Von Ferdinand Dupuis-Panther
Schweiz/ Susch – Muzeum Susch Retrospektive Tapta – Flexible Forms bis 3. November 2024
Dies ist die erste große Retrospektive, die der polnisch-belgischen Künstlerin Tapta (1926-1997) außerhalb Belgiens gewidmet ist, dem Land, in das sie 1945 floh und in dem sie ab den 1960er Jahren ihre künstlerische Karriere entwickelte. Gemäß dem Gründungsauftrag des Muzeum Susch, das Werk internationaler Avantgarde-Künstlerinnen zu fördern, die übersehen oder falsch verstanden wurden und daher in Kunstinstitutionen auf der ganzen Welt nicht in gleichem Maße wie ihre männlichen Kollegen gewürdigt wurden, ist die aktuelle Ausstellung als ein Mosaiksteinchen des Museumskonzepts zu verstehen.
Tapta ist das Pseudonym von Maria Wierusz Kowalska, geboren 1926 als Maria Irena Boyé. Da sie und ihr Mann sich am Warschauer Aufstand 1944 beteiligt hatten, mussten sie fliehen und fanden in Belgien Aufnahme. Tapta studierte Weberei an der renommierten Nationalen Hochschule für Bildende Künste La Cambre/Ter Kameren in Brüssel, wo sie 1949 ihren Abschluss machte. Wie die Künstlerin zu ihrem Pseudonym kann, verdeutlicht der nachstehende O-Ton: „Meine ältere Schwester erzählte mir, dass ich einmal als kleines Mädchen alle meine Spielsachen in einem schönen Kreis angeordnet habe und anfing, zwischen ihnen zu tanzen und zu singen: “Ich bin Tapta, Tapta,Tapta.” Das gefiel der Familie, und ich wurde Tapta. Für immer Tapta.“
Die aktuelle Ausstellung zeigt zwei Perioden des künstlerischen Schaffens: die Textilarbeiten der 1960er bis 1980er Jahre sowie die Neopren-Arbeiten in den nachfolgenden Jahrzehnten bis Anfang der 1990er Jahre. Neben 26 textilen Originalarbeiten ist in der Ausstellung erstmals die einzigartige Rekonstruktion von Taptas Forms for a Flexible Space (1974) zu sehen, zudem Modelle und Großformatiges in Neopren, dabei den Eindruck von Stahlskulpturen im Geiste von Calder und anderen erweckend, oder? Dem Besucher kann unbedingt empfohlen werden, den mehrseitigen Ausstellungsflyer zur Hand zu haben. Nur so erfährt er etwas über die ausgestellten Werke.
Überaus beeindruckend ist die riesige Arbeit, die sich über mehrere Etagen im Treppenhaus des Museums erstreckt. Ob man beim Anblick an eine defragmentierte, in sich gedrehte Himmelsleiter oder an ein aufgehängtes Walskelett denkt, ist dem Betrachter selbst überlassen. Nun könnte die Arbeit von Tapta sein, aber sie ist es nicht: Es ist eine schwarze Metallskulptur, also aus einem Werkstoff, der nicht zu Tapta passt. Die Arbeit stammt von Monika Sosnowska und stellt, so die Künstlerin, eine massive, dekonstruierte Treppe dar, die fast eine Tonne wiegt und 14 Meter hoch über alle vier Stockwerke des Museums reicht.
Und was sehen wir dann noch bei unserem Rundgang durch die kleinschaigen Räume? Eine Unterwasserwelt mit Schirmpflanzen, die lianenartige Luftwurzeln haben. Aus dickem Tauwerk sind die einzelnen Elemente zusammengesetzt worden. Zwischen den Elementen gibt es freien Raum, der umschlossen wird. Man kann beim Anblick auch an eine Gruppe von Schirmpilzen denken, die langes Myzel entwickelt haben. Doch der Titel des Werks ist eher abstrakt: Forms for a Flexible Space. Dieser Werkstitel hebt auf das Skulpturale im Raum ab. Im gleichen Raum sehen wir auch einen fast wandfüllenden Textilbehang, ganz an die Tradition der einstigen Wandteppichweberei in Mechelen, Oudenaarde und Tournai anknüpfend und modern gewendet, so der Eindruck. Wellenförmig-faltig sind die Formen der „grobmaschigen Weberei“. In der Färbung des Wandteppichs wird von Dunkel über Hell nach Dunkel changiert, von Schwarz über Rostbraun, Gelbbraun, Sandfarben bis hin zu Schwarz. Wieso es allerdings zu dem Titel Quadratische Waage kommt, hätte man Tapta zu Lebzeiten fragen müssen. Übrigens, in diesem Werk wurden Wolle und Metallringe verarbeitet.
Des weiteren kann man unter anderem eine Webarbeit entdecken, die an eine Landschaft denken lassen, auch im Sinne von Aufsichten, die uns Paul Klee und Corneille hinterlassen haben. Die eingebundenen Metallelemente (?) in einer Arbeit ließen sich dabei als Dachlandschaften interpretieren. Zudem erblicken wir ein Werk in Blau- und Rotnuancen mit einem auffälligen weißen, durch vertikalen schwarzen Striche markierten Augenfleck. Monster oder Fabelwesen.
Gewebte, teilweise gedrehte Bänder fügte die Künstlerin zu einem Ganzen zusammen, teilweise sieht man aber auch Bänder mit Knotungen. Ist da nicht auch Haar in der einen oder anderen Arbeit eingebunden? In einer anderen Arbeit münden die Bänder mit Knoten in grob gewebte schmale Säcke oder Tragetaschen, wie sie traditionell von Papuans und australischen Indigenen gewebt wurden, um Lasten zu transportieren. Auch an archaische Fischreusen muss man bei den Sackgebilden denken, oder?
Ein kompletter Raum ist Modellen in Neopren gewidmet, die in ihrer Formensprache an die von Alexander Calder und Richard Serra oder Bernhard Heiliger erinnern. Dabei kopiert Tapta nicht, sondern entwickelt Eigenständiges, das aber in den Formenkanon der oben genannten Künstler durchaus Eingang finden könnte. Darüber hinaus sind auch weitere Neoprenarbeiten zu sehen, darunter eine, die an ein rundes Raumsegment mit aufgestelltem Türelement erinnert.
Info
MUZEUM SUSCH – https://www.muzeumsusch.ch
Anreise mit der Rhätischen Bahn aus Landquart, Klosters Dorf oder Pontresina oder mit dem Postbus aus Davos; mehr: https://www.sbb.ch/de.
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