Aktuell, Europa, Wirtschaft

EU-Kommission untersucht belgische Beihilfe für KKW-Laufzeitverlängerung

Doel | Foto: Sammy Six CC BY 2.0 via FlickR

Von Rainer Lütkehus

In den Verhandlungen über eine neue föderale Regierung nach den Wahlen vom 9. Juni besteht zwischen den meisten (potentiellen) Partnern der « Arizona-Koalition » Einvernehmen, an der von der noch amtierenden Regierung beschlossenen Verlängerung der Laufzeit einiger Reaktoren um 10 Jahre nicht nur festzuhalten, sondern diese sogar noch weiter auszudehnen (siehe https://belgieninfo.net/engie-bremst-die-energie-ambitionen-der-arizona-koalition/)

Bisher ist aber noch nicht einmal die Verlängerung bis 2035 “in trockenen Tüchern”. Nach der Anmeldung der mit der Verlängerung verbundenen Beihilfen hat die Europäische Kommission jetzt eine vertiefte Prüfung beschlossen.

Sie vermutet in der im Dezember zwischen der belgischen Regierung und dem französischen Energiekonzern Engie geschlossenen Vereinbarung zur Laufzeitverlängerung der Kernreaktoren Doel 4 und Tihange 3 eine EU-rechtlich unzulässige staatliche Beihilfe. Die belgische Regierung hatte im Sommer 2023 beschlossen, die beiden Meiler, die über eine Gesamtkapazität von 2 GW verfügen, aus Gründen der Versorgungssicherheit und des Klimaschutzes bis mindestens 2035 laufen zu lassen. 

Obwohl die belgische Maßnahme gerechtfertigt erscheint, hat die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit den EU-Beihilfevorschriften“, heißt  es in einer Erklärung der EU-Wettbewerbsbehörde. Nun hat sie eine eingehende Untersuchung eingeleitet, um zu prüfen, ob die staatliche Unterstützung, die Belgien für die Laufzeitverlängerung dieser beiden Kernreaktoren gewähren will, mit den EU-Beihilfevorschriften im Einklang steht.

Weil Engie sich zunächst sträubte, die Laufzeit der beiden Meiler, die sie über ihre belgische Tochter Electrabel, zu 90 Prozent besitzt, zu verlängern, machte die belgische Regierung Zugeständnisse (siehe https://belgieninfo.net/belgische-regierung-einigt-sich-mit-engie-ueber-den-weiterbetrieb-von-doel-und-tihange/)

Belgischer Staat beteiligt sich an den Betriebskosten und übernimmt sämtliche Entsorgungskosten 

Die Zugeständnisse bestehen erstens darin, dass ein Gemeinschaftsunternehmen mit gleichen Anteilen des belgischen Staates und von Electrabel gegründet wird, das zusammen mit Luminus (EDF) Eigentümer der Kraftwerke und ihrer Produktion bliebe. Das Gemeinschaftsunternehmen soll mit einem Darlehen und Eigenkapital in Höhe von insgesamt 2 Milliarden Euro zur Deckung der für die Laufzeitverlängerung erforderlichen Investitionsausgaben ausgestattet werden, jeweils zur Hälfte von Electrabel und dem belgischen Staat. 

Zweitens finanziert der belgische Staat die Kosten und Ausgaben von Electrabel für die Entwicklungstätigkeiten vor und garantiert Electrabel über einen Differenzbetrag einen bestimmten operativen Cashflow für den Zeitraum der Laufzeitverlängerung. 

Drittens kann Electrabel seine Kosten im Zusammenhang mit der langfristigen und endgültigen Lagerung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente gegen Zahlung eines Pauschalbetrags von 15 Milliarden Euro an den Staat ablösen. Dafür musste es bisher regelmäßig in den dafür vorgesehenen Atomfonds “Synatom“ (Societe belge des Combustibles nucleaires Synatom) einzahlen. Der Fonds war eigenartigerweise in seinem Besitz, und Electrabel hat sich immer wieder Geld geliehen, weshalb die Mittel für die Atommüllentsorgung eigentlich nur buchhalterisch in Form von Rückstellungen zur Verfügung standen.

Was Letzteres betrifft, hatten sich in Deutschland die Kernkraftwerksbetreiber  RWE, Eon, EnBW und Vattenfall schon 2017 von ihren Verbindlichkeiten für die Atommüllentsorgung entledigen können, indem sie insgesamt 24 Milliarden Euro in den „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ (KENFO) einzahlten.

Ursprünglich wollte Belgien nach Maßgabe eines Gesetzes von 2003 im Jahr 2025 gänzlich aus der Kernenergie aussteigen. Von sieben Meilern sind derzeit noch fünf am Netz: Drei in Doel bei Antwerpen und zwei in Tihange, 57 km westsüdwestlich von Aachen. Sie decken 40 Prozent des belgischen Strombedarfs.

Leave a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.