Von Heide Newson.
Seit mehr als einem Jahr befindet sich die Welt im Griff der Corona-Pandemie. Was tun, wenn wir aus Rücksicht auf die Ansteckungsgefahr voneinander Abstand halten müssen, so wenig physische Kontakte wie möglich haben sollen, auf Reisen verzichten, zu Hause bleiben, Verwandtenbesuche kaum möglich sind, Restaurants, Kneipen etc. geschlossen sind, und es mehr Verbote als verlockende gesellschaftliche Möglichkeiten gibt?
Nach mehr als einem Jahr der Pandemie sehnen sich die Menschen nach ihrem alten Leben zurück. Das gilt auch für mich, obwohl ich mittlerweile eine Corona-Langfriststrategie für mich entwickelt habe, die meine Lockdown-Müdigkeit in Grenzen hält. Hatte ich früher Angst, beruflich und privat etwas zu verpassen, genieße ich jetzt die wohl wichtigsten Dinge des Lebens, vor allem die Natur, Freundschaften, Familie, viel bewusster.
Das war zu Beginn der Pandemie, die mein Leben völlig auf den Kopf stellte, nicht der Fall. Ohne Vorwarnung war mein sonst proppenvoller Terminkalender plötzlich leer. Pressekonferenzen, Tagungen, Kongresse, fanden nur noch online statt. Einladungen mit der Möglichkeit zum Networken gab’s keine mehr, Interviews falls überhaupt, nur über Telefon, E-Mail oder digital. Home-office wurde auch den Medienvertretern empfohlen. Auf das mir so wichtige soziale, lustige Miteinander mit Freunden, Kollegen und Familie, mit Treffs in der Kneipe, im Restaurant, auf Partys etc. musste ich wegen der Kontaktbeschränkungen verzichten. Hatte ich mich vor der Pandemie privat und beruflich oftmals gestresst gefühlt, so fiel mir plötzlich die Decke auf den Kopf. Langeweile machte sich breit, und zu unliebsamen Aufräumarbeiten im Haus oder mehr Surfen im Internet, hatte ich keine Lust. Und da ich die neu gewonnene Freizeit nicht virtuell verbringen wollte, ließ ich mir (Corona-konform) so einiges einfallen, wozu ich zuvor kaum Zeit gehabt hatte.
Körperlich aktiv, beim Erkunden von Brüssel und Umgebung
Mein seit Jahren nicht benutztes Fahrrad kam zum Einsatz, ich spielte gefühlt non-stop Tennis. Mit zwei Freundinnen, das war trotz Kontaktbeschränkungen zwischenzeitlich möglich, erkundete ich Brüssel. Wir lernten die Stadt ganz neu kennen. Zu Fuß sich alles zu erlaufen, war für mich eine völlig neue Erfahrung, und Abenteuer pur. Mit Maske und auf Abstand wanderten wir durch verwinkelte Brüsseler Gassen und bewunderten einzigartige Häuserfassaden. Wir bestaunten Denkmäler und erkundeten die vielen Parks der Stadt. Mit dem Rad ging´s zum „Rouge Cloître“, immer wieder in den Bois de la Cambre oder Forêt de Soignes, wo wir die Vielfalt der Fauna und Flora bestaunten. Wir spazierten in urbanen Landschaften sowie ländlichen Idyllen. Die „Promenade verte“, die in den Stadteil Stockel führt und die ich vor der Pandemie überhaupt nicht kannte, ist mittlerweile zu meinem Lieblingsspaziergang geworden. Den Park von Tervuren steuere ich jeden Freitag, bei Wind und Wetter an. Und auf dem Marktplatz kann man sich je nach Temperatur sogar mit einem Glühwein oder sonstigen Getränken aufwärmen.
Geistig aktiv, Neues probieren und positiven Gemütszustand aufrechterhalten
Und unsere Gespräche, wenngleich auf Abstand, tun dabei Körper und Seele gut. Corona macht mich sogar kreativ. Ich habe durch Freundinnen so richtig gut und gesund kochen gelernt, wozu ich mir früher nur wenig Zeit nahm. Ich probiere viel Neues aus, was bei der Familie gut ankommt. Mein genialer „Knuddelkontakt“ hat sogar eine Küchenmaschine, die ich noch nie benutzt hatte, da ich sie für defekt hielt, zum Laufen gebracht. Alte Freundschaften habe ich auf leben lassen und intensiviert, mittlerweile lästige Aufgaben im Haus erledigt. Und jeden Morgen freue ich mich auf die vielen positiven, inspirierenden sowie motivierenden WhatsApp-Nachrichten, die ich von Freunden erhalte.
Ja, die Pandemie hat mein Leben stark verändert, privat wie beruflich. Aber nicht nur im negativen Sinne. Ich genieße und schätze Dinge, die mir früher gar nicht so wichtig erschienen. Corona hat mir irgendwie eine neue Freiheit gegeben, eine mit weniger Terminen, mehr Gelassenheit und Ruhe. Ich habe festgestellt, dass ich nicht immer weit wegfahren muss, um Spaß oder Erholung zu finden. Natürlich hoffe ich, dass der Corona-Spuk bald vorbei ist und ich dann wieder die gewohnten Freiheiten genießen kann. Aber in dieser wiedergewonnenen Freiheit werde dich dann mein Leben viel spontaner, freier und anders gestalten. Dazu gehört, dass ich für die langen wunderschönen Spaziergänge mit Freunden, optimal für meinen positiven Gemütszustand, stets Zeit haben werde. Denn gerade diese helfen mir, die vielen (notwendigen) Einschränkungen ohne „Kollateralschäden“ zu ertragen.
Fotos: Heide Newson
Wenn fast alle Menschen die Zeit so positiv sehen und sich an Beschränkungen halten würden, dann könnten wir die Freiheiten früher erhalten.
Ein wunderbarer Artikel.