Von Ferdinand Dupuis-Panther
Beim diesjährigen jazzathome-Festival im flämischen Mechelen standen diverse Hauskonzerte auf dem Programm. Drei Konzerte durfte jeder Besucher besuchen, so dass man unter 17 Angeboten schon die Qual der Wahl hatte. Wollte man Bop hören oder eher kammermusikalischen Jazz, stand einem eher der Sinn nach Latin-Jazz und Salsa oder sollte es doch Soul und Gospel sein – das bestimmte auch die Wahl des Ortes, an dem man sich zum Konzert einzufinden hatte. Der Berichterstatter hatte sich als erstes für das Nachmittagskonzert in Sint-Jozef, de Duivels en het Paradijs entschieden, wo der Saxofonist Bart Defoort mit seinem Trio den Hard Bop aufleben ließ. Die weitere Wahl fiel auf Luna d’Argentu, ein Ensemble um den Saxofonisten Pierre Vaiana, das im Garten des Juweliergeschäfts De Goudvis ausschließlich Kompositionen von Vaiana vortrug. Und zum Schluss stand die Begegnung mit „Triology“ an, einem Ensemble um den Trompeter Carlo Nardozza. Ort des Geschehens war die zu Wohnzwecken umgebaute ehemalige Tanzschule Devos. Dabei hörten die sehr zahlreich erschienenen Jazzliebhaber Interpretationen und Arrangements von Kompositionen Charlie Parkers, die man auch auf dem jüngsten Album des Trios namens „Parker Par Coeur“ finden kann.
Bart Defoort
Hinter der Fassade von St. Josef, Dämonen und Paradies
Neben dem Saxofonisten Bart Defoort hörten wir beim Trioauftritt in „historischen Gemäuern“ den aus Brasilien gebürtigen Gitarristen Victor da Costa und den niederländischen, in Antwerpen lebenden Kontrabassisten Jos Machtel.
Bei den ersten Takten zu Beginn des Stücks vereinten sich gleichsam unisono Saxofonist und Gitarrist. Sommerliche Klangfarben waren zu vernehmen. Die Musiker zeichneten klangliche Schummerungen und zudem eine Gouache in Pastellfarben. Dass ein Bass nicht nur dunkel schnarren kann, unterstrich Jos Machtel mit seinem Fingerspiel – man muss sagen Daumenspiel. In kleinen Wellen mit Kämmen und Tälern entwickelte sich das weitere Spiel, bei dem da Costa rhythmisierte Akzente setzte. Im Solo des Gitarristen zeigte sich der Wohlklang einer klassischen Jazzgitarre. Swingend ging es zu. Voller Leichtigkeit brachte der Bassist seinen Tieftöner zum Schwingen. Dabei tippten auch ab und an die Finger die Saiten leicht an. Im Zwiegespräch verstrickten sich im zweiten Teil des Stücks der Saxofonist und der Gitarrist. Bei dem Stück handelte es sich um einen Klassiker des Bebop. Geschrieben wurde „Half Nelson“ von Miles Davis, als dieser Mitglied des Charlie Parker Quintetts war. Dass ein solcher „Klassiker“ auch ohne Schlagzeug und Trompete funktioniert, stellte das Trio ohne Frage mehr als nur unter Beweis.
Jos Machtel/Victor da Costa
Ebenfalls ein Klassiker und zu den Jazzstandards gehörend ist „How Deep Is The Ocean“ (Irving Berlin, 1932). Getragen im Modus und balladenhaft erschien das Stück. Eher die musikalische Umsetzung einer bewegten See und nicht die Abgründe des Ozeans erlebten wir. Das Tiefgründige lag in den Händen des Bassisten, derweil uns der Gitarrist eher auf einen musikalischen Wellenritt mitnahm. In die späten 1950er Jahre entführte uns das Trio mit Donald Byrds „Omicron“, durchaus mit forciertem Tempo vorgetragen. Es ist übrigens ein Stück, das für die Veröffentlichung „Little Boy“ mit Paul Chambers und Horace Silver eingespielt wurde.
Victor da Costa
Im sonntäglichen Konzert des Trios um Bart Defoort war dessen Tenorsaxofon das Leitinstrument und nicht die Trompete wie in der oben genannten Aufnahme. Rhythmische Zäsuren lagen in den Händen des Saitenspielers da Costa. Tonale Versetzungen und tonale Fragmente erlebten wir. Gleichsam Antipode des Saxofonisten war der Gitarrist. Flic Flac des Klangs hörten wir ebenso wie kristalline Klangverläufe. Weiter ging es mit „Body & Soul“ mit einer beinahe etüdenhaften Gitarreneröffnung. Vom Charakter her erinnerte das vorgetragene Stück an die Filmmusik aus dem Film „Round Midnight“. Und dann war noch „Segment“ von Charlie Parker, einem der Legenden des Jazz zu hören. Damit endete das nachmittägliche Sonntagskonzert an den Ufern der Dijle.
Im „Gartenhaus“ des „Goldfisches“
Auch bei diesem Hauskonzert betraten die Zuhörer historischen Grund und Boden. Einst waren hier die Wachmannschaften der „städtischen Bürgerwehr“ untergebracht. Nach deren Auflösung während der Napoleonischen Besatzung wurde hier Bier gebraut, anschließend Tabak verarbeitet und schließlich Pfefferkuchen hergestellt: Fußnoten der Geschichte. In dem Gartenhaus hinter dem Juwelier De Goudvis traten Pierre Vaiana (Sopransaxofon), Lode Vercampt (Cello) und Artan Buleshkaj (Gitarre) auf und entführten uns musikalisch nach Sizilien.
