Von Reinhard Boest
Seit Anfang April ist in Deutschland Erwachsenen der Besitz und der Konsum von nicht-medizinischem Cannabis zum persönlichen Gebrauch (bis zu 25 Gramm) unter bestimmten Bedingungen erlaubt, ab Juli auch der begrenzte Anbau, etwa im Rahmen von Anbauvereinigungen („Cannabis Social Clubs“). Der Verabschiedung des Gesetzes gingen sehr kontroverse Debatten voraus, und einen breiten Konsens darüber gibt es auch danach nicht. Die Regierungsmehrheit war sich der gesundheitlichen und sozialen Risiken des Cannabis-Konsums bewusst, gleichzeitig aber der Überzeugung, dass die bisherige Rechtslage die Probleme nicht lösen kann. Die teilweise Freigabe soll daher begleitet werden durch eine intensivere Aufklärung über Risiken verstärkte Prävention. Damit will man den illegalen Markt für Cannabis eindämmen und den Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessern. (Einzelheiten: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/infos-cannabis.html)
In Luxemburg sind Mitte 2023 die Regelungen für Cannabis zum persönlichen Gebrauch (bis zu drei Gramm) in der eigenen Wohnung gelockert worden. Die Niederlande praktizieren seit etwa 50 Jahren eine Politik der „Tolerierung“ in Bezug auf weiche Drogen wie Cannabis. Der Konsum ist nicht verboten, und der Besitz von geringen Mengen zum persönlichen Gebrauch (höchstens fünf Gramm oder fünf Pflanzen) wird toleriert, ebenso der Verkauf in den sogenannten „Coffeeshops“ (die ihrerseits bestimmten Einschränkungen unterliegen, darunter das Verbot des Verkaufs an Personen, die nicht in den Niederlanden ansässig sind). An der „Hintertür“ der Shops beginnt allerdings eine Grauzone, denn der Anbau von Cannabis ist in den Niederlanden weiter verboten, so dass die Gefahr groß ist, dass das verkaufte Cannabis aus kriminellen Strukturen stammt. Es wird schon seit längerem überlegt, das Problem durch einen staatlich kontrollierten Anbau zu lösen. Pilotprojekte sollten Anfang 2024 starten.
In Belgien ist man von einer gesetzlichen Regelung wie in Luxemburg oder Deutschland weit entfernt. Die rechtliche Grundlage bildet noch immer das Drogengesetz aus dem Jahr 1921, das zunächst nicht zwischen „harten“ und „weichen“ Drogen unterscheidet. Konsum, Besitz, Handel und Anbau sind verboten und strafbar. Für Cannabis soll es allerdings eine flexiblere Praxis geben. Die Verbote gelten auch hier, aber in bestimmten Fällen mit einer „abgeschwächten Verfolgungspriorität“: bei Besitz von geringen Mengen zum persönlichen Gebrauch durch Erwachsene (höchstens drei Gramm oder eine Pflanze) und wenn keine „erschwerenden Umstände“ vorliegen. Verboten bleibt Cannabis in Gefängnissen, Jugendeinrichtungen, in oder in der Nähe von Schulen oder Krankenhäusern. Die Rechtslage ist aber unsicher, denn die Toleranz in Bezug auf Cannabis ergibt sich nicht aus dem Gesetz, sondern beruht auf einem ministeriellen Rundschreiben, das nicht notwendig bei allen Staatsanwaltschaften im Land einheitlich umgesetzt wird. Auch in den eigentlich „tolerierten“ Fällen soll die Polizei ein Protokoll aufnehmen, das an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wird, die dann darüber entscheiden kann, ob ein Bußgeld verhängt wird oder nicht. Sogar die Höhe ist festgelegt: von mindestens 15 Euro für den ersten Verstoß bis 100 Euro oder einen Monat Gefängnis für einen dritten Verstoß innerhalb von zwei Jahren.
