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Fünf Titelanwärter: Antwerpen, Brügge und Brüssel, Genk und Gent

Zum Auftakt der Saison 2023/24 der „Jupiler Pro League“

Von Michael Stabenow

Die Fußballfans in Belgien können aufatmen. An diesem Freitag beginnt endlich die neue Spielzeit der „Jupiler Pro League“. Es geht abends gleich mit einem Knaller los. Im Brüsseler Stadtderby empfängt Royale Union Saint-Gilloise (RUSG) den Rivalen RSC Anderlecht, dem die Überraschungsmannschaft der vergangenen Jahre inzwischen den Rang abgelaufen hat.

Da „L´Union“ oder „Union“, wie der Verein in Belgien in den Landessprachen meist nur genannt wird, zuletzt einige namhafte Abgänge zu verzeichnen hatte, sind die Erwartungen für diese Spielzeit etwas gedämpfter. Und ob die „Mauves“ (Lilafarbenen), wie der lange übermächtige Nachbar aus dem Brüsseler Westen gerne bezeichnet wird, sein Image der „grauen Maus“ im Mittelfeld ablegen kann, wird ebenfalls bezweifelt.

Favorit Titelverteidiger Antwerp

Als Favoriten gelten neben dem überraschenden, vom ehemaligen FC-Bayernspieler Mark van Bommel trainierte Titelverteidiger Royal Antwerp FC abermals der im vergangenen Jahr durch schwankende Form oft enttäuschende FC Brügge und der KRC Genk. Mit einem Einlauf in dieser Reihenfolge rechnet zum Beispiel „Het Nieuwsblad“, neben „Het Laatste Nieuws“ die auflagenstärkste Zeitung des Landes.

Schwarz – mit der Aussicht auf den direkten Abstieg – sieht „Het Nieuwsblad“ für KV Kortrijk. Den Verein haben neben dem deutschen Trainer Bernd Storck nicht weniger als 15 Spieler verlassen. Eng dürfte es aber auch wieder für die fortan von Florian Kohfeldt, dem früheren Coach von Werder Bremen und dem VfL Wolfsburg, trainierte ostbelgische AS Eupen werden.

RWDM als dritter Verein aus Brüssel – aber mit ungewisser Zukunft

Bangen muss auch der (dritte) Brüsseler Verein RWDM, der nach Jahrzehnten im sportlichen Nirwana jetzt die Rückkehr in die erste belgische Liga geschafft hat. 2002 ging der Verein pleite, wurde dann unter der Bezeichnung „FC Brussels“ wiederbelebt, ehe er wieder unter altem Namen neu gegründet wurde. Mit dem ruhmreichen RWDM, der einst Spielerlegenden wie Paul Van Himst, den Niederländer Johan Boskamp und den späteren dänischen Nationaltrainer Morten Olsen in seinen Reihen gezählt hat und Mitte der siebziger Jahre Landesmeister wurde, hat der heutige Verein wenig zu tun.

Der starke Mann bei RWDM ist jetzt der amerikanische Geschäftsmann John Textor: Er hat auch bei dem englischen Erstligisten Crystal Palace, Olympique Lyon und beim brasilianischen Traditionsverein Botafogo das Sagen. Zuletzt erhielt die RWDM-Führungsspitze den Laufpass, wenige Tage vor Beginn der Saison auch Aufstiegscoach Vincent Euvrard. Neuer Trainer ist der Brasilianer Claudio Capaça, der vor allem durch seine Zeit als Spieler und Assistenztrainer in Lyon bekannt ist. Beim Ligaauftakt am Samstag gegen Genk, einem der Meisterschaftsfavoriten, wird auch die Offensivkraft Kylian Hazard fehlen. Und nicht nur das – der jüngere Bruder von Eden und Thorgan Hazard dürfte verletzungsbedingt noch monatelang ausfallen.

Erneuter Umbruch bei RUSG

Der noch ruhmreiche Stadtrivale Union, elf Mal belgischer Landesmeister, ist seit 2018 maßgeblich in Händen des britischen Investors Tony Bloom. Er ist ebenfalls Mehrheitseigner des südenglischen Erstligisten Brigthon & Hove Albion Football Club. Nach der erfolgreichen abgelaufenen Saison, in der Union Tabellendritter wurde und in der Europa-League im Viertelfinale Bayer Leverkusen unterlag, steht jetzt wieder ein Umbruch an.

Für den offenbar in Unfrieden gegangenen Erfolgscoach Karel Geraerts hat jetzt der Deutsche Alexander Blessing, der bereits den jetzt in die zweite Liga abgestiegenen KV Ostende trainiert hat, das Ruder übernommen. Dass sich Bayer Leverkusen Unions Stürmerstar Victor Boniface für angeblich 20 Millionen Euro Ablöse schnappte und Publikumsliebling sowie Mannschaftskapitän Teddy Teuma für fünf Millionen Euro zu Stade Reims wechselte, wird im Mannschaftsgefüge Lücken reißen. Ob sie Neulinge wie der Norweger Mathias Rasmussen (von Brann Bergen) oder Kevin Mac Allister (von Boca Juniors), ein Bruder des argentinischen Weltmeisters und jetzt für den FC Liverpool spielende Alexis Mac Allister, füllen können, bleibt abzuwarten. Allerdings könnte Union, wie andere Vereine auch, noch auf dem bis Anfang September geöffneten Transfermarkt zuschlagen.