Lode Vercampt / Pierre Vaiana
Zu Beginn umwehte die Anwesenden ein warmer Wind, der aus der Sahara nach Europa wehende Scirrocco, der rötlichen Sandstaub mit sich trägt und sich bisweilen zu einem tropischen Wirbelsturm entwickelt. Doch davon merkten wir nichts, als wir „Vento“ hörten, dabei dem gestrichenen Cello und dem Sopransaxofon lauschten. Einen dahinziehenden und aufbrausenden Wind konnte man allerdings aus dem Saxofonspiel herausfiltern. Hier und da, auch bei den Passagen des Gitarristen, hatte man den Eindruck, ein Fado werde angestimmt. Der Gitarrist pflegte dabei einen klangklaren Stil, der in der Rockmusik von The Ventures bekannt ist.
Pierre Vaiana
Eine Hommage an die Geburtsstadt von Pierre Vaiana, dessen Eltern aus Sizilien nach Flandern kamen und sich in Waterschei niederließen. Nun also stand „Waterschei“ auf dem musikalischen Menü. Und nicht nur den Namen seiner Geburtsstadt verriet uns der Sopransaxofonist, sondern auch seine Hochachtung vor Rocco Granata (u.a. „Manuela“, „Marina, Marina“). Für viele Migranten italienischer Herkunft war Granata eine Art „Identifikationsfigur“. In der Tradition von italienischem Liedgut war das Stück „Waterschei“ gestaltet. Dabei hörte man Gitarrenklänge, die man in die 1950er und 1960er Jahre zu verorten hatte. Das gezupfte Cello bildete das Fundament für die vom Gitarristen vorgestellten Umspielungen des Themas. Die Harmonien signalisierten Abschied, Hoffnung, Sehnsucht, oder? Die Ohren spitzte man besonders beim ausgereiften Cellosolo und bei der musikalischen Frischzellenkur des Saxofonisten.
Lode Vercampt
Was es mit „Mòviti Fermu“ auf sich hatte, nämlich Handbewegungen, die Halt und Weitermachen signalisierten, erläuterte Vaiana, ehe er dann zu spielen begann. Nahezu nahtlos ging dieses Stück in „Kòsimo“ über, ehe es dann um „Sofía“ ging. Eröffnet wurde das letztere Stück durch den Saxofonisten, Lineares und Welliges verschmolzen, Liedhaftes war auszumachen. Das Stimmbild des Sopransaxofons erinnerte dabei eher an das eines Altsaxofons. Beinahe zerbrechlich muteten die Passagen an, die der Gitarrist vortrug. Mitgebracht von einer Reise nach Sizilien hatte Vaiana auch “Sur La Route de Valledolmo“. Er bezeichnete dieses Stück als eine Art musikalisches Road Movie. Mit Vaiana und seinem Trio durchstreiften wir nicht etwa eine unberührte, sondern eine von Menschenhand umgepflügte Landschaft. Das spürte man durch und durch in der Musik. Ein bisschen nach Tanzmusik oder Brass Band klang das letzte Stück. Dabei meinte der eine oder andere, dass der Gitarrist durchaus Ausflüge in Country und Blue Grass unternahm.
Vorhang auf für „Triology“
„Parker von Herzen“ stand auf dem Programm, auch wenn das Hauskonzert mit einer Komposition von Lee Konitz eröffnet wurde. Neben dem Trompeter Carlo Nardozza traten der Gitarrist Tim Finoulst und der in Mechelen beheimatete Kontrabassist Christophe Devisscher auf die „Bühne“ direkt unter dem Dach eines Stadthauses. Tropische Temperaturen herrschten und die Musik war nicht minder heiß.
Carlo Nardozza
Die melodischen Linien lagen wechselseitig in den Händen des Gitarristen und des Trompeters, die mit ihren jeweiligen Klangtönungen beeindruckten. Flink war das Fingerspiel von Finoulst, der sich in ausgeprägten Läufen erging. Gleichsam als zweite Stimme agierte im Verlauf des Konzerts der Bassist. Große und kleine Klangkreise nahmen wir obendrein wahr, dank auch an den Trompeter Carlo Nardozza. Dieser geizte auch nicht „Stakkato-Passagen“ als Beigaben. Klangstrudel steuerte der Bassist zu „Subconscious-Lee“ bei.
Christophe Devisscher
„Blues for Alice“ folgte als zweites Stück. Mit kurzen, sich wiederholenden Bassschlägen wurde das Stück aufgemacht. Fragil waren die Trompetenpassagen zunächst. „Himmelsphären“ ließ Nardozza im weiteren seinen Blechbläser erklimmen. Dabei war ein steter Flow wahrzunehmen, begleitet vom Gitarristen, der uns den Blues erahnen ließ.
Tim Finoulst
Beim Konzert war zu konstatieren, dass durch die ausgedehnten Improvisationen schon mal eine Viertelstunde mit einer Komposition gefüllt wurde. Das galt auch für Parkers „Just Friends“. Dabei schien Nardozza sein Instrument mit einem Gillespie-Impetus zum Klingen zu bringen, oder? Dies war dann auch das Finale des Konzerts, bei dem Nardozza noch auch die obige Albumveröffentlichung und die noch vorhandenen 2500 CD verwies, die einen Käufer suchen.
© Text und Fotos ferdinand dupuis-panther (fdp)
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