Aktuell, Belgien

Wahlbeteiligung nach dem Zufallsprinzip

© Deutscher Bundestag

AKTUALISIERUNG!

Wie sich verkürzte Fristen und die Belgische Post auf die Bundestagswahl auswirken

Von Reinhard Boest

Am vergangenen Donnerstag, drei Tage vor der Bundestagswahl am 23. Februar, ist es endgültig klar: ich werde an der Wahl nicht teilnehmen, zum ersten Mal seit 53 Jahren. Denn erneut ist der Briefkasten leer, die Briefwahlunterlagen sind nicht angekommen. Damit ist ausgeschlossen, dass der Wahlbrief mit dem angekreuzten Stimmzettel es noch rechtzeitig schafft, in das zuständige Wahlbüro in Schwerin zu gelangen, selbst bei Nutzung des von der Botschaft in Brüssel angebotenen Kurierdienstes (der den Brief immerhin bis zum nächst erreichbaren Briefkasten der Deutschen Post in Aachen gebracht hätte).

Das ist besonders frustrierend, weil diese Wahl in einem zunehmend instabilen, wenn nicht verrückten internationalen Umfeld stattfindet, so dass es nicht gleichgültig ist, wer die Politik bestimmt – gerade im größten Mitgliedstaat der Europäischen Union.

Dass es mit den Fristen knapp werden würde, konnte man voraussehen. Nach dem Bruch der Ampel-Koalition Anfang November war klar, dass die nächste Bundestagswahl nicht im September 2025 stattfinden würde, sondern viel früher. Einigen konnte es gar nicht schnell genug gehen, und die Bundeswahlleiterin wurde dafür kritisiert, dass sie auf organisatorische Schwierigkeiten bei einem zu frühen Termin hinwies, vor allem für die Briefwahl. Von den Problemen, die vor allem kleine und “neue” Parteien haben, die Wahl vorzubereiten, etwa Unterschriften zu sammeln und Listen aufzustellen, gar nicht zu reden.

Die Briefwahl hat über die vergangenen Jahre immer mehr zugenommen. Bei der Bundestagswahl 2017 betrug der Anteil der Wähler, die auf diesem Weg die Stimme abgaben, 28,6 Prozent, 2021 waren es fast die Hälfte (47,3 Prozent), allerdings grassierte da die Corona-Epidemie. Während die Briefwahl im Inland nur eine Alternative zur persönlichen Stimmabgabe im Wahllokal ist, haben Auslandsdeutsche, die ihr Stimmrecht ausüben wollen, nur diesen Weg. Und die Bedingungen sind überall die gleichen, ob man in Deutschland oder am Ende der Welt wohnt oder 140 Kilometer von der Grenze in Brüssel. Die Bundeswahlleiterin hat mitgeteilt, dass sich rund 213.000 Auslandsdeutsche in die Wählerverzeichnisse haben eintragen lassen, deutlich mehr als bei vorangegangenen Wahlen – aber trotzdem nur ein Bruchteil der 3 bis 4 Millionen im Ausland lebenden Deutschen.

Die im deutschen Wahlrecht vorgesehenen Fristen waren für diese Wahl auf das maximal mögliche Maß verkürzt worden. Als Anhaltspunkt wird auf die vorgezogene Bundestagswahl 2005 verwiesen; damals hatte das Bundesverfassungsgericht die verkürzten Fristen im Ergebnis nicht beanstandet. Allerdings sind seither die Möglichkeiten für die Teilnahme von Auslandsdeutschen deutlich erweitert worden (siehe https://belgieninfo.net/bundestagswahl-am-23-februar-2025-briefwahlunterlagen-jetzt-anfordern/).

Die verkürzten Fristen treffen aber natürlich Briefwähler aus dem Ausland viel härter. Für sie geht es auch nicht nur um eine “besonders bequeme Art” zu wählen – auf die man nach Auffassung des Bundesverfassungsgericht keinen Anspruch hat. Denn selbst wenn die Wahlbehörden sich bemüht haben, die Unterlagen für Wähler im Ausland vorrangig zu versenden, haben sie keinen Einfluss auf die Postlaufzeiten, insbesondere im Ausland.

