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Osterglocken sind in Belgien keine Narzissen

Von Anne Kotzan

Die Schaufensterdekorationen und das Warenangebot in den Supermärkten lassen keinen Zweifel aufkommen. Ostern steht vor der Tür. Bunt bemalte und dekorierte Eier sowie Hasen in allen Formen und Farben, verpackt in Stanniolpapier oder als pur lockende Schokolade läuten das Osterfest ein.

Nach alter Tradition kann man das Einläuten in Belgien sogar wörtlich nehmen, denn hier bringen eigentlich nicht die Hasen die Eier und verstecken sie für die Kinder, sondern hier übernahmen geflügelte Glocken diese Aufgabe, noch bevor das niedliche Tier mit den langen Ohren ins Spiel kam.

Der Legende nach fliegen am Gründonnerstag die Glocken aller Kirchtürme des Landes nach Rom, um sich dort segnen zu lassen. Folglich ist dann keine Glocke mehr in Belgien und deshalb hört man sie natürlich auch nicht läuten. Den meisten Bewohnern wird es nicht auffallen, man ist so daran gewöhnt. Doch vielleicht wird es der ein oder andere vermissen, aus Liebe oder Ärger über das tägliche Gebimmel. Jedenfalls: Ostern kommen sie zurück wie die Brieftauben – einst ein beliebter Volkssport in Belgien -, und sie bringen für die Kinder Geschenke mit. Wie der deutsche Hase verstecken sie bunte Eier und Süßigkeiten oder legen sie auch in aus Stroh gebastelte Nester der Kinder nieder.

Die Tradition der geflügelten Glocken gibt es auch in Frankreich, und bekannt ist die auch in Italien, doch im Zeichen von Industrialisierung und Globalisierung sind sie in Belgien vom Hasen verdrängt worden. Kein Zweifel, dass die süßen Kuscheltiere als Boten für Kinder mehr Anziehungskraft besitzen als Glocken, aber darüber wie es sich historisch zugetragen hat, gibt es unterschiedliche Theorien. Logisch scheint der Gedanke, dass der Protestantismus den Hasen als fantasievolles Zeichen gegen die christliche Vormachtstellung von Rom ins Spiel gebracht hat. So belegen historische Untersuchungen bereits in der Zeit der Reformation in Deutschland das erste Auftreten der Osterhasen.

Dagegen besteht kein Zweifel an der Symbolik der Eier als Zeichen von neuem Leben und Fruchtbarkeit. Auch in der Kunst spielt das Ei immer wieder eine Rolle. So betitelte die Schirn-Kunsthalle in Frankfurt im April 2022 ihre Ausstellung „Das Ei in der Kunst“ und zeigte darunter Arbeiten von Hieronymus Bosch und René Magritte, und auch in den Werken des international renommierten belgischen Künstler Marcel Broodthaers findet man das Ei.

Ostern ist zunehmend ein Frühlingsfest geworden, ein Fest, um gemeinsam mit Familie und Freunden zu schlemmen, Kinderfreuden mit Hasen und Eiern. Die christliche Überlieferung von Kreuzigung und Auferstehung hat einen Wandel erfahren, aber lebt in ihrer Symbolik fort. Und wenn man nun in Schaufensterauslagen Schokoladenglocken neben Hasen und Eiern sieht, hat man die alte belgische Ostertradition entdeckt und darf zudem von guter Qualität der Schokolade ausgehen.

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