Der flämische, auf Französisch schreibende Dichter Emile Verhaeren (1855-1916) spielte eine wichtige Rolle für Belgien im 1. Weltkrieg: Nach dem deutschen Einmarsch im August 1914 ergriff er entschlossen Partei gegen die Besatzer. Das Verhaeren-Museum in Sint-Amands, zwischen Brüssel und Antwerpen gelegen, hat dem Thema „Verhaeren und der Krieg“ nun eine Ausstellung gewidmet. Aber auch darüber hinaus lohnt sich ein Besuch des idyllischen Fleckens in den Schelde-Auen.
Man kann sich keinen romantischeren Ort als Sint-Amands in der Provinz Antwerpen denken: An einem weiten Scheldebogen gelegen, ist das Dorf ein Ort des Wassers, der Fischer und der Fährleute. Dort wird 1855 Emile Verhaeren in gutbürgerliche Verhältnisse geboren, in denen man französisch spricht. Später im strengen Jesuitenkolleg in Gent erzogen, wo er als Mitschüler Georges Rodenbach hat (jener symbolistische Autor, dessen bekanntestes Werk “Die tote Stadt” – Bruges la Morte – Erich Korngold zur gleichnamigen Oper inspiriert hat), erwacht in ihm seine intellektuelle Neugier.
Das ländliche Leben in Flandern
Auf Wunsch der Eltern studiert er Jura, wird Anwalt, lässt es aber bald fallen und widmet sich dem Schreiben. Sein erster Gedichtband über das ländliche Leben in Flandern ist ein Skandal – und macht ihn berühmt. Seine innovative Poesie, vereint mit Naturalismus, formt ihn als einen Dichter der Avantgarde und des Symbolismus. Das Buch “Les Flamands” (der Flame Verhaeren schreibt auf Französisch) wird als neumodisch empfunden und, vermutlich, in Raubkopien unter deutschsprachigen Studenten gehandelt. Stefan Zweig, der eine Ausgabe irgendwoher erhielt, erklärte Verhaeren zu seinem bewunderten Vorbild und schrieb an ihn, um Erlaubnis für die Übersetzung seiner Gedichte ins Deutsche zu erbitten.
Verhaeren zieht mit seiner Frau, der Malerin Marthe Massin, die er 1891 heiratete, nach Brüssel. 1902 besucht Stefan Zweig ihn in der Chaussée de Roodebeek 268 und erhält von Verhaeren folgende Wegbeschreibung: „Nehmen Sie die Straßenbahnlinie 27 bis zur Endhaltestelle. Dort gehen Sie eine Viertelstunde zu Fuß bis zum Dorf. Linker Hand sehen Sie eine vergitterte Einfahrt, die zu einer Allee führt. Dort ist es.“ Aus diesem Besuch 1902 wird eine innige Freundschaft, mit Verhaeren als Mentor. 1910 erscheint Zweigs Biographie Verhaerens, des „größten europäischen Lyrikers“, wie er ihn bezeichnet.
Verhaeren, Freund von Romain Rolland, Maeterlinck, van Rysselberghe, Ensor und allen Symbolisten; Verhaeren, der sich selbst als Pazifist bezeichnet, der als Bindeglied der deutschen und romanischen Literatur gilt; Verhaeren, übersetzt, geliebt, geachtet, verehrt; Verhaeren ist von der deutschen Vergewaltigung des neutralen Belgiens im August 1914 dermaßen schockiert, dass er nunmehr national-patriotische Werke schreibt und anti-deutsche Propaganda forciert. Er distanziert sich von seinen ehemaligen Freunden wie Zweig – aus dem Pazifisten wird ein militanter Nationalist, der seinen Nationalismus in Gedichtbänden wie „Les ailes rouges de la Belgiques“ (1916) oder „Les flammes hautes“ (1917) Ausdruck verleiht.
Der Tod
Das Schicksal ist grausam: Am 27. November 1916 will der bekannt ungeduldige Verhaeren im Bahnhof von Rouen den Zug nach Paris besteigen, der noch im Fahren begriffen ist: er fällt unter die Räder und stirbt. Van Rysselberghe und André Gide müssen die traurige Nachricht seiner Witwe mitteilen.
Verhaerens Gedicht „Die Schelde“ (auf Französisch „L’Escaut“ in dem Gedichtband „Toute la Flandre“) ist eine Hommage an seinen Heimatfluss, eine Liebeserklärung und sein Vermächtnis zugleich: „Die schönsten Ideen, die meine Stirn erhitzten, Du gabst sie mir“ schreibt er, um dann zu enden: „…in Deinem Boden, an Deinem Ufer, soll man meinen Leichnam verbergen, um Dich zu spüren, selbst über den Tod hinaus“. Man erfüllte ihm diesen Wunsch: ein aus heutiger Sicht recht pathetisches Grab blickt auf den Fluss, an der schönsten Stelle der Promenade von Sint-Amands gelegen.
Das 1955 gegründete literarische Verhaeren-Museum ist 1997 in einen Teil von Verhaerens Geburtshaus umgezogen. Dort kann man sich anhand von Briefen, Fotos und anderen Dokumenten einen gründlichen Einblick in das Leben und Wirken des Dichters, aber auch seiner zahlreichen berühmten Freunde verschaffen.
Ein Tipp nicht nur für Radfahrer:
Ein Wochenendausflug mit dem Rad: entlang der Schelde, z.B. von Temse aus. Die Fähren (meistens fahren sie im Halbstundentakt) erlauben das Kreuzen des Flusses, und Restaurants bieten kulinarische Spezialitäten, z.B. Aal.
Praktische Hinweise:
Ausstellung: „Emile Verhaeren: Ten oorlog!“
Bis 7. September tägl. außer mo. von 11 bis 18 Uhr während Juli und August, ab September nur am Wochenende und Feiertagen.
Adresse: Provinciaal Museum Emile Verhaeren, Emile Verhaerenstraat 71, 2890 Sint-Amands
Tel.: 052/33 08 05
verhaerenmuseum@skynet.be
www.emileverhaeren.be
Margarethe Mazura (Text und Fotos)
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