Von Michael Stabenow.
Die oberste belgische Staatsanwaltschaft ermittelt: Weite Teile des belgischen Profifußballs scheinen in einem Sumpf krimineller Machenschaften versunken zu sein. Die Vorwürfe reichen von Spielmanipulation über Korruption bis hin zu Schwarzgeldtransaktionen, Geldwäsche und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. 56 Personen sowie eine Gesellschaft möchte die Staatsanwaltschaft vor Gericht bringen. Darunter sind bekannte Trainer, Vereins- und Verbandsfunktionäre, ein Rechtsanwalt, ein Bankier sowie zwei Schiedsrichter.
Nicht weniger als zwölf Profiklubs sind von der „Operation Saubere Hände“ betroffen. Darunter befinden sich erste Adressen wie Landesmeister FC Brügge, der RSC Anderlecht, Standard Lüttich und der KRC Genk. Die Affäre hatte bereits 2018 ihren Lauf genommen. Im Mittelpunkt standen Vorwürfe gegen zwei Spielervermittler: Mogi Bayat, ein aus dem Iran stammender früherer Manager des Erstligisten RSC Charleroi, sowie Dejan Veljkovic.
Der gebürtige Serbe Veljkovic kam in den neunziger Jahren aus seiner Heimat nach Belgien und hat dort unter anderem für Klubs wie Eendracht Aalst und KV Mecheln gekickt. Veljkovic galt als ein besonders gut nach Osteuropa verdrahteter Spielervermittler und -berater.
Spielmanipulationen unter Schiedsrichterbeteiligung?
Im Oktober 2018 war es zu zahlreichen Durchsuchungen in Belgien und anderen europäischen Ländern gekommen. Schon damals richtete sich das Augenmerk der Ermittler auf eine Reihe belgischer Vereine. Für Schlagzeilen sorgten nicht zuletzt vermutete Spielmanipulationen unter Schiedsrichterbeteiligung. Nutznießer sollte insbesondere der damals abstiegsbedrohte Verein KV Mecheln sein.
Richtig ins Rollen kam die Affäre erst, als Veljkovic sich dazu entschied, als Kronzeuge auszupacken. Nicht nur den Ermittlern schilderte er seine Erkenntnisse. Einem breiteren Publikum gewährte er in dem Ende 2021 erschienenen und vom Journalisten Wim Van den Eynde verfassten Buch „Die Beichte von Dejan Veljkovic“ manchen Einblick.
Die von der Staatsanwaltschaft jetzt erhobenen Vorwürfe sind, so berichten übereinstimmend belgische Medien, ausgesprochen vielfältig. So sei es unter anderem darum gegangen, über Scheinverträge und andere betrügerische Konstruktionen Geld am Fiskus vorbei zu schleusen. Davon hätten nicht nur die Vereine, sondern auch Trainer und Spieler bei Transfers profitieren können. Auch von Luxusgeschenken wie hochwertigen Uhren ist die Rede.
Aus dem „Who is Who“ des belgischen Fußballs
Die Liste der 56 in den Blick der Staatsanwaltschaft geratenen Personen liest sich zum Teil wie ein „Who is Who“ des belgischen Fußballs. Darunter sind bekannte derzeitige oder frühere Vereinsfunktionäre wie Herman Van Holsbeek (RSC Anderlecht), Bart Verhaeghe und Vincent Mannaert (FC Brügge) sowie Michel Louwagie (AA Gent). Auch bekannte Trainernamen wie Ivan Leko (frühere u.a. FC Brügge), Yannick Ferrera (früher u.a. KV Mecheln) sowie nicht zuletzt Peter Maes finden sich auf der Liste.
„Er soll 2,5 Millionen schwarz kassiert haben. Manchmal steckte er die Geldscheine in Brottüten“, behauptete am Samstag die Zeitung „DH Les Sports“ über Maes, unter anderem Ex-Trainer des KRC Genk. Zuvor hatten auch andere Zeitung Vorwürfe gegen Maes erhoben. Der kroatische Trainer Leko ließ über seinen Anwalt mitteilen, er habe „keinen Euro Schwarzgeld von Herrn Veljkovic“ erhalten.
Überraschenderweise enthält die Liste der Staatsanwaltschaft 56 Personen auch den Namen Mehdi Bayat, Bruder des in der inzwischen oft auch „Footbelgate“ oder „Footgate“ genannten Affäre in den Blick der Justiz geratenen Spielervermittlers Mogi Bayat. Der jüngere Bruder war von 2019 bis 2021 Präsident des belgischen Fußballverbandes (KBVB/URBSFA) und konzentriert sich jetzt auf seine Aufgabe als oberster Geschäftsführer des Erstligisten RSC Charleroi.
Im Fernsehsender „LN 24“ sagte Bayat am Freitagabend zu der gegen ihn drohende Klage: „Das ist eine Überraschung.“ Sein Name sei niemals genannt worden. Nur einmal seien Ermittler wegen einiger Transfers vorstellig geworden gekommen. Aber es sei dazu klar kommuniziert worden, und seither habe man nichts mehr gehört.
Rechtliches
Für alle 56 betroffenen Personen sowie die von der Staatsanwaltschaft jetzt ebenfalls unter die Lupe genommene, dem Spielervermittler Mogi Bayat gehörende Gesellschaft „Creative & Management Group“ gilt derzeit die übliche Unschuldsvermutung. Die Staatsanwaltschaft überlässt das Dossier, wie nach belgischem Recht vorgesehen, der Anklagekammer, ehe eine weitere Instanz – die sogenannte Ratskammer – darüber entscheidet, ob und gegen wen Anklage erhoben wird.
Im vorliegenden Fall gibt es eine rechtliche Besonderheit. Der auf der Liste der 56 Personen aufgeführte François De Keersmaecker, ein früherer langjähriger Präsident des belgischen Fußballbundes, ist selbst Richter. Sollte auch gegen ihn Anklage erhoben werden, muss daher das Verfahren gegen alle Beteiligten vor einer höheren Instanz – einem sogenannten Berufungsgericht – stattfinden.
Eventuelle Einsprüche könnten demnach nur bei der obersten Instanz – dem sogenannten Kassationshof – eingelegt werden. Aber so weit ist es noch nicht, Erwartet wird, dass der Prozess im kommenden Jahr beginnen könnte.
Der Kontrast könnte größer kaum sein: Die „Roten Teufel“, Belgiens stolze Fußball-Nationalelf, rangieren dank herausragender Leistungen im Ausland spielender Superstars wie Kevin De Bruyne und Romelo Lukako weiter auf Platz 1 der FIFA-Weltrangliste. Die zuletzt mickrigen Darbietungen einheimischer Vereine in den internationalen Wettbewerben könnten hingegen bedeuten, dass es ab der Saison 2023/24 keinen automatischen Startplatz mehr für einen belgischen Verein in der UEFA-Champions League geben wird.
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