Das Löwener Museum M bietet bis Mitte Januar zahlreiche Werke des flämischen Primitiven– und eine überraschende Ausstellungsregie
Von Michael Stabenow
Was ist zeitgemäß? Als wir vor einigen Jahren die Hauptattraktion der Löwener Sint-Pieterskerk, das 1464 bis 1468 entstandene Altarbild „Das letzte Abendmahl“, in Augenschein genommen haben, wurde uns als Maler Dirk Bouts genannt. Das 2,90 Meter breite und 1,80 Meter hohe Kunstwerk ist derzeit und noch bis zum 14. Januar 2024 im Löwener Museum M zu bewundern – als eines von zahlreichen, aus aller Welt für die Ausstellung „Dieric Bouts. Bildermacher“ zur Verfügung gestellten Exponaten. „Dirk“ sei einfach die moderne Fassung von „Dieric“, teilt das Museum mit und fährt fort: „Wir buchstabieren seinen Namen gegenwärtig, wie wir ihn in Archivstücken vorfinden.“
Ob „Dieric“ oder „Dirk“ oder auch „Leuven“ statt „Löwen“, wie die altehrwürdige Universitätsstadt inzwischen auch häufiger in deutschsprachigen Publikationen genannt wird – es geht um das schöpferische Vermächtnis eines Künstlers, der neben Jan van Eyck und Rogier van der Weyden zu den herausragenden Vertretern der „Flämischen Primitiven“ gezählt wird. Geboren wurde Bouts vermutlich zwischen 1410 und 1420 im nordholländischen Haarlem. Gegen Mitte des 15.Jahrhundert kam er in die damals wirtschaftlich und kulturell aufblühende Universitätsstadt, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1476 lebte und wirkte.
Die Ausstellung verdeutlicht anschaulich, was den besonderen Charakter von Malern wie Bouts ausmacht: es ist die Einbettung biblischer Ereignisse in das Stadt- und Landschaftsbild des ausgehenden Mittelalters. Auf seinem bekanntestem Werk – „Das letzte Abendmahl“ – tragen Jesus und seine Jünger folgerichtig zeitgenössische Gewänder. Auch in diesem Gemälde kommt das Streben nach Ruhe zum Ausdruck, das Bouts die Bezeichnung „Maler der Stille“ beschert hat. Außerdem zeichnet sich sein Wirken durch ein nicht zuletzt vom italienischen Künstler Giotto di Bondone übernommenes Stilmittel aus: die Technik der Fluchtpunkte, die einen räumlichen Eindruck auf Gemälden vermitteln.
Was die Ausstellung in Löwen besonders macht, sind nicht nur die von verschiedenen Museen – zum Beispiel dem Pariser Louvre, der National Gallery in London, dem Prado-Museum in Madrid und den Staatlichen Museen zu Berlin – geliehenen Werke des Künstlers. Es ist die in mehreren Räumen der Ausstellung durch den Kurator Peter Carpreau bewusst gewählte Kombination der spätgotischen Werke mit zeitgenössischer Kunst. So hängt ein Porträt der belgischen Radsportlegende Eddy Merckx neben einem Gemälde von Bouts. An anderer Stelle stößt man unvermittelt auf eine Zeichnung des amerikanischen Regisseurs Steven Spielberg für den Film „Star Wars“.
Nicht alle Besucher der Ausstellung dürfte dieses Konzept überzeugen. Eigentlich lässt die geschickt gewählte Beleuchtung die Werke von Bouts und einiger anderer Künstler der damaligen Zeit – trotz der zuweilen brutalen Motive der Gemälde – ruhig und harmonisch erscheinen. Das gilt besonders für das 1467 fertiggestellte Hauptwerk „Das letzte Abendmahl“, mit dem die Ausstellung im abschließenden Raum endet.
Es handelt sich um eine Auftragsarbeit der Bruderschaft des Heiligen Sakraments. Durch das rötliche Licht und die Tatsache, dass man sich, wenn nicht zu großes Gedränge herrscht, bis auf wenige Zentimeter dem durch eine Glasscheibe geschützten Altarbild annähern kann, kommt es sogar noch besser zur Geltung als an seinem angestammten Platz im der Schatzkammer der Löwener Hauptkirche.
