Von Reinhard Boest
Nachdem die chinesische Regierung vor einem Monat praktisch ohne Vorwarnung ihre restriktive “Null-COVID-Politik” aufgegeben hat, sind die Infektionszahlen im Land massiv angestiegen (auch wenn offizielle Zahlen nicht – mehr – veröffentlicht werden). Da auch die Reisebeschränkungen aufgehoben wurden, gibt es weltweit Befürchtungen vor einer neuen Welle von Infektionen oder neuen, bisher unbekannten Varianten des Virus. Einige Nachbarstaaten wie Südkorea oder Japan, aber auch die USA und Großbritannien haben umgehend Einreisebeschränkungen für Reisende aus China erlassen, insbesondere eine Testpflicht.
In der EU fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Als erstes Land verhängte Italien am 28. Dezember eine Testpflicht für Einreisende aus China. Bei dieser Entscheidung dürften die traumatischen Erinnerungen an 2019 eine Rolle gespielt haben, als Italien das erste “Opfer” des aus China eingeschleppten Virus in Europa wurde. Spanien und Frankreich folgten kurze Zeit später, so dass sich die Frage nach einer einheitlichen europäischen Antwort stellte. Unterschiedliche Einreiseregelungen können sich nämlich auch auf den innereuropäischen Reiseverkehr auswirken.
Andere Mitgliedstaaten wie Belgien oder Deutschland, aber auch die Europäische Kommission, sahen zunächst keinen Grund für Einreisebeschränkungen. In China dominiere die gleiche Omikron-Variante wie in der EU, gegen das die Bevölkerung durch Impfungen und “Herdenimmunität” inzwischen gut geschützt sei. In den Mitgliedstaaten sind daher die meisten Beschränkungen weitgehend zurückgefahren oder ganz aufgehoben worden. So sind in Belgien die Testzentren geschlossen worden, die Coronaalert-App ist schon lange abgeschaltet.
In der EU gehörten Reisebeschränkungen seit Beginn der Pandemie vor drei Jahren zu den sensibelsten Themen; es war äußerst schwierig, hier zu abgestimmten Regeln zu kommen und diese auch beizubehalten. Die Zuständigkeit dafür liegt nämlich bei den Mitgliedstaaten und wird von diesen gerade in der Gesundheitspolitik eifersüchtig gehütet. Es ist daher verfehlt, “die EU” verantwortlich zu machen, wenn einzelne Mitgliedstaaten unabgestimmt vorgehen. Von Anfang an beruhte ein gemeinsames Vorgehen bei den Reiseregelungen – sowohl zwischen den Mitgliedstaaten des Schengenraums als auch mit Staaten außerhalb – auf Freiwilligkeit, nämlich auf “Empfehlungen” des Ministerrats, die rechtlich nicht verbindlich sind. Die Mitgliedstaaten raten sich also quasi selbst, was sie tun wollen.
Mitte Dezember 2022 hatte der Rat – in der Überzeugung, die Pandemie sei vorbei – empfohlen, alle seit drei Jahren mehr oder weniger strikten Reisebeschränkungen aufzuheben. Nur zwei Wochen später hat die Entwicklung in China offenbar denselben Reflex ausgelöst wie vor drei Jahren: spontane Beschränkungen durch einzelne Mitgliedstaaten, gefolgt von hektischem Bemühen um Gemeinsamkeit in der EU. Die neue schwedische Ratsprädidentschaft, die erst vor wenigen Tagen ihr Amt angetreten hat, war gefordert und hat am Mittwochabend “geliefert”: die Mitgliedstaaten werden “nachdrücklich ermutigt”, vom 8. Januar an für Reisende aus China einen negativen Test vorzuschreiben. Ankommende Flugpassagiere sollen stichprobenartig getestet, positive Tests sowie Abwasser aus Flugzeugen sequenziert werden. Auch die bisher eher zurückhaltenden Länder wie Belgien und Deutschland wollen jetzt die Testpflicht umsetzen; als wichtiger sehen sie aber weiterhin Maßnahmen wie Abwasseruntersuchungen und Genomsequenzierung an, da sich vor allem auf diesem Weg neue Varianten entdecken lassen.
In Belgien wird ein entsprechender königlicher Erlass wahrscheinlich am kommenden Samstag im Gesetzblatt veröffentlicht. Vorgesehen ist ein verpflichtender negativer Corona-Schnelltest vor dem Abflug aus China, der nicht älter sein darf als 48 Stunden. Das gilt nur für Direktflüge (derzeit zwei pro Woche von Peking nach Brüssel). Bereits beschlossen hatte die Regierung die Untersuchung der Abwässer von aus China ankommenden Flugzeugen einschließlich einer Genomsequenzierung.
Im Rahmen des “Integrierten Krisenreaktionsmechanismus der EU” soll die Entwicklung weiter beobachtet werden. Schon Mitte Januar wollen die Mitgliedstaaten die jetzt vorgesehenen Maßnahmen überprüfen. Die Koordinierung erscheint wieder einmal mühsam, aber am Ende funktioniert sie zum Glück doch. Das hilft auch, Panik zu vermeiden.
Beiträge und Meinungen