© Fotos: Metro3.be
Zunächst die gute Nachricht: die künftige Linie 3 der Brüsseler Metro wird doch nicht unter dem Palais du Midi begraben. Nachdem die Baustelle seit anderthalb Jahren stillliegt, haben sich jetzt das Nahverkehrsunternehmen STIB/MIBV als Bauherr und das Konsortium der beteiligten Bauunternehmen über eine Wiederaufnahme der Arbeiten geeinigt.
Zur Erinnerung: die bestehende Premetro-Verbindung zwischen den Stationen Albert (an der Grenze zwischen den Gemeinden Forest/Vorst und Uccle/Ukkel) und Gare du Nord soll als Teil der neuen Linie 3 für die Nutzung durch Metro-Züge (statt bisher Straßenbahnzügen) hergerichtet werden. Zwischen Gare du Midi und Anneessens muss ein 650 Meter langer neuer Tunnel mit einer zusätzlichen Haltestelle (Toots Thielemans) gebaut werden, der auf etwa 100 Metern unter dem Palais du Midi verläuft. Erst ein Jahr nach Beginn der Bauarbeiten hat man anscheinend gemerkt, dass die Unterfahrung des Palastes nicht in der geplanten Technik – ohne Eingriffe in die Bausubstanz – möglich ist, weil das Erdreich zu weich ist, siehe https://belgieninfo.net/wird-die-metro-3-unter-dem-palais-du-midi-begraben/
Der anschließende Streit über Verantwortung, Alternativen und Kosten führte zum völligen Stillstand. Im Sommer 2023 hat die Brüsseler Regionalregierung schließlich die für eine Fortführung des Projekts letztlich unvermeidliche Entscheidung getroffen: die – teilweise – Entkernung des monumentalen Palastes, damit der Tunnel in herkömmlicher Bauweise realisiert werden kann. Das erfordert zunächst eine Anpassung der Baugenehmigung. Das Parlament hat jetzt die rechtliche Grundlage für ein beschleunigtes Genehmigungsverfahren geschaffen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Statt einer Inbetriebnahme des Abschnitts Albert – Gare du Nord im nächsten Jahr, wie ursprünglich geplant, geht man jetzt von 2030 aus. Zu diesem Zeitpunkt sollte eigentlich die neue Linie in ihrer Gänze bis Bordet im Norden von Evere fertig sein.
Die Entscheidung wirkt sich natürlich auch auf die Finanzierung aus. Die Mehrkosten allein für den Tunnel unter dem Palais du Midi werden auf 160 bis 170 Millionen Euro geschätzt. Aber dabei bleibt es nicht. Der Wiederaufbau des Palastes wird noch einmal die gleiche Summe erfordern. Und in der Zwischenzeit müssen die jetzigen Nutzer anderweitig untergebracht oder entschädigt werden. Es handelt sich um 35 Geschäfte, 37 Sportvereine und eine Hochschule. Dafür rechnet man mit noch einmal 56 Millionen Euro. Wegen der langen Zeiträume, um die es geht, dürften die Beträge allein wegen der Inflation weiter steigen. Im Jahr 2022 ging man für den südlichen Abschnitt der Metro 3 von Kosten in Höhe von 756 Millionen Euro aus. Jetzt ist man schon bei knapp 1,3 Milliarden.
Immerhin sieht man zwischen Albert und Gare du Nord, dass etwas geschieht. Der Umbau des künftigen Umsteigebahnhofs Albert ist weit fortgeschritten, ebenso der Tunnel zwischen Gare du Midi und der neuen Haltestelle Toots Thielemans. Der nördliche Abschnitt zwischen Gare du Nord und Bordet befindet sich dagegen immer noch in der Planungs- und Genehmigungsphase. Zum Teil werden bereits Angebote im Rahmen der öffentlichen Ausschreibungen für die einzelnen Baulose geprüft. Auch hier sind die Kostensteigerungen gegenüber den ersten Schätzungen enorm. Sie haben sich von 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf 3,2 Milliarden mehr als verdoppelt. Ein Datum für die Fertigstellung mag derzeit niemand mehr nennen.
Kritiker des Projekts werden sich bestätigt fühlen. Nach der Entscheidung, den Tunnel unter dem Palais du Midi fertigzustellen, ist aber nicht damit zu rechnen, dass das Projekt letztlich doch noch abgebrochen wird. Auch eine Begrenzung auf den südlichen Abschnitt ist wohl unwahrscheinlich. Der Verzicht auf den Nordabschnitt würde nämlich dazu führen, dass ein “Inselbetrieb” für die Metro entstünde, der technisch nur schwer zu beherrschen wäre. Denn diese Rumpfstrecke verfügt nur über eine einzige Verbindung zum übrigen Metronetz und keine Einrichtungen für die Wartung der Fahrzeuge. Außerdem müssten dann nicht nur Nutzer aus den südlichen Gemeinden (in Albert) umsteigen, um ins Zentrum zu kommen, sondern auch aus dem Norden, was die Attraktivität, die Leistungsfähigkeit und letztlich den Sinn des gesamten Projekts ein Frage stellen würde.
Die Kosten werden zwar teilweise von der föderalen Regierung über Beliris, dem Bauträger für Infrastrukturprojekte in der belgischen Hauptstadt, getragen werden. Dennoch ist der Anteil, für den die Region aufkommen muss, so hoch, dass manche die Finanzierbarkeit bezweifeln. Eines steht jedoch fest: Die regionale Exekutive wird sich noch über mehrere Mandatsperioden mit dieser schier “unendlichen” Geschichte herumschlagen und dafür Verantwortung übernehmen müssen.
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