Aktuell, Belgischer Alltag

Ein Wechselbad der Fahrgefühle: Unterwegs mit der Brüsseler Tram

Von Michael Stabenow

Hand aufs Herz! Genießen Sie die Straßenbahnlinien der Brüsseler Verkehrsgesellschaft STIB/MIVB? Ich war von Kindesbeinen an ein Fan der Betriebe, habe sogar vor wenigen Monaten auch öffentlich keinen Hehl daraus gemacht (Ein Bekenntnis zu den Brüsseler Verkehrsbetrieben – Belgieninfo).

Aber inzwischen sind mir doch ein paar Zweifel gekommen. Das liegt vielleicht daran, dass ich bevorzugt – besser gesagt: gezwungenermaßen – häufiger die Tramlinien 7 und 8 benutze.

Aber der Reihe nach. Steige ich in den Vormittagsstunden oder spät am Abend in eine Brüsseler Straßenbahn ein, mache ich es mir gemütlich auf einem der freien Sitzplätze und gleite einfach dahin. Selbst das charakteristische Vibrieren, das die auf der Linie 8 zwischen Louise/Louiza und Roodebeek offenbar gerne eingesetzte Baureihe 2000 seit Jahren kennzeichnet, kann meine gute Laune und die Freude an der Tram nicht trüben.

Anders kann es zuweilen zu den Hauptverkehrszeiten aussehen – ein regelrechtes Wechselbad der Fahrgefühle. Da ist man auf der Linie 8 zunächst ganz froh, wenn nicht eine Bahn der Baureihe 2000, sondern der längeren und geräumigeren Serie 3000 auftaucht. Aber was heißt schon geräumiger? 2,30 Meter ist die Standardbreite beider Baureihen. Wenn man das Glück hat, einen der gut 50 Sitzplätze zu ergattern, dann am besten in oder entgegen, aber nicht quer zur Fahrrichtung. Dann muss man nämlich mit gut angewinkelten Beinen sitzen, auch wenn die Verlockung noch so groß sein mag, die Füße an der nicht weit entfernten Gegenseite abzustützen.

In der Praxis kann aber von solcherlei Versuchung keinerlei Rede sein. Schnell füllen sich die knappen Zwischenräume mit Fahrgästen, und die Luft kann schon mal ziemlich stickig werden. An einigen Haltestellen kommt es zu einem regelrechten Geschiebe an den Türen. Offenbar haben manche Fahrgäste Probleme mit der Vorstellung, dass es besser sein könne, zunächst ausstiegswillige Fahrgeäste sich einen Weg nach draußen bahnen zu lassen, ehe sich die Tram wieder fast bis zum Platzen füllen kann.

Aber, werden Sie vielleicht jetzt einwenden, auf der Linie 7 – zwischen Vanderkindere und Heysel/Heizel – wird´s doch besser aussehen. Mitnichten! Ja, da werden zwar Züge der fast 43 Meter langen sowie 66 Sitze und insgesamt fast 250 Fahrgästen Platz bietenden Baureihe 4000 eingesetzt. Aber bei einer Fahrzeugbreite von ebenfalls 2,30 Meter und ähnlich angeordneten Sitzen wie bei den Baureihen 2000 und 3000 sieht es mit dem Fahrkomfort meist auch nicht viel besser aus. An der durch die halben Stadt fahrenden Linie 7 kommen viele Brüsselerinnen und Brüsseler einfach nicht vorbei.

Und, werden sie nun bestimmt fragen, wie sieht es mit der Brüsseler Metro aus? Ja, klar, da kann es auch ziemlich eng werden. Mit rund 750 Fahrgästen kann ein sechs Waggons umfassender Zug dreimal so viele Passagiere transportieren wie eine Straßenbahn der Baureihe 4000. Aber man hat eigentlich nicht den Eindruck, dass die Fahrzeuge der jetzt mehr und mehr eingesetzten Baureihe M7 mit 2,70 Meter nur 40 Zentimeter breiter sind als die in Brüssel gängigen Straßenbahnen. Bequem können auf der einen Seite der Waggons jeweils zwei Fahrgäste nebeneinander Platz nehmen, während gegenüber, auf der anderen Seite, quer zur Fahrtrichtung Sitzgelegenheiten zur Verfügung stehen.

Also nicht meckern und ausschließlich die Metro benutzen? Leichter gesagt als getan in der 19 Gemeinden und derzeit vier U-Bahnlinien zählenden belgischen Hauptstadt. Aber nicht verzagen! So verkehren auf manchen Straßenbahnlinien immer noch in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderte erworbene Gefährte amerikanischer Bauart der Serien 7800 und 7900. Ja, die sind gerade einmal 2,20 Meter bereit. Abe sie bieten, wie die U-Bahn, nicht nur Platz für nebeneinander sitzende Fahrgäste, sondern auch recht bequeme Stoffpolster.

Wer solcherlei Komfort am eigenen Leib erfahren möchte, nehme vom U-Bahnhof Montgomery aus die Linie 44 – ja, am besten auch in diesem Fall nicht unbedingt zu den Hauptverkehrszeiten. Vielleicht fühlen Sie sich dann, an den prächtigen Häuser der Avenue de Tervuren, dann am Straßenbahnmuseum und an den Teichen des Parc de Woluwé vorbei und schließlich durch den Wald zur Stadtgrenze gleitend, sogar ein wenig wie Gott in Brüssel.

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