Warum haben sich Kurator Carpreau und der eng an der Gestaltung der Ausstellung beteiligte flämische Karikaturist Lectrr für dieses Konzept entschieden? Die Werke von Bouts und der Künstler der Gegenwart seien im Spiegel der jeweiligen Epoche zu begreifen. Dabei gehe es darum, mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Techniken zu Aussagen zu gelangen, heißt es auf der Website von Museum M. Das gelte heutzutage zum Beispiel für Science Fiction-Filme, bei denen der Zuschauer durch das Nebeneinander von Realem und Irrealem – wie für den Film Stars Wars entworfene Lichtschwerter – in das Geschehen hineingezogen werde.
„Bouts arbeitet genauso so“, sagt Lectrr. Der Maler habe für sein Meisterwerk den Hintergrund des damals entstandenen Rathauses gewählt. „Natürlich sind Jesus und seine Apostel niemals wirklich in Löwen essen gegangen – schon allein deshalb, weil das gastronomische Angebot dort um das Jahr Null herum (lacht, Anm. der Redaktion) ziemlich begrenzt war. Aber dennoch ist die Kombination realistisch“, erläutert Karikaturist Lectrr.
Ähnlich äußert sich Kurator Carpreau: „Betrachtet man Bouts als Bildermacher und nicht als Künstler“, wird es viel interessanter. Weil man dann freier, ohne das Gewicht all seiner Kenntnisse, blicken kann. Darum sind wir auf die Idee gekommen, sein Werk demjenigen gegenwärtiger Bildermacher gegenüberzustellen: Fotografen, Regisseure, Spiele-Entwickler, Cartoonisten wie Lectrr“, sagt Carpreau.
Der Kurator ist überzeugt, dass das Experiment gelungen sei. Es gehe darum, das Bewusstsein des Betrachters für mögliche Manipulationen durch Bilder zu schärfen. „Bouts benutzte Bilder als rhetorisches Mittel, um Menschen zu überzeugen: in diesen Instagram-Zeiten ist das ausgesprochen aktuell“, sagt Carpreau.
Auch ohne solcherlei Erkenntnisse kommen die Besucher der Ausstellung auf ihre Kosten. Zu sehen ist nicht nur das ebenfalls normalerweise in der Sint-Pieterskerk hängende Werk „Martyrium des Heiligen Erasmus“. Aber wann kann man in Löwen schon Bouts-Tableaus wie das üblicherweise in der Gemäldegalerie Berlin hängende Gemälde „Ecce Agnus Dei“ oder das aus dem Museum Barnard Castle in Nordostengland entliehene Meisterwerk „Der heilige Lukas zeichnet die Madonna mit Kind“ bestaunen?
Hilfreich sind auch die verfügbaren Audioführer für Groß und Klein. Wer mehr hinter die Kulissen der Ausstellung schauen und eine Einordung der Werke erhalten will, dem sei folgender Link empfohlen: Pionier der Ölmalerei: Dieric Bouts im M-Leuven (faz.net).
Die Ausstellung „Dieric Bouts. Beeldenmaker“ läuft noch bis zum 14.Januar 2024 im Museum M, Leopold Vanderkelenstraat 28, 3000 Leuven. Das Museum ist ungefähr zehn Minuten vom Löwener Bahnhof gelegen. Eine Tiefgarage für Autofahrer befindet sich unter dem nur ein paar Schritte vom Museum entfernten Ladeuzeplein.
Öffnungszeiten täglich von 11 bis 18 Uhr, am Donnerstag bis 22 Uhr. Mittwochs geschlossen. Eintrittspreis (nicht nur für die Ausstellung) für Erwachsene 12 Euro, Kinder bis 18 Jahren haben kostenfreien Zugang. Vorbestellt werden können Eintrittskarten unter Alle expo’s inclusief ‘DIERIC BOUTS. Beeldenmaker’ en de M-collectie – Ticketmatic
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