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“Nutze Deine Stimme, sonst entscheiden andere für Dich” – Mobilisierung sechs Wochen vor der Europawahl

Von Reinhard Boest

Knapp sechs Wochen vor der Europawahl vom 6. bis 9 Juni hat das Europäische Parlament jetzt die letzte Phase seiner im Februar begonnenen Mobilisierungskampagne gestartet, die für eine Teilnahme an der Wahl werben soll. Das Motto “Use your vote” (Nutze Deine Stimme) wird jetzt ergänzt durch “Or others will decide for you” (Oder andere werden für Dich entscheiden). Damit soll auch für den Wert der Demokratie sensibilisiert werden und für die Tatsache, dass freie Wahlen nicht nur in der Geschichte, sondern zunehmend auch in der Gegenwart, sogar innerhalb Europas, alles andere als selbstverständlich sind.

Einzelheiten stellten am Montag der Chefsprecher des Parlaments, Jaume Duch, und der Leiter der Presseabteilung, Neil Corlett, zusammen mit Mitgliedern ihres Teams vor.

Duch illustrierte die Bedeutung der Wahl mit einer Aufzählung der wichtigsten Themen, mit denen sich das Parlament in der zu Ende gehenden Legislaturperiode befasst habe: vom Brexit über die Corona-Krise, den Klimawandel, die Migration, die Digitalisierung bis zum russischen Überfall auf die Ukraine mit ihren Auswirkungen etwa im Energiebereich. Und das seien nur die “großen” Themen gewesen, zusätzlich zum politischen Tagesgeschäft. Das Parlament habe in den fünf Jahren seit 2019 rund 450 Gesetzgebungsakte verabschiedet. Das werden einige wahrscheinlich als Ausweis der Überregulierung aus Brüssel brandmarken; allerdings sind diese Gesetze jeweils immer auch unter Beteiligung der nationalen Regierungen zustande gekommen. Es fällt dem Europäischen Parlament schwer, mit Erfolgen zu werben, die es etwa für die Umwelt oder die Verbraucher Europas erreicht hat, wenn sich die nationale Politik im Wahlkampf gern gegen „Brüssel“ profilieren möchte. Im Übrigen hat der Deutsche Bundestag in der vergangenen 19. Wahlperiode in nur vier Jahren sogar 547 Gesetze verabschiedet.

Viele aktuelle Herausforderungen dauern an und dürften auch die kommende Wahlperiode bestimmen. Dazu kommen die Debatte über mehr strategische europäische Autonomie bei Sicherheit und Energie sowie die notwendigen Reformen, um die EU auf eine neue Erweiterungsrunde vorzubereiten. Da sollte es den Bürgerinnen und Bürgern nicht gleichgültig sein, wer über die Richtung der Politik entscheide, mit diesen Aufgaben fertig zu werden, erläuterten die Parlamentsvertreter.

In den kommenden Wochen steht zunächst der Europatag am 9. Mai an, der im Zeichen der Wahl stehen soll. Kurz nach dem zwanzigsten Jahrestag der historischen “Ost-Erweiterung” soll gerade in den damals beigetretenen Mitgliedstaaten für die Wahl geworben werden. Aber auch EU-weit soll der Slogan “Use your vote” im Straßenbild sichtbar sein, sei es durch Werbung auf Bussen und Straßenbahnen, sei es durch angestrahlte Gebäude.

Am 23. Mai folgt die von der Europäischen Rundfunkunion (EBU) im Parlament in Brüssel organisierte Debatte der “Spitzenkandidaten”. Obwohl dieses Instrument, mit dem die Personalauswahl für das höchste Amt in der Europäischen Kommission transparenter und demokratischer gestaltet werden soll, nur bei seiner ersten Anwendung 2019 funktioniert hat, hält das Parlament daran fest. In der Eurovisionssendung werden also die von der Europäischen Volkspartei, den Sozialdemokraten, den Liberalen, den Grünen und der Linken entsandten Kandidaten debattieren, von denen aber zumindest eine, nämlich die amtierende Präsidentin der Kommission, bei der Europawahl gar nicht für ein Mandat kandidiert.

Den Wahlabend können Journalisten am 9. Juni direkt im Brüsseler Parlamentsgebäude live verfolgen. Ab 18 Uhr gibt es erste Schätzungen über die künftige Zusammensetzung des Parlaments auf der Grundlage von Wahlnachfragen (exit polls), ab etwa 22 Uhr auch aufgrund konkreter Hochrechnungen und Auszählungen. Auch die Ergebnisse aus den einzelnen Mitgliedstaaten sind abrufbar.

Einen besonderen Schwerpunkt setzt das Parlament dieses Mal auf Aktionen gegen Desinformation und andere Angriffe – von innerhalb und außerhalb der EU – auf die Integrität der Wahl. Deren Notwendigkeit habe sich in der jüngeren Vergangenheit an vielen konkreten Fällen gezeigt, auch in Europa. Stichworte seien “gestohlene Wahl”, Unregelmäßigkeiten oder Wahlbetrug. Aber auch Versuche, Menschen vom Wählen abzuhalten, oder die kampagnenartige Besetzung wichtiger Themen gehörten dazu.

Das Parlament habe versucht, durch Gesetzgebung (etwa in den Bereichen Digitale Dienstleistungen, Künstliche Intelligenz, politische Werbung und Medienfreiheit) oder andere Maßnahmen diesen Bedrohungen zu begegnen, sagte der Parlamentssprecher. Es handele sich aber um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und man müsse vor allem vorbeugend dagegen vorgehen, wobei gerade den Medien eine zntrale Rolle zukomme. Auf zwei Initiativen wurde besonders hingewiesen: das Europäische Observatorium für digitale Medien (EDMO) und das Netzwerk für Faktenchecks (EFCSN).

Die Presseabteilung des EP hat ein etwa vierminütiges Video erstellt, in dem unter dem Titel “Eine Botschaft für mein Enkelkind – Und für den Rest von Europa” Zeitzeugen zu Wort kommen, die unter Diktaturen oder Besatzung leben mussten, aus Frankreich, den Niederlanden, Spanien, Tschechien oder Litauen. Die bewegende Botschaft der Großmütter und Großväter an ihre Enkel – und den Rest von Europa – ist eindringlich: Demokratie und Freiheit sind nicht selbstverständlich. Man muss sie ständig bewahren und verteidigen – und dafür auch sein Wahlrecht nutzen.

Alle Informationen sowie Links findet man hier: https://elections.europa.eu/de/

Und wer die Präsentation in voller Länge sehen möchte: https://multimedia.europarl.europa.eu/en/webstreaming/briefing-for-media-on-2024-european-elections_20240429-1000-SPECIAL-OTHER

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