Flämische Familien, die im 2. Weltkrieg auf deutscher Seite kämpften, flohen 1944 aus Belgien auch ins Wendland. Als britische Truppen im September 1944 Belgien befreiten, da retteten sich die Flamen, die mit den Deutschen kollaboriert hatten, ins Reich, vor allem in Orte im Gau Ost-Hannover und auch nach Lüchow-Dannenberg. Allein in Lüchow kamen knapp 500 Belgier unter, vor allem Frauen und Kinder.
Die meisten Männer und Väter waren noch an der Ostfront, sie hatten sich freiwillig der deutschen Wehrmacht angeschlossen. Auf den Spuren dieser ganz besonderen Evakuierung aus Belgien nach Deutschland ist zurzeit die bei Köln lebende belgische Journalistin und Schriftstellerin Rosine De Dijn. Sie war in Lüchow, um im Stadtarchiv nach Spuren der flämischen Flüchtlinge zu suchen. Das Archiv war für sie eine wahre »Fundgrube», unter anderem stieß sie dort auf eine Liste mit den Namen der Familien sowie deren Adressen in Belgien und in Lüchow. Auch Rob von Roosbroeck, Mitglied der flämischen Exilregierung, hatte sich in Lüchow in Sicherheit gebracht.
Empfangen und begleitet wurde De Dijn von Dr. Rolf Meyer vom Museum Wustrow und von Burkhard Kulow aus Lüchow. Über dessen Internetseite www.damals-im-wendland.de waren die Kontakte entstanden. Denn über diese Seite suchte ein Belgier, der als Kind von September 1944 bis Mai 1945 in Lüchow lebte, nach seinem Vater, einem deutschen Soldaten, der 1942 in Flandern stationiert war. Per Mail wurden bereits viele Informationen ausgetauscht.
Besser fliehen
Den Flamen, die während der Besatzung zu den Deutschen hielten, war früh klar, dass sie nach der Befreiung Belgiens besser die Flucht »vor der Euphorie ihrer Gegner» ergreifen sollten, wie Rosine de Dijn es formuliert. Die flämische NS-Organisation De Vlag kontaktierte unterschiedliche Kreiskommandanturen in Deutschland, auch Heinrich Himmler wurde eingeschaltet. Schließlich wurden Reiseerlaubnisse ausgestellt, die Familien machten sich auf die Reise. De Dijn: »Als sie weggingen, war Belgien befreit, hier gerieten sie zwischen die Fronten.» Die aufnehmenden Deutschen wurde mit Aushängen der in Hildesheim ansässigen »Landesleitung Flandern» informiert, dass sie die Flamen nicht als Ausländer betrachten sollten: »Diese Flamen sind Deine Freunde, sind Germanen, sind von Deinem Blut.» Mit »alt-germanischer Gastfreundschaft» sollte man ihnen »über das Schwerste hinweghelfen». Denn die Flamen seien sich »ihrer blutmäßigen Bindung zu Dir» bewusst, ihre Männer und Söhne kämpften »bereits Jahre Seite an Seite mit Deinen Söhnen».
Im Oktober 1944 stellt auch der Allgemeine Anzeiger für den Kreis Dannenberg in einem Artikel die enge Bindung zwischen Niedersachsen und Flamen heraus: »Wenn nun … Flamen … als Schutzsuchende zu uns gekommen sind, so werden (die Kontakte) zu einer … Stärkung für den gemeinsamen Kampf um ein neues großgermanisches Reich, das alle Menschen deutschen Blutes bindet, beitragen».
De Dijn hat in Belgien einige der früheren Lüchower Flamenkinder ausgemacht – und sie nach ihren Erinnerungen befragt, manche schwärmten regelrecht von Lüchow. Sie weiß, dass es hier einen Kindergarten für sie gab – aber wo? -, dass die Schulkinder auch Unterricht auf Flämisch erhielten und im Ratskeller zu Mittag aßen. Die deutschen Kinder hätten die flämischen auch manchmal »auf die Schippe genommen», ihnen »Ramen (oder Raben?)-Flamen» hinterhergerufen.
Eine Mine
Eine »grauenhafte Geschichte» ist überliefert: In Damnatz – De Dijn steht darüber auch in Kontakt mit Gerhard Basedow – lebten 13 Frauen mit ihren Kindern. Kurz vor Kriegsende, am 25. April, wollten die Frauen zu den Amerikanern, ihr Pferdefuhrwerk geriet dabei unterwegs in eine Mine. Die Toten wurden auf dem Damnatzer Friedhof beerdigt, das große Grab gibt es noch heute.
Christiane Beyer
Mit freundl. Genehmigung übernommen aus der Elbe-Jeetzel-Zeitung
Infos:
Das Museum in Wustrow hatte im Rahmen seiner Ausstellung über die Flüchtlinge im Wendland das Flamen-Thema vor Jahren nur am Rande behandelt. Nun will sich Dr. Rolf Meyer damit ausführlicher beschäftigen. Zeitzeugen können sich sowohl bei ihm in Wustrow, Telefon (05843) 429, als auch bei Rosine De Dijn melden. Sie ist unter der Postadresse: Parkstraße 9, 51427 Bergisch Gladbach und per E-Mail unter: rosine.dedijn@t-online.de zu erreichen.
Bild: Rosine De Dijn mit Dr. Rolf Meyer (rechts) und Burkhard Kulow in der Drawehner Straße in Lüchow. Dort stand einst das Hotel zur Krone, in dem ab September 1944 flämische Familien untergekommen waren, die nach der Befreiung Belgiens als Kollaborateure galten.
Das Buch:
DIE GÄSTE DES FÜHRERS
Thema: Die Flucht der flämischen Kollaborateure im September 1944
Autor(en): Rosine De Dijn
Umfang: 320 Seiten, 14 x 21,5 cm, Klappenbroschur
978-3-86712-098-2 19,95 €
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