
Wie der belgische Kandidat im Rennen um den Vorsitz der Eurogruppe wegen des Streits um die Freigabe der in Brüssel lagernden russischen Milliardenguthaben zugunsten der Ukraine auf der Strecke blieb
Von Michael Stabenow
Belgien hat als Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) im Jahr 1957 fast sieben Jahrzehnte lang Erfahrungen im geschickten Umgang mit seinen europäischen Partnern sammeln können. Insofern ist es bemerkenswert, wie der als Favorit im Rennen um die Nachfolger des irischen Eurogruppenvorsitzenden Paschal Donohue gegangene belgische Haushaltsminister Vincent Van Peteghem den Kürzeren gegen den erst seit März amtierenden griechischen Finanzminister Kyriakos Pierrakakis gezogen hat.
Der 45 Jahre alte, aus der Umgebung von Gent stammende Christdemokrat Van Peteghem zieht besonnene Auftritte lautem Gepolter vor. Von Herbst 2020 bis Anfang 2025 hatte er sich als belgischer Finanzminister auch im Kreis seiner Kollegen aus den übrigen 19 Mitgliedstaaten des Euroraums einen Ruf als kompetenter und verbindlicher Partner erworben. Insofern konnte es nicht überraschen, dass nicht der neue Finanzminister Jan Jambon von den flämischen Nationalisten (N-VA), sondern Van Peteghem auch nach dem Wechsel in das Haushaltsressort weiter Belgien in der Eurogruppe vertritt.
Als der Ire Donohue sich im Herbst in Richtung Weltbank verabschiedete, schien die Nachfolge auf Van Peteghem zuzulaufen. Der meist behutsam auftretende Flame war sich seiner Sache offenbar so sicher, dass er frühzeitig Ambitionen auf die Nachfolge Donohues erkennen ließ. Dann jedoch kam alles anders. Nicht Van Peteghem, sondern der drei Jahre jüngere, ebenfalls der christlich-demokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) angehörende Pierrakakis erhielt in der vergangenen Woche die Unterstützung einer Mehrheit der europäischen Amtskollegen.
Vordergründig schien es, als sollten Griechenland und sein Finanzminister nun für die Gesundung der Staatsfinanzen belohnt werden – jenes Landes, das der einstige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor einem Jahrzehnt wegen der miserablen Haushaltslage aus dem Euroraum werfen wollte. Tatsächlich werden Pierrakakis, der von 2019 an für mehrere Jahr das Digitalressort in der griechischen Regierung innehatte, große Verdienste beim Bürokratieabbau und bei der Reform der öffentlichen Verwaltung zugeschrieben.
Dass Belgien sich trotz der jüngsten Sparbeschlüsse der Arizona-Koalition derzeit schwerer als Griechenland tut, die Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen, erscheint als ein Argument, das gegen Van Peteghem gesprochen hat. Ein Vorsitzender eines Gremiums, das den Euroraum auf den Pfad der haushaltspolitischen Tugend geleiten soll, dessen Regierung sich jedoch nach wie schwertut, die öffentliche Schuldenberge abzutragen? Aber dieses Argument scheint am vergangenen Donnerstag für die Wahl von Pierrakakis und die Pleite für Van Peteghem nicht ausschlaggebend gewesen zu sein.
Vielmehr lag der Hauptgrund für Van Peteghems Scheitern wohl in der Hartnäckigkeit Belgiens im Streit um die Freigabe von 140 Milliarden Euro an russischen Vermögenswerten, die bei der in Brüssel ansässigen Finanzgruppe Euroclear eingefroren sind. Nicht alle, aber eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten will die Gelder zur Unterstützung der Ukraine nutzen. Belgien beharrt aber auch kurz vor dem am Donnerstag in Brüssel stattfindenden EU-Gipfeltreffen auf die Risiken für das Königreich der Flamen und Wallonen sowie auf wasserdichte rechtliche und solidarische Garantien der EU-Partner.
In belgischen Medien wird die Einschätzung vertreten, dass mehrere Mitglieder der Eurogruppe wegen des Gerangels um die Euroclear-Milliarden auf Geheiß ihrer Regierung für Pierrakakis und damit gegen Van Peteghem zu stimmen. “Für die Regierung ist es daher sonnenklar, dass das Armdrücken um das Wertpapierhaus das Ergebnis in eine bestimmte Richtung gelenkt hat. Und eindeutig zum Nachteil Belgiens”, hieß es zum Beispiel in der flämischen Zeitung Het Belang van Limburg.
Pikant ist, dass nicht nur die geographisch Russland nahegelegenen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen für Pierrakakis gestimmt haben dürften, sondern mit Bundesfinanzminister Lars Klingbeil auch der Vertreter des Landes, dessen oberster Kassenwart Schäuble Griechenland vor einem Jahrzehnt aus dem Euroraum drängen wollte.
Während Schäuble und seinem damaligen, politisch weit linksstehenden griechischen Amtskollegen Yanis Varoufakis wenig verband, war der heutige deutsche Finanzminister Klingbeil jetzt voll des Lobes für Pierrakakis: “Ich bin davon überzeugt, dass wir die vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Eurogruppe sehr gut fortführen werden. Wir teilen das gleiche Ziel: Europa stärker und wettbewerbsfähiger zu machen”, sagte der SPD-Politiker zur Wahl des neuen Eurogruppen-Chefs. Auf einem anderen Blatt steht, ob die Art und Weise, wie Van Peteghem wegen der harten Haltung im Streit um die Euroclear-Milliarden ausgebootet worden ist, die belgische Konzessionsbereitschaft positiv beeinflusst hat. Wohl kaum.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) befand jetzt in einem Kommentar, dass der “fast überall als bockig wahrgenommene Widerstand” gegen die Verwendung der bei Euroclear lagernden Guthaben Van Peteghem “für die meisten Amtskollegen unwählbar” gemacht habe. F.A.Z.-Kommentator Werner Mussler verwies aber auch auf einen anderen, in der Diskussion zuletzt untergegangenen Aspekt: “Es ist ziemlich egal geworden, wer die Eurogruppe führt. Das Gremium, während der Eurokrise die zentrale Entscheidungsinstanz, entscheidet mittlerweile fast gar nichts mehr.” Für den unterlegenen belgischen Bewerber Van Peteghem dürfte das kaum mehr als ein schwacher Trost sein.







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