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Belgiens neue Regierung: Die N-VA lässt grüßen

Übergabe: di Rupo, Michel
Übergabe: di Rupo, Michel

Nach viereinhalb Monaten Unterhandelns hat Belgien eine neue Regierung. Sie setzt sich aus flämischen Nationalisten, Christendemokraten und Liberalen sowie aus wallonischen Liberalen zusammen. Neuer Premier ist der französischsprachige Liberale Charles Michel. Die Mitte-Rechts-Regierung löst die Mitte-Links-Regierung von Ex-Premier Elio Di Rupo ab. Und auch sonst wird ein völlig neuer Kurs gefahren.

Vergangenen Samstag wurde Belgiens neue Regierung vereidigt. Sie besteht aus 13 Ministern plus dem Premier. Sieben Minister kommen aus dem Norden des Landes, sieben, Premier inbegriffen, aus dem Süden.

Die flämisch-nationalistische N-VA entsandte Jan Jambon als Innenminister, Johan Van Overtveldt  als Finanzminister und Steven Vandeput als Verteidigungsminister nach Brüssel. Von der christdemokratischen CD&V kommen Kris Peeters als Minister für Wirtschaft und Außenhandel und Koen Geens als Justizminister. Die liberale Open VLD stellt Alexander De Croo als (u.a.) Minister für Entwicklungszusammenarbeit sowie seine Parteifreundin Maggie De Block als Sozial- und Gesundheitsministerin.

Die wallonische liberale MR (Mouvement Reformateur) steuert sechs Minister bei. Didier Reynders ist Außenminister, Hervé Jamar ist für den Haushalt zuständig, Daniel Bacquelaine für die Pensionen, Willy Borsus (u.a.) für die Landwirtschaft, Marie-Christine Marghem für Energie und Jacqueline Galant für Verkehr und Mobilität.

Spiegelbilder

Die neue Regierung unterscheidet sich grundlegend von der bisherigen, die sich aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen zusammensetzte. Der größte Unterschied ist, außer der rechtsliberalen Ausrichtung, dass sie aus drei flämischen Parteien und nur einer französischsprachigen Partei besteht. Das hat es in Belgien noch nie gegeben. Bisher wurde peinlich genau darauf geachtet, dass die Föderalregierung spiegelbildlich den Norden und den Süden des Königreichs vertrat.

Der Grund für dieses Ungleichgewicht ist der hohe Stimmenanteil, den die N-VA bei der Parlamentswahl am 25. Mai errungen hat. Als stärkste Partei des Landes, dessen Bürger nur die Parteien ihres jeweils eigenen Bundeslandes wählen können, führte bei der Regierungsbildung kein Weg an den flämischen Nationalisten vorbei. Jedoch gibt es kein Pendant der N-VA im Süden. Außerdem weigerten sich die sozialdemokratischen und grünen Parteien Flanderns und der Wallonie, zusammen mit den flämischen Nationalisten zu regieren.

Nur drei Frauen

Die neue Regierung besteht aus elf Männern und nur drei Frauen. Einen so geringen Anteil an Frauen hat es seit fünfzehn Jahren nicht mehr gegeben. Es fällt auch auf, dass die meisten neuen Minister um die 40 sind. Der neue Premier Charles Michel ist 38, der bisher jüngste aller bisherigen belgischen Premiers. Eigentlich war der Flame Kris Peeters von der CD&V als Premier vorgesehen. Aber er musste seinen Platz Michel räumen, als die flämische Christdemokratin Marianne Thyssen EU-Kommissarin wurde: Die EU hatte von Belgien eine Frau gefordert, eine andere kam nicht in Frage und zwei dermaßen bedeutende Ämter schienen zu viel des Guten für eine relativ kleine Partei.

