Aktuell, Belgischer Alltag

Von Baustellen zum Staubellen

Von Michael Stabenow

Eigentlich bin ich ja inzwischen ein ausgesprochener Fan des öffentlichen Personennahverkehrs. Wann immer möglich, gönne ich unserem über 130.000 Kilometer gefahrenen Auto eine Verschnaufpause. Die Brüsseler Verkehrsbetriebe STIB/MIVB, die flämische Gesellschaft De Lijn und die Eisenbahngesellschaft SNCB/NMBS gehören zu meinem treuen Wegbegleitern. In jüngster Zeit, das muss ich ehrlich zugeben, sind mir freilich einige Zweifel an Bussen und Bahnen gekommen.

Es ist ja sehr schön, dass an vielen Haltestellen heute elektronisch angezeigt wird, wann mit der nächsten U-Bahn, der nächsten Straßenbahn oder dem nächsten Bus zu rechnen ist. Weniger schön ist es, wenn die Angaben mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben. Neulich, an der Stelle der Abfahrt der Buslinie 71, die nicht nur Studentinnen und Studenten auf dem Weg zu oder von den Universitäten ULB und VUB benutzen, mussten wir uns in Geduld üben.

So war die angegebene Ankunftszeit längst verstrichen, als sich der seit längerem auf der anderen Seite des Parkplatzes stehende Bus endlich in Bewegung setzte. Da uns in Gegenrichtung danach gleich drei Busse der Linie in allerkürzesten Abständen entgegenkamen, hätte uns etwas dämmern müssen – vielleicht wieder eine dieser vielen Baustellen, die Brüssel und das Umland dieser Tage plagen?

Apropos Baustelle: Schon der Bus der De Lijn-Linie R76, der uns von unserem vor den Toren der Hauptstadt gelegenen Wohnort auf dem Weg zum Nachmittagskaffee bei einer alten Freundin in Ixelles zunächst zum U-Bahnhof Herrmann-Debroux bringen sollte, schien es auch nicht sonderlich eilig zu haben. Obwohl, so stimmt das nun wieder auch nicht. Eilig hatten es Busfahrer und Passagiere wahrscheinlich schon. Nicht mitgespielt hat dagegen die Baustelle an der Kirche von Jezus-Eik, welche die Zufahrt zu der nach Brüssel – und De Lijn-Busse zum U-Bahnhof Herrmann-Debroux führenden Autobahn E411 – zu einer nervlichen Zerreißprobe machen kann.

So schnellte die Verspätung des außerhalb der Stoßzeiten verkehrenden Busses auf den Fahrplan von vier auf 22 Minuten hoch. Nicht auszumalen, wie sich die Dinge entwickeln werden, wenn sich demnächst – und wohl bis 2027 – in Jezus-Eik eine Großbaustelle mit geplanten zwei neuen Autobahnbrücken breitmachen wird. Baustellen gibt es freilich nicht nur in Jezus-Eik, sondern fast überall.

Eine Kostprobe sollten wir uns auf der Weiterfahrt erhalten. Als wir, schon mit reichlicher Verspätung auf unseren Zeitplan, die Linie 5 am U-Bahnhof Herrmann-Debroux in Auderghem nahmen, ahnten wir noch nicht, was uns kurz darauf erwarten sollte. Zwei Stationen weiter, an der Station Beaulieu, ließen wir die Linie 5 hinter uns und gingen die paar Schritte zur Abfahrtstelle der Buslinie 71. Der Blick ging reflexmäßig auf die Anzeigetafel. Sie informierte uns darüber, dass die Busse am Friedhof von Ixelles – natürlich wegen einer Baustelle – umgeleitet und daher direkt zur unweit des Straßenbahnbetriebshofs an der Avenue de l’Hippodrome gelegenen Haltestelle Buyl fahren sollten – allerdings mit dem Hinweis „A 19 heures“.

Gutgläubig wie wir sind, dachten wir uns, dass der Busfahrer am Friedhof von Ixelles, da bis 19 Uhr noch einige Zeit verstreichen sollte, einfach weiter geradeaus fahren und uns fast direkt an der Wohnung unserer Freundin absetzen werde. Das war leider ein Irrtum. Statt weiter geradeaus entschwand der Bus dem Kreisverkehr zunächst in entgegengesetzter Richtung, ohne an der dort gelegenen Haltestelle die Türen zu öffnen. Dahin war die Chance, hier unseren Weg zu Fuß zur nur wenige Gehminuten entfernten Wohnung unserer Freundin fortzusetzen.

Stattdessen ging es mit ein paar staubedingten Stopps leicht bergab in die Avenue de la Couronne und von dort nach links auf den Boulevard General Jacques bis zur Haltestelle Buyl. Weil wir nicht minutenlang vergeblich auf wieder bergauf verkehrende Busse und Straßenbahnen warten wollten, entschieden wir uns kurzerhand, schon reichlich verspätet, zu Fuß zu der gut 1000 Schritte entfernten Wohnung zu laufen.

Auf dem Weg erreichte uns die besorgte WhatsApp-Nachricht unserer Freundin: “Kommt Ihr zurecht, und findet Ihr mich????“ Ja, wir haben sie gefunden und einen dann sehr entspannten Nachmittag mit ihr verbracht. Und der Rückweg nach Hause? Wir wollten besonders clever sein und den Behelfsbus der Linie 8 nehmen. Ziel war es, ohne den Umweg über Buyl nach Boitsfort, von dort mit der Straßenbahnlinie 8 zum U-Bahnhof Herrmann-Debroux und schließlich mit einem De Lijn-Bus wieder nach Hause zu kommen.

Warum ein Behelfsbus der Linie 8? Ganz einfach, weil der Gleiskörper an der Chaussée de la Hulpe derzeit runderneuert wird und – Baustelle, Baustelle – die Straßenbahn erst wieder weiter unten vom Boulevard du Souverain aus verkehrt. Bedacht hatten wir freilich nicht, dass nur jeweils eine statt der üblichen zwei Fahrbahnen für Autos sowie unseren Behelfsbus zur Verfügung stand – mit baustellenbedingten Verstopfungsfolgen. Irgendwie stieg in uns etwas hoch, das sich Luft verschaffen wollte. Unmut oder Wut auf Baustellen – oder gar so etwas wie Staubellen?

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