Das hat sich gerade in Belgien ausgewirkt: denn der Streik bei der Belgischen Post fiel leider genau in die Zeit, als viele Wahlbriefe unterwegs waren. Aber anscheinend hat es nicht alle gleich getroffen. Wie eine von Belgieninfo gemachte kleine – natürlich nicht repräsentative – Umfrage ergab, haben manche ihre Unterlagen schon zwei Wochen vor der Wahl erhalten, manche “auf den letzten Drücker”, und manche eben gar nicht. Dabei hat auch eine Rolle gespielt, wann die Briefe versandt wurden. Denn das erfolgt nicht zentral, sondern durch die jeweils lokal zuständigen Wahlbehörden, für Auslandsdeutsche also die Gemeinde, in der sie zuletzt in Deutschland gemeldet waren. Und diese müssen warten, bis die für das jeweilige Bundesland geltenden Wahlvorschläge formell festgestellt und die Wahlzettel gedruckt sind. Dieser Prozess war erst Anfang Februar überall abgeschlossen. Unsere Umfrage zeigt, dass es weder entscheidend war, ob der Brief aus einer großen Stadt oder einer kleinen Gemeinde kommt oder aus welchem Bundesland. Selbst Unterlagen aus derselben Stadt sind teils gerade noch, teils leider zu spät in Brüssel eingetroffen. Am Ende entschied anscheinend König Zufall.

Dass man den von der Botschaft angebotenen Kurierdienst nicht nur für die Rücksendung des Wahlbriefes, sondern auch für den Hinweg nutzen konnte, haben wahrscheinlich viele zu spät erfahren. Denn die Eintragung in die Wählerlisten war schon im November möglich, und damals hat wohl jeder seine Wohnadresse angegeben und nicht die Kurierstelle des Auswärtigen Amtes.

Noch am Freitag vor der Wahl hat die Bundeswahlleiterin auf die einzig verbleibende Möglichkeit hingewiesen, doch noch an der Wahl teilzunehmen: die Abholung der Unterlagen bei der zuständigen Gemeinde, die bis Samstag 12 Uhr möglich war. Aber selbst wenn man glaubhaft versichern kann, die Unterlagen nicht erhalten zu haben: wer wohnt – selbst in einem Nachbarland wie Belgien – so nah an seinem letzten Wohnort in Deutschland, dass das machbar ist? Dennoch wurde von einigen Fällen berichtet, in denen die Gemeinde durch kurzfristigen Versand an eine andere Adresse in Deutschland, Bereitschaftsdienst außerhalb der normalen Öffnungszeiten oder auf andere unbürokratische Weise die Stimmabgabe doch zu ermöglichen.

Am Ende können sich die Wahlbehörden auf die Feststellung zurückziehen, dass nach dem Gesetz die Wahlberechtigten selbst dafür verantwortlich sind, dass sie ihre Stimme rechtzeitig abgeben. Wir sehen an dieser Bundestagswahl, dass für Auslandsdeutsche – insbesondere wenn sie weit weg leben – das Wahlrecht jedenfalls bei vorgezogenen Wahlen kaum wahrgenommen werden kann. Medien haben in diesen Tagen von vielen Beispielen aus der ganzen Welt berichtet.

Welche Folgen hat das jetzt für das Wahlergebnis? Viele “Ausgeschlossene” scheinen zu überlegen, dagegen rechtlich vorzugehen. Das einzige zur Verfügung stehende Mittel ist die Wahlprüfung, für die der – neu gewählte – Bundestag zuständig ist. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, ob die Nichtteilnahme von Auslandsdeutschen das Wahlergebnis beeinflusst hätte. Im Ergebnis wird das wohl eher nicht der Fall sein. Denn anders als etwa bei den unlängst wiederholten Wahlen verteilen sich die Stimmen hier über das ganze Land und konzentrieren sich nicht auf wenige Wahllokale. Daher dürfte wohl kaum irgendwo nachgewiesen werden können, dass sie wirklich ausschlaggebend waren.

Allerdings könnte es einen Grund geben, die Wahlbriefe auch dann zurückzuschicken, wenn sie mit Sicherheit nicht rechtzeitig ankommen. Denn obwohl die Stimmen ungültig sind, sind die Wahlbehörden verpflichtet, die Briefe – ungeöffnet und mit dem Eingagngsdatum versehen – aufzubewahren. Das würde es erlauben festzustellen, wieviele Briefe aus dem Ausland nicht rechtzeitig angekommen sind und damit wie gravierend das Problem ist.

Das könnte eine Diskussion darüber in Gang bringen, ob das bisherige System der Beteiligung des Auslandsdeutschen geändert werden sollte. Andere Länder wie etwa Frankreich sehen eine gewisse Zahl von Abgeordneten in der Nationalversammlung vor, die die Auslandsfranzosen vertreten und ihnen für ihre möglicherweise besonderen Anliegen eine Stimme geben. Auslandsdeutsche, die sich für die Politik in Deutschland interessieren und das mit der Eintragung in die Wählerlisten manifestieren, wollen damit in der Regel einen Bezug zu Deutschland insgesamt halten, nicht nur zu dem Land oder der Gemeinde, in der sie zuletzt gelebt haben. Aber das föderal geprägte deutsche Wahlrecht lässt derzeit leider keine andere Möglichkeit.

Leave a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.