Von Michael Stabenow
Es ist dieses Mal wohl die letzte Frist, die König Philippe Bart De Wever zur Regierungsbildung in Belgien gesetzt hat. Bis zum 31. Januar sollen die seit Monaten in einem ständigen Auf und Ab verlaufenden Verhandlungen zur Bildung einer sogenannten Arizona-Koalition erfolgreich abgeschlossen werden. Es dürfte allerdings in den kommenden Wochen in Brüssel weiter auf Biegen und Brechen gehen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Anstrengungen, die dem Land in den kommenden Jahren bei der Sanierung des Haushalts zugemutet werden sollen – oder müssen.
Auf gut 23 Milliarden Euro wird die Summe beziffert, mit der Belgiens Staatshaushalt in den kommenden vier Jahren durch Einsparungen, aber auch Mehreinnahmen entlastet werden soll. Wie ein Damoklesschwert schwebt über den Verhandlungen von De Wevers Neu-Flämischer Allianz (N-VA) mit den flämischen Christlichen Demokraten (CD&V) und Sozialisten (Vooruit) sowie den französischsprachigen Liberalen (MR) und der sich in der politischen Mitte verortenden Partei „Les Engagés“ das von der Europäischen Kommission in die Wege geleitete Verfahren wegen Verstoßes gegen die stabilitätspolitischen EU-Auflagen.
Die belgische Zentralbank hatte im Dezember die für das laufende Jahr erwartete öffentliche Neuverschuldung auf 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beziffert – deutlich oberhalb der EU-Obergrenze von drei Prozent. Der Schuldenstand dürfte sogar auf 106,6 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen und sich damit noch weiter von der EU-Orientierungsmarke von 60 Prozent des BIP entfernen.
Die Hoffnung von De Wever, im vergangenen Sommer mit der Regierungsbildung beauftragt, beruhen jetzt offenbar darauf, dass die von den EU-Stabilitätshütern gesetzte Frist – und die bei einer Missachtung drohenden einschneidenden Sanktionen – die Unterhändlern aller fünf Arizona-Koalitionspartner in spe zu einem Kompromiss bewegen wird. Selbst MR-Parteichef Georges-Louis Bouchez, der ständig unter Hinweis auf das gute Wahlergebnis seiner Partei im vergangenen Juni auf seinen Positionen zu Entlastungen in der Steuerpolitik beharrt hatte, klingt inzwischen etwas versöhnlicher.
Dabei hatte Bouchez zuletzt offenbar weiter politisches Porzellan zerschlagen. So berichteten belgische Medien übereinstimmend darüber, dass der MR-Parteichef dem amtierenden Finanzminister Vincent Van Peteghem kurz vor Weihnachten ins Gesicht gesagt habe, er werde dafür sorgen, dass der CD&V-Politiker nicht länger Minister bleiben werde.
Beim Neujahrsempfang seiner Partei bekräftige Bouchez die Forderung, dass die Vorsitzenden aller fünf an der Regierungsbildung beteiligten Regierung dem künftigen Kabinett angehören sollten. Dies widerspräche, da Bouchez dies nicht mit der Aussicht auf eigenen Rücktritt als Parteichef verband, der im Regelfall in Belgien weiter geltenden Praxis einer Trennung von Ministeramt und Parteivorsitz. Kein Wunder, dass der Vorstoß von Bouchez nicht auf Begeisterung stieß.
Sollte zum Beispiel der CD&V-Parteichef Sammy Mahdi in die Regierung wechseln, hätte dies, da die flämischen Christdemokraten auch künftig nur zwei Ministerposten besetzen dürften, für die Partei knifflige Folgen. Dann müsste entweder die aktuelle Innenministerin Annelies Verlinden oder der – zumindest in den eigenen Reihen – ebenfalls populäre Van Peteghem weichen.
Auch in den Reihen der flämischen Sozialisten, die in der Arizona-Koalition der einzige links von der politischen Mitte angesiedelten Partner wären, gibt es weiter Unmut – nicht nur gegen Bouchez, sondern wegen des geplanten Bündnisses überhaupt. Der frühere Innenminister Louis Tobback mokierte sich im Gespräch mit der Zeitung “De Standaard” darüber, dass die Koalitionspartner in spe “am Tisch mit einem halb hysterischen Kerl sitzen, der ständig ruft, dass er die Wahlen in Wallonien gewonnen hat.“
Für die Zurückhaltung der Sozialisten dürfte aber auch die Überzeugung mitspielen, dass sie möglicherweise bei den kommenden Wahlen einen hohen Preis für die Teilnahme an einer eher rechtslastigen Regierung zu zahlen haben werden. De Wever, der sich zu Jahresbeginn abermals als Bürgermeister seiner Heimatstadt Antwerpen vereidigen ließ, ist sich seiner Sache als Regierungsbildner weiter nicht sicher. So beziffert er zuletzt die Chancen für einen Erfolg auf 50 zu 50. Besonders schwierig erweisen sich die Verhandlungen zur Steuerpolitik. Als knifflig gelten auch die Themen Arbeitsmarktreform und Renten.
De Wever hatte zuletzt wegen seiner als wenig flexibel empfundenen Verhandlungsführung einiges an Vorwürfen auf sich gezogen, will solcherlei Kritik aber nicht gelten lassen. Für den Fall eines Scheiterns seiner Bemühungen scheint er vorgebaut zu haben. Dem flämischen Sender VRT sagte er zu Jahresanfang, er habe jedermann gelauscht und das Verhandlungsdokument vierzig Mal umgeschrieben. „Es gibt für alles ein Ende. Das Büfett steht auf dem Tisch bereit. Es ist anzunehmen oder abzulehnen”, erläuterte De Wever.
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