Aktuell, Europa

Steigendes Interesse an der Europawahl

Die Ergebnisse der jüngsten „Eurobarometer“-Umfragen deuten auf eine höhere Wahlbeteiligung hin. In Belgien wird die EU-Mitgliedschaft überdurchschnittlich als vorteilhaft eingestuft.

Von Michael Stabenow

Rund sieben Wochen vor den vom 6. bis 9. Juni stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament zeichnet sich eine im Vergleich zu 2019 steigende Beteiligung ab. So geht aus der an diesem Mittwoch (17. April) veröffentlichten jüngsten „Eurobarometer“-Umfrage unter knapp 26.500 Bürgerinnen und Bürgern der 27 EU-Staaten hervor, dass 71 Prozent der Befragten es für „wahrscheinlich“ halten, zur Wahl zu gehen ( EP Spring 2024 Survey: Use your vote – Countdown to the European elections – April 2024 – – Eurobarometer survey (europa.eu) ). Dies entspricht einem Zuwachs um 10 Prozentpunkte gegenüber den kurz vor der Europawahl im Jahr 2019 veröffentlichten Umfrageergebnissen. Gegenüber der Umfrage im Herbst 2023 ergibt sich ein Zuwachs um drei, gegenüber 2009 sogar um 21 Prozentpunkte.

Wahlbereitschaft liegt um 10 Prozentpunkte höher als 2019

Ein leitender Parlamentsmitarbeiter erinnerte bei der Erläuterung der auf Erhebungen zwischen Anfang Februar und Anfang März beruhenden jüngsten Umfrageergebnisse daran, dass die Wahlbeteiligung im Regelfall letztlich niedriger ausfalle, als es die Absichtsbekundungen erwarten ließen. So hatte die Beteiligung 2019 bei 50,7 Prozent gelegen – rund 10 Prozentpunkte niedriger als jene 61 Prozent der Befragten, die im 2019 angegeben hatten, sich „wahrscheinlich“ an der Wahl zu beteiligen. Die damalige Wahl hatte eine deutliche Trendwende markiert. So war die Beteiligung gegenüber 2014 um mehr als 10 Prozentpunkte gestiegen. 2014 war sie, nach einem zwar allmählichen, aber stetigen Rückgang von Wahl zu Wahl auf gerade einmal 42,6 Prozent abgesackt.

Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit des Parlaments“

Die Gründe für das in fast allen Mitgliedstaaten steigende Interesse an der Europawahl sind offenbar vielfältig. Bei der Erläuterung der Umfrageergebnisse wurde auf die „Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit“ des Parlaments hingewiesen, nicht zuletzt im Umgang mit der Covid-Pandemie und ihren Folgen. Das in den meisten Mitgliedstaaten wachsende Zutrauen in die Europäische Union dürfte ihre Wurzel allerdings auch in den Schrecken des Krieges in der Ukraine und den verschärften Spannungen im Nahen Osten finden.

So zeigen die Ergebnisse der neusten „Eurobarometer“-Umfrage, dass 81 Prozent der Befragten eine Beteiligung an der Wahl wegen des derzeitigen internationalen Umfeldes als „noch wichtiger“ empfinden. Dafür spricht auch, dass in der Liste der „wichtigsten Anliegen“ nun das Streben nach Frieden (47 Prozent der Nennungen) und die Bewahrung der Demokratie (33 Prozent) ganz oben rangieren – noch vor anderen Schwerpunktthemen wie Asyl und Migration, Klimaschutz, öffentliche Gesundheit, dem Kampf gegen soziale Ausgrenzung sowie, wie die jüngsten Bauernproteste in vielen EU-Ländern zeigen, der Rolle der Landwirtschaft.

Eine Reihe von Ergebnissen der Umfrage belegt, dass das Image der EU im Allgemeinen und des Parlaments im Besonderen sich tendenziell positiv entwickelt. So gaben 71 Prozent – in Belgien sogar 80 Prozent – der Befragten an, ihr Land profitiere von der EU-Mitgliedschaft. Vor gut einem Jahrzehnt – 2013 – betrug der Anteil lediglich 54 Prozent. 47 Prozent – in Belgien 49 Prozent – der Befragten haben ein positives, 36 Prozent ein neutrales und 27 Prozent ein negatives Bild der EU.

Belgier blicken zu 67 Prozent optimistisch auf Europas Zukunft

Mit Blick auf die kommende Wahl zeigt die „Eurobarometer“-Umfrage zwei allgemeine Tendenzen auf: Die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, ist größer bei Bürgerinnen und Bürgern, die ein positives Bild der EU haben und an ihrer Entwicklung interessiert sind. Außerdem sind ältere Menschen stärker als jüngere geneigt, zur Wahl zu gehen. Die Umfrageergebnisse bieten auch ausführlich Einblick in das Stimmungsbild in den einzelnen EU-Staaten. So werden etwa auf 52 Seiten die Befindlichkeiten in Belgien zusammengetragen. Zum Beispiel blicken dort 67 Prozent zuversichtlich auf die Zukunft Europas; im EU-Durchschnitt sind es „nur“ 61 Prozent. Während im EU-Durchschnitt 71 Prozent die EU-Mitgliedschaft ihres Landes als vorteilhaft betrachten, liegt der Anteil in Belgien bei 80 Prozent.

