Von Michael Stabenow
Eines muss man Bart De Wever lassen. Auch durch Rückschläge lässt sich der mit der Bildung einer neuen belgischen Regierung betraute Antwerpener Bürgermeister und Vorsitzende der nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA) nicht entmutigen. Am Montag hat Staatsoberhaupt König Philippe den Auftrag für den 54 Jahre alten Politiker um weitere zwei Wochen bis zum 25. November verlängert. Und es sieht so aus, als wolle sich De Wever nach Gedankenspielen um eine nur auf 76 der 150 Parlamentssitze gestützte und mit Sondervollmachten ausgestattete „Notregierung“ unter Einschluss der flämischen Liberalen (Open VLD) und ohne die flämischen Sozialisten wieder auf das Vorhaben der sogenannten Arizona-Koalition konzentrieren.
„Arizona“-Koalition wieder im Fokus
Nach dem Treffen mit dem Staatsoberhaupt hieß es in einer Erklärung De Wevers, es solle zuvörderst „nach einer stabilen Mehrheit“ gesucht werden. Im Klartext heißt dies, dass De Wever vorrangig wieder auf eine Koalition seiner N-VA mit den flämischen Christdemokraten (CD&V), den französischsprachigen Liberalen (MR)und der zentristischen Partei „Les Engagés“ sowie Vooruit setzt. Die flämischen Sozialisten hatten zuletzt zwar weiter Gesprächsbereitschaft erkennen lassen, De Wever aber vorgeworfen, immer wieder mit den gleichen Vorstellungen an den Verhandlungstisch zu kommen.
De Wever vertraut auf Diskretion und neue Gesprächsmethode
Vooruit-Parteichef Conner Rousseau hatte sogar den Verdacht geäußert, seine Partei solle aus den Koalitionsverhandlungen heraus gedrängt werden. Rousseau stößt sich insbesondere daran, dass De Wever bisher nicht stärker Besserverdienende zur Sanierung des zuletzt aus dem Ruder gelaufenen belgischen Staatshaushalts heranziehen wolle. De Wever will jetzt einen Ausweg aus der politischen Sackgasse finden, indem er auf Diskretion und eine neue Methode in den Gesprächen setzt. Das bedeutet offenbar, dass das bisher auf dem Verhandlungstisch liegende Grundlagenpapier aus den Gesprächen ausgeklammert und stattdessen Punkt für Punkt über einzelne Themen gesprochen werden soll. Am Anfang könnte dabei die besonders umstrittene Steuerpolitik stehen, bei der die Sozialisten auf Entgegenkommen der anderen vier Parteien pochen.
Gedankenspiele um flämische Liberale
Ob die neue Strategie von Erfolg gekrönt sein wird, steht noch in den Sternen. Allerdings haben die vergangenen Tage das Bewusstsein dafür gestärkt, dass in der derzeitigen politischen Konstellation letztlich kaum ein Weg an einem „Arizona“-Bündnis vorbeiführen dürfte. Möglicherweise dienten auch die jüngsten Gedankenspiele zu einem Fünferbündnis unter Einbeziehung der bei der Wahl am 9. Juni schwer abgestraften Liberalen des noch geschäftsführend amtierenden Premierministers Alexander De Croo dazu, den Fokus wieder auf die „Arizona“-Koalition zu richten.
CD&V-Chef Mahdi gegen „Koalition des Chaos“
Während sich die neue Open VLD-Vorsitzende Eva De Bleeker nicht vollkommen ablehnend gegenüber den N-VA-Avancen zeigte, reagierten „Les Engagés“-Parteichef Maxime Prévot und vor allem der CD&V-Parteichef Sammy Mahdi skeptisch auf den Vorstoß. Mahdi verwies im Rundfunksender VRT auf die mit einer Parlamentsmehrheit von nur einem Sitz verbundenen Risiken und sagte: „Eine Koalition des Chaos werden wir nicht unterstützen.“ Vielleicht mag man eine solche Konstellation auch deswegen nicht, weil man dann nicht mehr in der “Mitte” wäre.
Regierung ohne Mehrheit in Flandern wäre ein Tabubruch
Für ein gewisses Erstaunen hat zudem gesorgt, dass die N-VA sich offenbar ein Bündnis – ohne Vooruit und stattdessen mit Open VLD – vorstellen kann, das unter den flämischen Abgeordneten des föderalen Parlaments über keine Mehrheit verfügen würde. Die N-VA hatte in der Vergangenheit darauf beharrt, dass es eine Mehrheit auf flämischer Seite geben müsse. De Wever hatte noch vor wenigen Monaten in einer VRT-Debatte mit den anderen flämischen Parteivorsitzenden orakelt, ohne diese Mehrheit werde es ein „großes Problem“ geben.
Die größte Herausforderung dürfte für den N-VA-Parteichef jetzt darin bestehen, den Sozialisten Konzessionen anzubieten, ohne die anderen Koalitionspartner – insbesondere die französischsprachigen Liberalen – zu verprellen. Das persönliche Verhältnis zwischen De Wever und Rousseau gilt nach wie vor als ziemlich ungetrübt. In mehreren Städten, darunter in erster Linie Antwerpen, ziehen N-VA und Vooruit an einem Strang. Anders ist die Lage in Gent, der zweitgrößten Stadt Flanderns. Dort war der Plan, die N-VA an Stelle der Grünen an der örtlichen Koalition mit Open VLD und Vooruit zu beteiligen, nicht aufgegangen. Die sozialistische Parteibasis widersetzte sich erfolgreich dem Ansinnen und erreichte letztlich die jetzt von den örtlichen Mitgliedern der drei Parteien gutgeheißene Fortsetzung des bisherigen Bündnisses.
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