Von Reinhard Boest
Die künftige Brüsseler Metro-Linie 3 steht schon seit längerem auf der Kippe. Die Kosten laufen immer mehr aus dem Ruder, und das Desaster mit dem Tunnel unter dem Palais du Midi ließ die Stimmen wieder lauter werden, die einen Stopp des Projekts fordern (Belgieninfo hat darüber regelmäßig berichtet, zuletzt: https://belgieninfo.net/mit-seinem-groessten-verkehrsprojekt-hat-bruessel-kein-glueck/ ).
Die Regionalregierung und eine Mehrheit im Brüsseler Parlament halten allerdings an der neuen Metrolinie fest, die als ein strukturierendes Element des Verkehrs in der Region gilt, insbesondere zur Erschließung der nördlichen Stadtteile der Hauptstadt. Allerdings werden nicht nur die nach den Wahlen im Juni 2024 kommende, sondern auch noch weitere Regionalregierungen mit dem Projekt befasst sein, und sei es nur mit der Finanzierung.
Die Planungs- und Genehmigungsverfahren gehen jedenfalls weiter. Für den Abschnitt unter dem Palais du Midi ist – in Rekordzeit – eine neue Baugenehmigung bei der Stadt Brüssel beantragt worden. Diese ist erforderlich geworden, da das Gebäude nicht mit einer neuen Tunneltechnik unterfahren werden konnte, sondern teilweise entkernt werden muss, um den einhundert Meter langen Tunnelabschnitt in konventioneller Technik bauen zu können. Zusätzliche Mittel sind auch erforderlich, um die Nutzer des Palastes – Handel, Schulen, Sporteinrichtungen – während der Bauzeit anderweitig unterzubringen und zu entschädigen.
Das Genehmigungsverfahren für den nordöstlichen Abschnitt der Linie 3 zwischen Nordbahnhof und Bordet geht gerade in die nächste Phase. Beliris, das Infrastrukturunternehmen der Föderalregierung, hat seine Pläne überarbeitet, um den während der öffentlichen Anhörung im Jahr 2022 vorgebrachten Einwänden Rechnung zu tragen. Die Trasse mit ihren sieben neuen Stationen und einem neuen Betriebshof in Haren bleiben unverändert. Die Änderungen betreffen vor allem die Zugänge an den Stationen und deren Integration in die Umgebung. Die neuen Pläne sollen im Januar 2024 Gegenstand einer weiteren öffentlichen Anhörung sein; zur Vorbereitung werden in der letzten Novemberwoche Informationsveranstaltungen in den betroffenen Stadtteilen Evere, Schaerbeek und Haren angeboten.
Wenn an der Grundsatzentscheidung festgehalten wird, ist jedenfalls sicher, dass das Projekt sehr viel später fertiggestellt werden wird als ursprünglich geplant. Mit der Eröffnung des südlichen Teils zwischen den Stationen Albert und dem Nordbahnhof – bei dem es um einen Umbau der bestehenden unterirdischen Tram- zu einer “richtigen” Metrolinie geht – rechnet man nicht vor 2028. Der Neubau des Abschnitts bis Bordet dürfte erst 2034 in Betrieb gehen.
Daher stellt sich immer drängender die Frage nach Zwischenlösungen. Die bisher zwischen Nordbahnhof und Bordet verkehrende Tramlinie 55 ist hoffnungslos überlastet und steckt regelmäßig im Verkehr fest – daher will man ja eine Metro bauen. Der Brüsseler Regionalregierung ist jetzt eine Note vorgelegt worden, in der mögliche Abhilfemaßnahmen für die Zwischenzeit erörtert werden. Diese müssten sich technisch relativ schnell verwirklichen lassen und dürften nicht zu Investitionen führen, die durch die spätere Metrolinie überflüssig würden.
Daher kommt der in Erwägung gezogene Bau einer parallelen neuen Tramlinie in der Chaussée de Haecht nicht in Frage: sie würde über 7 Millionen Euro kosten und kaum früher fertig sein als die Metro. Auch eine Zusammenlegung der 55 mit anderen Tramlinien, etwa der Linie 4 Richtung Uccle, wird nicht empfohlen, da die notorischen Verspätungen der 55 dann in das ganze Netz übertragen würden.
Als realisierbar erscheinen am ehesten eine Entlastung durch verstärkte Buslinien in Evere und der Einsatz (noch) größerer Straßenbahnfahrzeuge (4000er statt 3000er Reihe).
Eine Beschleunigung könnte auch durch Vorrangschaltungen an den Ampeln und die Abschaffung von Parkplätzen entlang der Chaussée de Helmet erreicht werden. Letzteres dürfte aber auf den Widerstand der Geschäftsinhaber in dieser Einkaufsstraße stoßen.
Reisende könnten auch für die Nutzung der SNCB-Linien Richtung Etterbeek oder Nordbahnhof als mögliche Alternativen sensibilisiert werden. Dazu bräuchten sie aber in der Regel andere Fahrkarten, da es einen Verkehrsverbund in Brüssel (und Umgebung) bekanntlich nicht gibt.
Schließlich wird eine Verbesserung des Radwegenetzes im Brüsseler Nordosten angeregt. So könnte eine kombinierte Bus- und Fahrradspur in der Chaussée de Haecht angelegt werden, wie es sie bereits an der Avenue de la Couronne in Ixelles gibt, sowie ein Radschnellweg entlang der bestehenden Bahnlinien.
Das Warten auf die Metro 3 geht weiter…
Beiträge und Meinungen