Positives Image des Parlaments

Aus Sicht des Parlaments erfreulich ist, dass erstmals ein relative Mehrheit – 41 Prozent, ein Zuwachs um fünf Prozentpunkte gegenüber Herbst 2023 sowie acht Prozentpunkte höher als im Herbst 2019 – ein positives Image des Straßburger Hauses hat. 40 Prozent haben eine „neutrale“ und lediglich 18 Prozent eine negative Sicht auf das Parlament. Außerdem wünschen sich laut Umfrage 56 Prozent der Befragten – ein Zuwachs um fünf Prozentpunkte gegenüber 2019 – eine „wichtigere Rolle“ für das Parlament. In Belgien liegt der Anteil sogar bei 80 Prozent, während – am hinteren Ende der EU-Skala – sich 52 Prozent der befragten Tschechen eine „weniger wichtige“ Rolle des Parlaments wünschen.

Fernsehdebatte der „Spitzenkandidaten“ am 23. Mai

Die Erläuterung der jüngsten Eurobarometer-Umfrageergebnisse ist Teil der laufenden Informationskampagne, mit dem das Parlament das öffentliche Bewusstsein für die kommende Wahl schärfen will (Europawahl 2024 – alles, was es zu wissen gilt). Am 23. Mai soll die Europäische Rundfunkunion (EBU) eine Fernsehdebatte der sogenannten Spitzenkandidaten für die Europawahl übertragen. Das Parlament wird künftig 720 statt bisher 705 Mitglieder zählen.

Rechtsruck bei der Wahl im Juni erwartet

Wer sich ein Bild der aktuellen Stimmung der Wählerinnen und Wähler machen will, kann sich über den regelmäßig aktualisierten Stand zum Beispiel auf der 2014 errichteten Website „Europe Elects“ (Home – Europe Elects) verschaffen. Die jüngsten Ergebnisse deuten weiter auf einen Rechtsruck bei der Wahl auf Kosten der Mitte-Linksparteien hin. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten stärkste Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) muss derzeit mit einem geringfügigen Rückgang der Zahl ihrer Mandate um zwei auf 182 rechnen. Die sozialdemokratische Fraktion (S&D) würde 19 ihrer 154 Mandate verlieren. Noch härter könnte es die Liberalen (Renew Europe) mit einem Rückgang von 108 auf 87 Mandate und die möglicherweise von 74 auf 52 Mitglieder schrumpfende Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz treffen.

Für die bei der Gesetzgebung maßgebliche absolute Mehrheit von künftig 361 Mandaten wären auch künftig mindestens drei Fraktionen erforderlich. So dürften nach derzeitigem Stand auf EVP, S&D sowie Renew, die bisher in Straßburg meist, oft auch mit Unterstützung der Grünen, an einem Strang zogen, insgesamt 404 Mandate entfallen. Als einzige Fraktion links der Mitte kann derzeit die Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament (GUE/NGL) mit einem leichten Mandatszuwachs – um sechs Sitze – auf 47 rechnen.

Deutlich erstarkt und weitgehend gleichauf könnten laut „Europe Elects“ die beiden rechts der EVP stehenden Fraktionen aus der Wahl hervorgehen. Die am äußersten rechten Rand angesiedelte Fraktion Identität und Demokratie (ID), der die neun deutschen AfD-Abgeordneten gehören, käme mit einem Zuwachs um neun auf 82 Mandate, die rechtskonservative Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) auf 81 statt bisher 62 Mandate.

Wenn die Demokratie siegt, werden alle Europäer siegen“

Die Parlamentsvertreter wollten sich bei der Erläuterung der „Eurobarometer“-Umfrageergebnisse nicht zur möglichen künftigen Zusammensetzung des Straßburger Hauses äußern. Eine Mitarbeiterin ließ auf eine Frage nach russischer oder prorussischer Einflussnahme jedoch keinen Zweifel daran, dass es Bestrebungen gebe, Zweifel am ordnungsgemäßen Verlauf der Wahl zu säen oder der Polarisierung Vorschub zu leisten.

Eine – wenn auch nur indirekte – Antwort gab eine per Videolink eingespielte Stellungnahme von EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola: „Die Wahl wird von großer Bedeutung sein, weil sie über unsere künftige Richtung entscheiden wird.“ Die maltesische Politikerin fügte noch hinzu: „Wenn die Demokratie siegt, werden alle Europäer siegen.“

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