Politik

Neue Runde im belgischen Koalitionsgerangel

Von Michael Stabenow.

Neue Besen kehren bekanntlich gut. Vielleicht hat das belgische Staatsoberhaupt König Philippe aus dieser Erkenntnis heraus am Dienstagabend zwei Politiker, die beide erst wenige Tage an der Spitze ihrer jeweiligen Parteien stehen, mit Sondierungen zur Bildung einer neuen Regierung beauftragt.

Am 20. Dezember sollen Georges-Louis Bouchez, seit dem 29. November Vorsitzender der französischsprachigen Liberalen (MR), und Joachim Coens, erst am vergangenem Freitag durch ein Mitgliedervotum zum Vorsitzenden der flämischen Christlichen Demokraten (CD&V) gewählt, einen (Zwischen)bericht zu ihren Konsultationen vorlegen.

Was den König zu diesem im politischen Brüssel allgemein als überraschend empfundenen Schachzug bewogen hat, wird sein Geheimnis bleiben. In Belgien gilt das als „colloque singulier“ bezeichnete eherne Gesetz, wonach über Dinge, die das Staatsoberhaupt – insbesondere – mit Politikern hinter verschlossenen Türen bespricht, eisernes Stillschweigen zu bewahren ist.

Klar ist nur: eine neue Runde im Koalitionsgerangel hat begonnen. Bouchez und Coens sollen und wollen mit Vertretern aller Parteien reden und dabei die Chance für das „lila-grüne“ Bündnis, aber auch für eine „lila-gelbe“ Koalition unter Einschluss der flämischen Nationalisten (N-VA) des Antwerpener Bürgermeisters Bart De Wever ausloten.

Paul Magnette (PS) hatte am Montag König Philippe gebeten, ihn von seinem Sondierungsauftrag zu entbinden. Für das von ihm angestrebte Sechserbündnis aus Sozialisten, Liberalen und Grünen beider Landesteile, das im Parlament nur über eine hauchdünne Mehrheit vom 76 der 150 Parlamentssitze verfügen würden, lagen schon ziemlich konkrete inhaltliche Vorschläge vor. Vor allem in den Reihen der flämischen Liberalen (Open VLD) rumorte es jedoch gewaltig. So sträubte sich eine Mehrheit der 12 Parlamentsabgeordneten im Gegensatz zu prominenten Mitgliedern der Parteiführung gegen einen Linksschwenk. Auch in den Reihen der ebenfalls 12 Abgeordneten zählenden CD&V-Fraktion, die Magnette zuletzt ziemlich unverhohlen umworben hatte, knirschte es. Aus beiden Parteien erklang auch der Ruf, De Wever in die politische Arithmetik einzubeziehen – was dieser übrigens seit Tagen selbst gefordert hatte.

Der Spielraum für Bouchez und Coens erscheint dennoch begrenzt. Kaum hatten die beiden Politiker am Dienstagabend das königliche Palais verlassen, meldet sich auch schon De Wever zu Wort. Die „lila-grüne“ Option sei hoffentlich vom Tisch, erklärte der N-VA-Parteichef. Und er kündigte an: „Wir werden konstruktiv und mit offenen Visier mitarbeiten.“

Tags zuvor hatte er dagegen noch anders geklungen und tief in die rhetorische Kiste gegriffen. Als er Magnette jetzt getroffen habe, habe dieser noch den „rot-grünen Brei“ seiner Vorschläge für eine neue Regierung im Mund gehabt. „Es bedarf handfester flämischer Zahnpasta, um den Geschmack aus dem Mund herauszuwaschen“, sagte De Wever vor laufender Kamera. Derlei deftige Äußerungen kamen nicht nur südlich der Sprachgrenze schlecht an. Auch unter flämischen Liberalen, an deren Gesprächen mit Magnette der Antwerpener Bürgermeister kein gutes Haar gelassen hatte,  schien die Begeisterung für ein Regierungsbündnis mit der N-VA deutlich zu schwinden.

Welche Strategie De Wever tatsächlich verfolgt, ist unklar. Will er, dass seine Partei auf föderaler Ebene wieder an die Macht kommt, dann wird sie diese mit den Sozialisten teilen müssen, die – anders als die N-VA – aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament rechnerisch unentbehrlich sind. Die Sozialisten haben allerdings klargestellt, dass sie eine von den flämischen Nationalisten gewünschte weitere Schwächung des belgischen Bundesstaats nicht mitmachen werden. Ferner ist schwer vorstellbar, wie sich die unterschiedlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen unter einen Hut bringen lassen.

Es spricht  daher einiges dafür, dass letztlich die Option eines „lila-grünen“, im französischsprachigen Landesteil als „Regenbogenkoalition“ („coalition arc-en-ciel“) bezeichneten Bündnisses favorisiert wird.  Die französischsprachige Bezeichnung dürfte zutreffender sein, sollte die CD&V, die sich der Farbe Orange verschrieben hat, in die Regierung eintreten. Mit ihren 12 Abgeordneten käme das neue Bündnis mit 88 von 150 Abgeordneten zumindest auf dem Papier auf eine komfortable Mehrheit.

De Wever warnte am Dienstagabend vor einer Politik in Brüssel, für die es keine Mehrheit in Flandern gebe. Mit 42 von 89 niederländischsprachigen Abgeordneten hätte die von der N-VA befürchtete Siebenerkoalition zwar keine Mehrheit, käme ihr aber ziemlich nahe.  Hinter der bisherigen Regierung Michel, der die N-VA von 2014 bis 2018 angehörte, standen allerdings gerade einmal 20 von 63 französischsprachigen Abgeordneten.

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