Von Heide Newson
Das Ziel, Plastikmüll zu reduzieren, und das Recycling zu vereinfachen, ist völlig richtig, und wird von der Mehrheit nicht nur belgischer Bürger begrüßt. Dass es zuviel Verpackungen gibt, kann man auch jede Woche sehen, wenn sich große Mengen an Kartons, oft mit der Aufschrift verschiedener Lieferdienste, am Straßenrand türmen, damit die Müllabfuhr sie mitnimmt. Seit Jahren bemühen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten, dem Verpackungsmüll Herr zu werden. Dazu gehören Zielwerte für die Reduzierung, Mehrwegsysteme, Recycling oder einfach die Vermeidung von unnötigen Verpackungen. Die entsprechende EU-Richtlinie ist jetzt fast 30 Jahre alt, so dass eine gründliche Überarbeitung geboten war. Die Europäische Kommission hat dazu vor einem Jahr einen umfangreichen Vorschlag präsentiert. Dieser wird seither von den Mitgliedstaaten im Rat und im Europäischen Parlament diskutiert, und zwar auch in wichtigen Fragen durchaus kontrovers Das hat außer Insider bisher kaum jemanden interessiert, obwohl die Regelungen für jeden EU-Bürger am Ende relevant sein dürften.
Jetzt aber, kurz vor dem absehbaren Ende des Gesetzgebungsverfahrens, findet ein vergleichsweise banales Detail der Verordnung den Weg in die Schlagzeilen und wird als weiteres Beispiel der hemmungslosen EU-Bürokratie gebrandmarkt.
Der Stein des Anstoßes ist die Tatsache, dass in dem kritisierten Vorschlag ein Verbot von Papiertütchen für Zucker, Salz, Pfeffer oder Süßstoff in Horeca-Betrieben vorgesehen ist. Von dieser Regelung Betroffene kritisieren, dass der zuständige Umweltausschuss “mal wieder weit über das Ziel hinausschieße”. Man verliere sich in absurden Details, so nicht nur die Kritik von Restaurantbesitzern, von denen viele nach der Covid-Pandemie noch immer ums Überleben kämpfen.
Kein Wunder, dass die Aufregung groß ist, umso mehr, da eine Mehrheit im Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ein Verbot von Einzelverpackungen in Restaurants unterstützt. Besonders ärgerlich finden es die Betroffenen, dass im Europäischen Parlament, der Kommission und im Ministerrat diese Tütchen benutzt werden (wenn das Verbot kommt, wäre damit aber natürlich auch hier Schluss).
Als Fürsprecher im Kampf um das Tütchen zeigt sich jetzt der deutsche CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. “Meine Fraktion tritt dafür ein, dieses Verbot aus dem Vorschlag zu streichen,“ kündigte er an. Diese Tüten bestünden überwiegend aus Papier. So wichtig war ihm die Kontroverse, dass er sich in dieser Angelegenheit sogar an Parlamentspräsidentin Roberta Metsola wandte, mit der Bitte zu prüfen, ob man nicht auf diese Verordnung verzichten könne. „Wir können doch nicht ernsthaft anderen etwas verbieten, was wir selber benutzen,“ betonte er. Die Verordnung enthalte bereits zahlreiche Maßnahmen, um Abfall zu reduzieren und solle vielmehr so gestaltet sein, dass die Verpackungen künftig leichter recycelt werden können. Außerdem solle lieber Leerraum in den Verpackungen vermieden werden. In der Benutzung kleiner Tütchen sehe er nun wirklich keine Umweltprobleme. Außerdem würden die Tütchen, die oft mit lustigen Logos versehen sind, gerne gesammelt.
Es bleibt abzuwarten, ob es bei der Plenarabstimmung in der Woche vom 20. bis 24. November eine Mehrheit für die Streichung dieses Verbotes geben wird. Das Verbot mag übertrieben sein, und es findet vielleicht auch bei den Mitgliedstaaten keine Mehrheit – obwohl es ja früher auch mit Zucker- und Salzstreuern auf den Tischen gegangen ist. Und das Recycling von Papiertütchen funktioniert auch nur dann, wenn sie leer sind.
Dennoch stellt sich die Frage, ob man anhand einer solchen Detailfrage nicht nur den von einer breiten Mehrheit getragenen Kampf gegen immer mehr Müll in Frage stellen sollte, sondern gleich die ganze EU-Gesetzgebung. Ein Blick etwa in die deutsche oder belgische Gesetzgebung über Verpackungen zeigt, dass diese kaum weniger bürokratisch sind. Und für Belgien ist es doch ein Fortschritt, dass künftig eine EU-Verordnung drei regionale Dekrete in Flandern, der Wallonie und Brüssel ersetzt.
Nachtrag: am 22. November 2023 hat sich das Plenum des Europäischen Parlaments mit knapper Mehrheit (329 gegen 280 Stimmen) dafür ausgesprochen, das Verbot von Zuckertütchen – ebenso wie Einzelverpackungen für Kaffeesahne, Senf, Mayonnaise usw. – aus der Verordnung zu streichen. Jetzt ist abzuwarten, wie sich die Mitgliedstaaten im Rat positionieren (dort ist der Absatz bisher nicht gestrichen) und worauf sich anschließend Rat und Parlament einigen. Das Zuckertütchen bleibt vorerst auf dem Tisch…
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