Von Reinhard Boest
Es ist Ende Oktober – Zeit, die Uhren umzustellen. Fortan gilt wieder die Normalzeit, gern – aber unzutreffend – auch als Winterzeit bezeichnet. Und wieder füllen sich verlässlich die Kommentarspalten mit den seit langem bekannten Argumenten gegen diese sei 1980 in der Europäischen Union (EU) geltende Praxis.
Insbesondere in Deutschland melden sich Energie-Experten, Schlafforscher, Erziehungswissenschaftler oder Sachverständige für die Psychologie der Milchkühe zu Wort, um die Nachteile zu beklagen. Gern wird das dann mit einem EU-Bashing verbunden: seit bald vier Jahren kriege es die EU nicht hin, eine Entscheidung zu treffen.
In der Tat hat Belgieninfo zuletzt anlässlich der Umstellung auf die Sommerzeit im März 2021 berichtet, und seither ist nichts passiert. Das liegt nicht an fehlenden Folgenabschätzungen, denn davon gibt es seit längerem genug, zu allen möglichen Auswirkungen. Und in der Tat: die Energieeinsparung, die seinerzeit Grund für die Umstellung war, ist heute kein ausreichender Grund mehr.
Das wirkliche Hindernis für eine Beschlussfassung der Mitgliedstaaten im Ministerrat ist politisch: die Entscheidung, welches künftig – nach der Abschaffung der jährlichen Zeitumstellung – die ganzjährige Standardzeit sein soll, muss jeder Mitgliedstaat treffen; und dabei schaut jeder darauf, was der Nachbar machen will. Niemand will eine Zeitverschiebung an seiner Grenze einführen, wo es bisher keine gab.
Alle wollen also nach Möglichkeit in der bisherigen Zeitzone bleiben. Und hier liegt der Kern des Problems: die vom Osten Polens bis zum Westen Spaniens reichende Zone der mitteleuropäischen Zeit (MEZ) ist eigentlich viel zu groß. Idealerweise soll in der Mitte einer Zeitzone die Sonne um 12 Uhr im Zenit stehen, und an den Rändern soll die Abweichung nicht zu stark sein.
Die MEZ-Zone ist 1940 durch eine politische Entscheidung entstanden. Bis dahin galt in Frankreich und Spanien die Westeuropäische Zeit. Die MEZ-Zone kann nur durch eine politische Entscheidung wieder aufgeteilt werden. Davor schrecken aber aus nachvollziehbaren Gründen alle zurück. Dies gilt vor allem für Deutschland, denn eine Aufteilung beträfe wohl entweder dessen Grenze zu Frankreich oder die zu Polen.
Im ersteren Fall würde das auch Auswirkungen auf Belgien haben, das sich schon darauf festgelegt hat, mit Luxemburg und den Niederlanden in derselben Zeitzone zu bleiben. Aber was, wenn die drei sich zwischen Deutschland und Frankreich entscheiden müssten, welche Zeitzone es denn nun sein soll?
Alles in allem scheint die jährliche Zeitumstellung ein Mittelweg zu sein, mit dem man leben kann. Man sollte sich endlich eingestehen, dass die Abschaffung der Zeitumstellung mehr Probleme schafft, als sie löst, und das Projekt beerdigen.
Beiträge und Meinungen