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Ein Gespräch mit Wolfgang Severin über Corona

Von Rudolf Wagner.

Auf der Homepage der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Brüssel sind viele Predigten von Pfarrer Wolfgang Severin zum Nachlesen gespeichert. Am 14. Februar hat er über die Kirchenheiligen gesprochen. “Corona ist ja nicht nur eine Krankheit, die uns seit längerem beschäftigt, sondern auch der Name einer Heiligen aus dem 2. Jahrhundert. Sie ist Patronin des Geldes, der Metzger und der Schatzgräber. Nur, damit Sie das schon einmal gehört haben.”

Mehr als tausendmal hat er bei Bibel TV, einem überkonfessionellen Sender, als Moderator versucht, zum Nachdenken anzuregen. “In allen Bereichen versuche ich, Menschen für den Glauben und ihre eigene Spiritualität zu interessieren”, sagt er, dem die Ökumene eine Selbstverständlichkeit ist mit Kontakten auch zu Freikirchen und in die evangelische Kirche hinein.

Gibt es in der Corona-Krise Menschen, die eine solche Pandemie als eine Strafe Gottes sehen und verstehen wollen?

Eine entsprechende Aussage habe ich aus unserer Gemeinde noch nicht gehört. Ich glaube auch nicht, dass das jemand so ausdrücklich empfindet. Allerdings vermute ich, dass das auf der unbewussten Ebene anders aussieht. Ein Gott, der Wohlverhalten belohnt und  Fehlverhalten sanktioniert, entspricht viel eher dem, was wir erwarten, nicht, was wir erhoffen. Denn so ist es doch auch in unserer Welt: Gutes wird in der Regel belohnt, Schlechtes vergolten. Und so übertragen wir das auch gerne auf Gott. Die Vorstellung, dass wir Christen einen Gott verehren, der in unendlicher Barmherzigkeit immer wieder vergibt und deswegen auch keine Strafen sendet, ist damit zwar von den allermeisten erwünscht und er wird auch in der Regel so gelehrt, erscheint uns aber unbewusst unwahrscheinlicher. Deswegen will ich nicht ausschließen, dass mancher die Pandemie  auch als Strafe Gottes empfindet.

Für Psychologen gibt es im Lockdown immer mehr zu tun. Ihre Terminlisten sind voll. Zugleich zweifeln immer mehr Gläubige an der Wahrheit christlicher Religionen. Was ist heute ein Pfarrer wert?

Meine gegenwärtige Erfahrung sagt mir, dass der Pfarrer als Seelsorger heute sehr wichtig ist. Davon zeugt mein Terminkalender, der viel mehr Einzelgespräche verzeichnet als in „normalen“ Zeiten. Zumindest die Gläubigen wollen die Fragen wie „Warum lässt Gott das zu?“ „Warum ist die Welt so wie sie ist?“ eher mit einem Priester besprechen als mit einem Psychologen, weil sie dies nach wie vor für eine seiner Kernkompetenzen halten.

Die meisten von uns deutschsprachigen Mitbürgern in Belgien leben in sicheren finanziellen Umständen. Wer braucht also Hilfe? Hilfe wozu? Geld, Gespräche, Einkaufshilfe, Hausunterricht für die Kinder?

In der Tat: den Gemeindemitgliedern von St. Paulus geht es in der Regel in finanzieller Hinsicht gut. Weil aber familiäre Netzwerke durch das Leben in der Fremde, auch wenn sie zur zweiten Heimat geworden ist, nicht so dicht ist wie in der Heimat, lastet das meiste auf der Kernfamilie. Homeoffice und Homeschooling können ohne Oma und Opa, Tanten oder Onkel in der Nähe zu einer größeren Belastung werden. Und für Ältere führt die fehlende Familie zu größerer Einsamkeit. Vieles davon wird aber durch aufmerksame Gemeindemitglieder aufgefangen, die sich um andere kümmern und je nach Notwendigkeit, Einkäufe übernehmen oder sie schlichtweg nur regelmäßig anrufen.

Muss sich die Kirche ändern?

Gibt die gegenwärtige Pandemie Anlass und Möglichkeiten, die Kirche zu erneuern?

Die Kirche muss sich immer erneuern. Und im Moment wird sie mehr noch als sonst geradezu dazu gezwungen. Das „erledigen“ die Umstände. Wenn man auf das Kerngeschäft, was für eine Kirchengemeinde „Communio“ bedeutet, verzichten muss, weil man nicht mehr als Gemeinschaft zusammenkommen kann, dann muss man sich verändern. Konkret sind wir auf eine Vielzahl von Online-Angeboten umgestiegen, so dass häufig gestreamt oder gezoomt wird, Formate neu erfunden werden oder alte angepasst. Wir setzen auch zunehmend darauf, z.B. zu bestimmten Themen Stationen im  Gemeindezentrum aufzubauen und dann dazu einzuladen, diesen Stationenweg zu gehen und sich zusätzlich zum persönlichen Gebet in der Kirche aufzuhalten.

Sogenannte Hausgottesdienste, die wir zur Feiern am heimischen Tisch online stellen, werfen ein Licht auf ein weiteres Feld, in dem Veränderungen notwendig sind: die katholische Kirche war und ist in weiten Teilen noch sehr auf das Amt des Priesters konzentriert. Von diesem gehen die Impulse aus, nur er „darf bestimmte Dinge tun“, also die Messe feiern oder einen Teil der anderen Sakramente spenden. Durch diese Konzentration haben es viele Gläubige nie gelernt, ihr eigenes Glaubensleben aktiv zu gestalten, Gottesdienste vorzubereiten oder zu halten. Dazu ist man aber z.T. im Moment geradezu gezwungen. 

Das Glaubensleben aktiver selbst in die Hand nehmen

Meine Hoffnung ist, dass Gläubige nun erfahren, dass das geht, dass sie das gut und sehr wohl können; und dass wir diese Erfahrung dann in der Zukunft nutzen können und Menschen ihr Glaubensleben aktiver selbst in die Hand nehmen und auch bei Entscheidungen von Gewicht für die Kirche selbst mitentscheiden wollen.

Für immer mehr Menschen ist Impfstoff wichtiger als Theologie. Leben Sie gern im Ausland, auch um hier in Brüssel nicht an den deutschen innerkirchlichen Auseinandersetzungen teilnehmen zu müssen?

Ich reise gern und lebe sehr gerne in Brüssel. Das hat aber wenig mit deutschen innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu tun, sondern mehr mit dieser schönen Stadt und ihren Besonderheiten.

Info:

https://www.facebook.com/KathGemeindedeutscherSprache/

 

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