Von Heide Newson
Die aktuelle Situation in Europa stand im Mittelpunkt einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisierten Podiumsveranstaltung am 12. November in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Brüssel. Moderiert von Peter Kapern, Europa-Korrespondent des Deutschlandfunks, diskutierte der langjährige Europaabgeordnete Elmar Brok mit dem ehemaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sowie dem Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), und der Grünen-Europaabgeordneten Terry Reintke. Den Aufhänger für diese Diskussion bot Elmar Broks Buch „Verspielt Europa nicht“ (siehe die Besprechung in Belgieninfo: https://belgieninfo.net/ein-plaedoyer-dafuer-mehr-europa-zu-wagen/).
Ausgesprochen spannend waren die Einschätzungen der Teilnehmer zur aktuellen politischen Lage in der EU, zur Rolle Deutschlands, zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten angesichts interner Spaltungen und des Sieges von Donald Trump, zu nationalen Egoismen, zur Außen-und Sicherheitspolitik sowie zu den diversen Reformvorschlägen für eine handlungsfähigere, transparentere, demokratische und rechtsstaatliche EU und zur vielgepriesenen gemeinsamen Handlungsfähigkeit.
Gerade letzteres stellte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in einer mitreißenden, inspirierenden Rede in den Mittelpunkt. „Liebe Freunde, die geballte Ladung Europas ist heute Abend hier”, sagte die maltesische EVP-Politikerin und fügte hinzu: „Meine Deutschkenntnisse entwickeln sich langsamer, als es mir lieb ist, aber ich habe im Laufe der letzten Tage ein neues Wort gelernt, und das lautet „Handlungsfähigkeit.“ Und diese gelte es in der Europäischen Union zu beweisen.
Aber der eigentliche Grund des Zusammenseins an diesem Tag sei Elmar Brok, den sie schon seit vielen Jahren kenne. Metsola ging auf die exzellente Zusammenarbeit mit dem zum EU-Urgestein zählenden CDU-Politiker ein, Sie würdigte dessen fast vier Jahrzehnte währende Tätigkeit im Europaparlament und nicht zuletzt seine Verdienste als langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments. Voller Ehrfurcht habe man über Brok gesprochen. Er sei ein wenig gefürchtet, aber von Freunden und politischen Gegnern stets respektiert worden. Es gebe kein wichtiges europapolitisches Ereignis, an dem Brok nicht beteiligt gewesen sei. An vielen Kapiteln der europäischen Integration habe er mitgearbeitet. Ferner würdigte sie seine Fähigkeit, auf eine verständliche Art zu kommunizieren. „Seine Politik war nie distanziert, nicht abstrakt, sondern bodenständig“, erläuterte Metsola. Auch sei seine politische Gesinnung nie grau oder langweilig, sondern durch Farbigkeit, Humor und Optimismus gekennzeichnet gewesen.
Metsola ließ keinen Zweifel daran, dass man mit Broks Fähigkeiten zu Europas Bürgern durchdringen und Wahlen gewinnen könne. Ferner ging sie auf den „American Inflation Act“ ein, der auf Kosten des Standorts Europa gehen könne. In diesem Zusammenhang forderte sie einen offenen, freien und fairen Markt. Sie hoffe, dass die Vereinigten Staaten zu der Einsicht kämen, dass sich „Amerika first“, nicht realisieren ließe, wenn es nur um Amerika ginge. Dem setzte die Parlamentspräsidentin die Forderung nach „mehr Europa“ entgegen, das erforderlich sei.
„Hier auf dem Podium sitzen 82 Jahre europäischer Erfahrung,“ sagte Moderator Kapern zum Auftakt der Diskussionsrunde. Seine erste Frage galt Jean-Claude Juncker. Ob dieser sich noch an das erinnere, was er am 25. Juli 2018 gemacht habe. „Nein,“ lautete Junckers prompte, trockene Antwort. Kapern half ihm auf die Sprünge und sagte: „Sie waren im Weißen Haus bei Donald Trump“. „Da werde ich jetzt aber nicht mehr eingeladen,“ erwiderte Juncker und wirkte durchaus erleichtert. Und dann drehte sich alles um den wiedergewählten US-Präsidenten. Trump werde, so die Einschätzung des ehemaligen Kommissionspräsidenten, in seiner zweiten Amtszeit nicht “europäischer” werden. Bei seinen Vorgängern, zum Beispiel Bill Clinton, sei das anders gewesen. „Aber die Amerikaner haben ja diesen Präsidenten gewählt, und nun müssen wir ihn ernst nehmen”, sagte Juncker. Angst brauche aber keiner vor Trump zu haben. Europa müsse ihm auf Augenhöhe begegnen. Diese Meinung vertrat auch die grüne Europaabgeordnete Reintke. Sie verwies auf die damit verbundene größere Verantwortung Europas, die es anzunehmen gelte. Über diese habe sich Elmar Brok in seinem Buch viele Gedanken gemacht. Man brauche nicht ängstlich zu sein, müsse sich aber der neuen Herausforderung stellen und Autokraten etwas entgegensetzen, sagte Reintke und erläuterte: „Ich glaube weiter an die Stärke Europas, allerdings müssen wir bei allem noch eine Schippe drauflegen, da bin ich ganz der Meinung von Roberta Metsola. Wir brauchen mehr Europa, Europa muss handlungsfähig gemacht werden. Was wir brauchen, sind Reformen.“
Der EVP-Fraktionsvorsitzende Weber forderte, nationale Egoismen zurückzustellen. Auch gelte es, die Verdienste und die Erfolge Europas mehr sichtbar zu machen. „Was wir brauchen, sind Visionen für Europa, so wie Elmar Brok sie vertritt. Wir müssen klar sagen, in welche Richtung Europa sich entwickeln will”, sagte Weber. Über die EU solle in größeren Zusammenhängen nachgedacht und diskutiert werden, und das gestalterische Potenzial sowie die Erfolge sollten im Vordergrund stehen.
“Mr. Europa, wie Brok genannt wird, ging auf die sich dramatisch verändernden politischen, militärischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse ein. Die aktuelle Situation sei anders als in der Vergangenheit. „Putin will Grenzen verändern“, sagte Brok warnend und führte aus, er mache sich riesige Sorgen, da durch den Ausgang der amerikanischen Wahlen der engste Verbündete nun in eine andere Richtung gehe. Vor dem neuen Gespann mit Trump und dem exzentrischen Geschäftsmann Elon Musk warnte er. Interessenkonflikte erschienen durch den staatlich unterstützten Autohersteller Tesla und das ebenfalls von Musk geführte Raumfahrtunternehmen SpaceX vorprogrammiert. Monopole seien zerstörten die soziale Marktwirtwirtschaft. „Wir müssen dafür sorgen, dass wirtschaftliche Macht nicht in zu wenigen Händen ist. Mit dieser darf sich die Politik nicht verbinden“, erläuterte Brok.
In der angeregten Diskussion gingen die Politiker auf die Egoismen der EU und der Mitgliedsländer ein. Dabei wurde der ungarische Ministerpräsident. Viktor Orbán besonders an den Pranger gestellt. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer, dass man gerade in der Außen-und Sicherheitspolitik in Europa wegen der veränderten politischen Lage schneller handeln müsse. Die grüne Abgeordnete Reintke plädierte dafür, in der Außen-und Sicherheitspolitik das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen. Auf die Frage, was ein Sieg Putins in der Ukraine für Europa bedeuten würde, antwortete der EVP-Fraktionschef Weber, dass dies eine Niederlage für Europa wäre.
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