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“Natürlich sind wir sehr enttäuscht, aber wir sind entschlossen, weiterzumachen.”

 

Faso Dance Theater Molenbeek; Foto: Jürgen Klute

Von Jürgen Klute

“Natürlich sind wir sehr enttäuscht, aber wir sind entschlossen, weiterzumachen.” So äußere sich Fatima Zibouh, die Ko-Intendantin von „Molenbeek 2030“, nachdem der niederländische Vorsitzende der internationalen Jury, Jelle Burggraaff, in der Königlichen Bibliothek in Brüssel vor der Presse bekanntgegeben hatte, dass weder die Brüsseler Gemeinde noch Nanur, sondern Löwen im Jahr 2030 eine der beiden Kulturhauptstädte Europas sein wird. Die zweite Kulturhauptstadt des Jahres wird eine der beiden zyprischen Städte Larnaka oder Lemesos sein. Die endgültige Entscheidung steht noch aus.

Burggraaff betonte,  alle drei belgische Finalisten hätten qualitativ sehr anspruchsvolle Bewerbungen eingereicht. Dass sich die Jury letztlich einstimmig für Löwen ausgesprochen habe, sei darin begründet, dass die flämische Stadt unter dem Motto „LOV 2030” das schlüssigste und damit überzeugendste Konzept eingereicht  habe. Es umfasst die Themenbereiche „Mensch”, „Natur” und „Innovation” mit mehreren Dutzend konkreter Projekte, deren roter Faden darin besteht, „radikale Verbindungen” zwischen Organisationen und über Sektoren hinweg herzustellen.

Der Löwener Bürgermeister Mohamed Ridouani begrüßte die Entscheidung mit den Worten: „Löwen steht symbolisch für Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit – die europäischen Werte schlechthin, in einer Zeit, in der dieser wunderbare Kontinent an sich selbst zweifelt. Löwen hat das Potenzial, die beste Version Europas zu verkörpern.“

Faso Dance Theater Molenbeek; Foto: Jürgen Klute

Ausschlaggebend für die Entscheidung der Jury war offensichtlich zum einen die enge Kooperation mit der Universität Löwen, die in diesem Jahr ihr 600-jähriges Bestehen feiert. Dazu gehört unter anderem das Bürgerwissenschaftsprojekt „Smile“. Darin untersuchen Studierende das Wohlbefinden von Menschen und die Art und Weise, wie dieses durch ihr Lebensumfeld bestimmt wird. Zum anderen hat das Projekt ‘Leuven & beyond’ die Jury beeindruckt. Dabei handelt es sich um ein neu gegründetes Netzwerk, das dreißig Gemeinden aus dem Osten der Provinz Flämisch-Brabant umfasst und in das Projekt der Kulturhauptstadt einbezogen wird.

Welche Gründe im Detail für Löwen und letztlich trotz aller Rhetorik gegen Molenbeek und Namur gesprochen haben, ist im Bericht der Jury nachzulesen. Dieser wird allerdings erst Ende Oktober veröffentlicht.

Insgesamt hat Löwen ohne Zweifel ein in sich stimmiges und rundes Konzept für das Projekt Kulturhauptstadt 2030 erarbeitet und eingereicht. Genau das löst aber auch kritische Rückfragen aus. So schreibt Kris Hendrickx in einem Kommentar auf dem Brüsseler Nachrichtenportal BRUZZ: „Die Entscheidung für Molenbeek wäre die ehrgeizigste Geste gewesen, die die Jury hätte machen können. Eine Stadt wie Löwen, die ohnehin schon gut funktioniert, mit einer zusätzlichen kulturellen Dynamik zu versehen, ist eine sichere Wahl, aber in gewisser Weise auch ein Luxus. In Molenbeek mit seiner Armut, seiner Drogengewalt und seiner Hyperdiversität hätte ein Fass soziokultureller Zement die Grundlage für einen Neuanfang bilden können.“

Doch auf die Frage, ob eine Entscheidung zugunsten von Molenbeek nicht wirkungsvoller gewesen wäre, antwortete Burggraaff, wie die Zeitung “De Standaard” bdrichtete: „Ob eine Stadt den Titel nötig hat oder nicht, ist kein Kriterium.“

Hendrickx geht in seinem Kommentar davon aus, dass die politische Situation in Brüssel – seit über 400 Tagen nach den Wahlen gibt noch immer keine Regierung und die Haushaltslage ist prekär – eine erhebliche Rolle bei der Entscheidung der Jury gespielt haben dürfte, sich trotz vieler „Trümpfe“  nicht für Molenbeek auszusprechen. Zwar habe es seitens des Brüsseler Regionalparlaments rhetorische Unterstützung für die Gemeinde gegeben. Aber nur Worte, so Hendrickx, reichten eben nicht aus, um das ambitionierte Projekt „Molenbeek 2030“ umzusetzen – dazu sei schlicht und einfach auch Geld erforderlich. Doch so konkret wollte – oder konnte – das Brüsseler Regionalparlament nicht werden.

Faso Dance Theater Molenbeek; Foto: Jürgen Klute

In der Kritik von Hendrickx schwingt jedoch noch etwas anderes mit, nämlich die nicht gerade neue Frage, was der Begriff Kultur umfasst: Kunst, Literatur und Wissenschaft oder eben auch das alltägliche Zusammenleben. Das Projekt der Kulturhauptstadt Europas böte die Chance, den Kulturbegriff kritisch zu reflektieren und auszuweiten. Das wäre durchaus im Sinne des Projektes, das laut seiner Initiatorin, der griechische Sängerin, Schauspielerin und ehemaligen Kulturministerin Melina Mercouri (1920 – 1994), dazu beitragen soll,  Reichtum,  Vielfalt und  Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen sowie ein besseres Verständnis der Bürgerinnen und Bürger Europas füreinander zu fördern. Dazu zählt eben auch die Kunst des Zusammenlebens in einer hochdiversen Gesellschaft, in der Menschen aus sehr unterschiedlichen Kulturen und Traditionen und mit unterschiedlichen Sprachen ihr Zusammenleben immer wieder neu ausbalancieren müssen. Dafür steht Molenbeek mit allen damit verbunden Unzulänglichkeiten, die aber eben auch kennzeichnend sind für etwas Neuentstehendes. Denjenigen, die das Konzept für Molenbeek entwickelt haben, bleibt zu wünschen, dass sie trotz allem die konzipierten und bereits begonnenen Projekte weiter verfolgen.

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