-Anlehnungen eingestreut worden, vor allem bei dem solistischen Auftritt von Toon Rumen?

Auch der Meister der Barockmusik und der Fuge Johann Sebastian Bach wird auf dem Album mit der Interpretation der „Sarabande“ gewürdigt. Ja, Klassik umströmt den Hörer. Die Stimmung, die von der Musik ausgeht, kann beinahe als sakral umschrieben werden. Zu hören ist Milan Verbist über weite Strecken als Solist. Und wenn dann im zweiten Teil des barocken Tanzes – denn das ist eine Sarabande – auch die beiden Mitmusiker agieren, dann dezent und im Hintergrund.

Mit „Djeezes“ und „The Silence Between“ präsentiert sich der Pianist erneut als facettenreicher Komponist. Zum Abschluss interpretiert das Trio „Flutter Step“, geschrieben vom Jazzbassisten Gary Peacock. Ja, Schritte und Sprünge sind im musikalischen Vortrag auszumachen. Es ist ein Hier und Dort und ein Hin und Her auszumachen. Das ist im Kern Milan Verbist und dessen akzentuiertem Spiel zu verdanken. Und auch der Bassist nimmt sich der Sprunghaftigkeit an, Schritt für Schritt. Fazit zum Album: ein streckenweise besinnlicher, konzertanter Hörgenuss!

© ferdinand dupuis-panther

Jelle Van Giel’s Close Distance Band – All I Hear, W:E:R:F: Records

Milan Verbist Trio – TIME CHANGE, Origin Records

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