Anderlecht konnte die Vereinskasse gut füllen

Zugeschlagen hat Brighton & Hove bei dem im vergangenen Jahr durch hervorragende Leistungen im Tor des RSC Anderlecht aufgefallenen Niederländer Bart Verbruggen. Für seine Verpflichtung soll der englische Verein 20 Millionen Euro hingeblättert haben. Das sorgt wiederum für einige Luft in der Vereinskasse des zuletzt finanziell eher klammen Brüsseler Traditionsvereins. Verpflichtet hat er bisher insbesondere den zuletzt an die TSG Hoffenheim ausgeliehenen dänischen Nationalstürmer Kasper Dolberg, ebenfalls für fünf Millionen Euro Ablöse den argentinische Angreifer Luis Vazquez (von Boca Juniors) sowie – ablösefrei – den als routiniert geltenden 30 Jahre alten französischen Torhüter Maxime Dupé vom Erstligisten FC Toulouse.

FC Brügge auf stabilem Kurs

Während erstmals seit Jahrzehnten wieder drei Vereine aus Brüssel in der ersten Liga spielen, kann Brügge weiter zwei aufweisen. Cercle Brügge hat das Image eines Fahrstuhlvereins abgelegt und hofft auch in der kommenden Spielzeit auf eine Mittelfeldplatzierung. Deutlich weiter nach oben orientieren sich Spieler und Vereinsführung des lang erfolgsgewöhnten FC Brügge. Mit dem norwegischen Trainer Ronny Deila, bisher Standard Lüttich, kamen mehrere Spieler für satte Millionenbeträge nach Brügge. Dazu zählen Michal Skóraś, polnischer Nationalspieler und bisher Flügelspieler von Lech Posen, der zuletzt in Bulgarien spielenden brasilianischen Stürmer Igor Thiago sowie der für fast acht Millionen Euro verpflichtete Mittelfeldspieler Hugo Vetlasen. Er kam vor 22 Jahren in Belgien zur Welt und war zuletzt beim norwegischen Erstligisten Bodø/Glimt unter Vertrag. Zumindest mehr Stabilität ist im „Venedig des Nordens“ zu erwarten- Allerdings haben mit dem niederländischen Nationalstürmer Noa Lang (für 15 Millionen Euro zum PSV Eindhoven) und Abwehrmann Clinton Mata (zu Olympique Lyon) zwei Stammspieler den Verein verlassen.

Der namhafteste Abgang beim Meister Antwerp FC betrifft den für angeblich neun Millionen Euro zu Eintracht Frankfurt abgewanderten Innenverteidiger Willian Pacho. Für drei Millionen Euro weniger soll der Verein den erst 16 Jahre alten Stürmer George Ilenikhena vom nordfranzösischen Zweitligisten SC Amiens verpflichtet haben. Ob der von Mark van Bommel erstmals seit 66 Jahren zum Titelgewinn geführte Verein, 1895 mit der Matrikelnummer 1 des belgischen Fußballverbands bedacht und deshalb auch gerne als „Great Old“ betitelt, mit einem weitgehend unveränderten Mannschaftskern um den routinierten Ex-Nationalspieler Toby Alderweireld das Meisterstück von 2023 wiederholen kann?

Genk und Gent mischen wieder mit

Die Meisterschaftspläne an der Schelde möchte natürlich gerne die Konkurrenz aus Brügge und Brüssel sowie aus Genk und Gent durchkreuzen. Bereits im Einsatz – nicht nur in Freundschaftsspielen – waren die Spieler des fünfmaligen Landesmeisters KRC Genk. Im Hinspiel der ersten Qualifikation für die Champions League reichte es für den amtierenden Vizemeister bei Servette Genf aus der Schweiz nur zu einem 1:1. Topeinkauf ist der für rund 5 Millionen Euro vom norwegischen Verein Sarpsborg 08 FF verpflichtete, 18 Jahre alte ghanaische Rechtsaußen Christopher Bonsu Baah. Sollte an den Gerüchten etwas dran sein, dass Genk seinen einstigen nigerianischen Stürmerstar Paul Onuacho aus Southampton zurückholen könnte, dann ist mit der Mannschaft von Trainer Wouter Vrancken auf jeden Fall zu rechnen.

Möglicherweise mischt auch AA Gent im Titelkampf abermals mit. Seit Trainer Henk van Haezebrouck, der den Verein 2015 zur Meisterschaft führte, 2020 zurückgekehrt ist, befindet sich der unlängst mehrheitlich vom ostflämischen Geschäftsmann Samo Baro übernommene Verein – zumindest spielerisch – wieder in ruhigerem Fahrwasser. Auch bei AA Gent spielt ein nigerianischer Stürmer eine Schlüsselrolle. 15 Tore hat der Anfang 2023 aus Norwegen gekommene trickreiche Flitzer Gift Orban in 16 Pflichtspielen erzielt. Das hat natürlich Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen, nicht zuletzt in Frankreich, für den Spieler geweckt, dessen Marktwert das Portal „Transfermarkt“ derzeit auf 20 Millionen Euro taxiert. Verlässt Orban jetzt den Verein, könnte AA Gent zwar die Vereinskasse ordentlich füllen, müsste aber wohl seine Ambitionen in der Meisterschaft zurückschrauben.

 

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