Weiter fällt das Übergewicht der N-VA in der Regierung auf. Sie hat die drei schweren Portefeuilles Innenpolitik, Finanzpolitik und Verteidigungspolitik inne. Der neue Innenminister, der Flame Jan Jambon, ist ein Hardliner der N-VA. Kurios und bedenklich ist, dass er ein Land verwaltet, welches er, getreu dem Programm seiner Partei, eigentlich abwickeln will. Dies signalisierte Jambon auch gleich bei der Vereidigung durch den König: Anstatt die Schwurhand zu erheben, deutete er mit Zeige- und Mittelfinger das V-Zeichen seiner Partei an. Anschließend sagte er, er habe im Reflex gehandelt.

Zwar hat die N-VA sich vorerst von ihren Spaltungsplänen getrennt. Aber die Konflikte sind programmiert. Charles Michel gilt als ein Mann des Ausgleichs; ob er es schafft, die bisher demonstrierte Solidarität der Regierungspartner zu bewahren, das wird sich erweisen. Einig sind sich bisher alle Parteien in der Überzeugung, dass Belgien seine Staatsfinanzen sanieren muss. Die Sparpolitik der belgischen Regierung schließt sich an die Flanderns an; vor allem der soziale und der kulturelle Sektor werden eingeschrumpft.

Wallonie gegen Flandern?

Die Wallonie geht derweil ihren eigenen, linken Weg. Dort regieren fortan die Sozialdemokraten in einer Koalition mit den Humanisten (CDH). Noch nie klaffte die Politik Flanderns und der Wallonie so weit auseinander. Flandern profiliert sich zunehmend als nationalistisch-konservativ, die Wallonie als sozialistisch.

Bart De Wever, Chef der N-VA, hat sich entschieden, Bürgermeister Antwerpens zu bleiben. Aber am Abend der Regierungsvereidigung hat er seine Bereitschaft erklärt, zum vierten Mal Parteivorsitzender zu werden. Im Prinzip können belgische Parteivorsitzende nur ein einziges Mal wiedergewählt werden.

In seiner Funktion als Vorsitzender der flämischen Nationalisten kann De Wever einen erheblichen Einfluss auf seine Minister ausüben. Im Hintergrund hat er auch die Fäden der Regierungsbildungen in Flandern und Belgien gezogen – in der Stadtregierung Antwerpens sowie den Regierungen Flanderns und Belgiens sind die gleichen Parteien vertreten. „Diese Koalition wollte ich“, verkündete der N-VA-Vorsitzende nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen. Der Presse stand er in den vergangenen viereinhalb Monaten nicht zu Wort.

In fünf Jahren gehen die Belgier abermals zur Wahlurne. Fünf Jahre, in denen die N-VA ihre Pläne weiter reifen lassen kann. Und in denen De Wevers Mythos noch wachsen wird, weil er aus dem Scheinwerferlicht bleibt. Belgien wird noch lange nicht zur Ruhe kommen.

Marion Schmitz-Reiners

 

Marion Schmitz-Reiners

One Comment

  1. Reinhard Weber

    Belgien schrödert. Das ist keine schlechte Meldung für ein Land, das bisher damit beschäftigt war, 3,5 Regionen und ihre Politiker zu alimentieren, immer wieder mal soziale Geschenke auszuteilen und die Steuern im EU-Vergleich besonders hochzuhalten. Wenn dann die N-VA mitmacht, bestens. Besonderen Ruhm hat diese Partei nicht verdient, weil sie hilft, das belgische Portemonnaie zu schließen. Und schon gar nicht jener Parteivorsitzende, der sich abseits stellt, keine föderale Verantwortung übernehmen mag, und nur seine “Belgie barst”-Politik für ein paar Jahre einmottet. Gerhard Schröder hatte seiner umstrittenen Spar-Agenda reichlich Diskussionen vorangestellt; ob der junge Charles Michel eine entsprechende Basta-Politik will und durchhalten kann, ist mehr als zweifelhaft. Vor allem in der Wallonie, wo etwa zwei Drittel der Bürger die neue föderale Regierung nicht gewählt haben, wird er es schwer haben. Damit wird die belgische Nabelschau weitergehen, den Sprachgrenzen entlang. Die Pensionen werden korrigiert, Bildungsaufgaben zurückgefahren, aber wer versucht, die Schere zwischen jenen, die haben und jenen, die nicht haben, zu schließen?

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