Seit April 2019 ist der Verkauf und der Konsum von Cannabidiol (CBD, „Cannabis light“), einem in der Cannabispflanze enthaltenen Wirkstoff, in Belgien erlaubt, wenn der Anteil an Tétrahydrocannabinol (THC, „klassisches Cannabis“) 0,2 Prozent nicht überschreitet. CBD hat nicht die mit THC verbundenen psychotropen Wirkungen und soll daher auch nicht abhängig machen. Der Europäische Gerichtshof hat 2020 entschieden, dass der Handel damit in der EU grundsätzlich zulässig ist. Man findet CBD etwa in spezialisierten Läden, von denen man im Brüsseler Zentrum inzwischen mehrere findet. Allerdings ist auch hier die Rechtslage diffus, denn bei einem Gehalt von mehr als 0,2 Prozent an THC gilt das Produkt als – verbotene – Droge, und der Unterschied lässt sich nur durch eine entsprechende Analyse feststellen.
Es ist offensichtlich, dass die belgische Drogenpolitik auch in Bezug auf Cannabis bisher wenig erfolgreich war. Davon zeugen nicht nur Bandenkriege im Drogenmilieu, sondern auch der ständig steigende Konsum von Cannabis. Sollten Änderungen vorgenommen werden, und wenn ja, welche? Kann man von den Erfahrungen in anderen Ländern lernen? Eine Patentlösung ist anscheinend noch nirgendwo gefunden worden.
Im Februar 2021, genau 100 Jahre nach Inkrafttreten des Drogengesetzes, hat sich der belgische Senat dieser Fragen angenommen. Nach dreijähriger Arbeit unter dem Vorsitz von Julien Uyttendaele (frankophone Sozialisten) hat der Senat Mitte April 2024 einen etwa 80-seitigen Informationsbericht vorgelegt, in dem er der Frage nachgeht, inwieweit das Gesetz von 1921 noch den heutigen Realitäten entspricht, vor allem im Hinblick auf Cannabis. Nach einer detaillierten Darstellung der Erfahrungen in anderen Ländern – neben den Nachbarländern Deutschland, Luxemburg und Niederlande auch den USA und Uruguay – werden die möglichen Auswirkungen unter sozialen, gesundheitlichen, ökonomischen und rechtlichen Aspekten untersucht sowie der Handlungsbedarf für die föderale, regionale und lokale Ebene erörtert. Der Bericht schließt mit acht Empfehlungen, darunter:
– mehr wissenschaftliche und klinische Forschung über Cannabis, insbesondere zu therapeutischen Zwecken;
– ein neuer rechtlicher Rahmen, der vor allem für Klarheit und Vorhersehbarkeit der anwendbaren Regelungen und eine Harmonisierung der Vollzugspraxis sorgt;
– die Festlegung einer Untergrenze, ab der Cannabiskonsum die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt und daher sanktioniert werden sollte;
– weiterhin repressives Vorgehen gegen Drogenkriminalität und schädliche Auswirkungen des Gebrauchs von Cannabis;
– Hilfsangebote an Cannabis-Konsumenten und präventive Maßnahmen;
– Umschichtung der bisher für die Verfolgung der Cannabis-Konsumenten eingesetzten finanziellen und administrativen Mittel zugunsten der Bekämpfung der Drogenkriminalität und der Zerschlagung der Verteilnetze.
Werden diese Empfehlungen Eingang in die Vorhaben für die nach den Wahlen im Juni anstehende künftige Koalition haben? Viele Fragen sind dabei weiter zu diskutieren, wie sich auch in den Ländern zeigt, in denen eine mehr oder weniger weitgehende Lockerung bereits praktiziert wird. Einen Hinweis darauf kann die Tatsache geben, dass der Bericht gegen die Stimmen der Senatsmitglieder der flämischen Christdemokraten (CD&V) verabschiedet wurde. Diese sind strikt gegen jede Freigabe von Cannabis. Und viel spricht dafür, dass die Partei auch der kommenden belgischen Föderalregierung angehören wird.
Belgien entwickelt sich immer mehr zur Insel, denn alle Nachbarländer pflegen einen anderen Umgang mit Cannabis, da wird es schwierig die Argumentation für eine Prohibition zu finden!
Legalisierung bzw.Entkriminalisierung bedeutet nicht, dass Cannabis harmlos ist, genauso wenig wie die Drogen Alkohol und Tabak mit ihren tausenden Toten jährlich harmlos sind.