Aktuell, Gesellschaft

Das Umdenken in der Klimakrise

Gesprächsrunde in der „Emmaus-Gemeinde“ zu den Folgen des Treibhauseffekts

Von Michael Stabenow

Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ So lautete ein vor über einem halben Jahrhundert von der damaligen Deutschen Bundesbahn ersonnener und überaus erfolgreicher Werbespruch. In Zeiten der extremer gewordenen Wetterbedingungen hat er seine Gültigkeit verloren. Heute reden nicht nur – fast – alle von Wetterkapriolen, sondern, ungleich besorgniserregender dahinter stehend, vom Klimawandel. Kein Wunder daher, dass dieses „heiße Eisen“ jetzt Thema der Ende April begonnenen Veranstaltungsreihe „Emmaus-Gespräche“ in der Deutschsprachigen Evangelischen Gemeinde in Brüssel war.

Keine Patentlösungen

Patentlösungen zum Umgang mit der derzeit unaufhaltsam anmutenden Erwärmung der Erdatmosphäre hat die Gesprächsrunde unter lebhafter Beteiligung aus dem Publikum erwartungsgemäß nicht zu Tage gefördert. Dies konnte und sollte auch nicht der Anspruch der drei Teilnehmerinnen auf dem „Podium“ sein: Stefanie Hiesinger, Mitarbeiterin im Kabinett von Frans Timmermans, dem federführend für Klimaschutz zuständigen Ersten Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Michaela Holl von der Denkfabrik „Agora Energiewende“ sowie Ruth Koßmann, Pfarrerin der „Emmaus-Gemeinde“.

Zwei Erkenntnisse

Zwei positive Erkenntnisse schälten sich im Verlauf der von Hajo Friedrich, freier Journalist und „Belgieninfo“-Mitarbeiter, moderierten Diskussion heraus. Heute redeten nicht nur – fast – alle vom Klimawandel. Es gebe auch ein wachsendes, keineswegs nur auf Europa beschränktes Verantwortungsbewusstsein dafür. Holl beklagte, dass weiter kaum ein Tag ohne neue Hiobsbotschaft vergehe. Mit Blick auf die internationalen Klimaschutz-Gipfeltreffen sei das Bild aber weniger düster als noch vor Jahren. Einen Hauptgrund dafür sieht sie in der von der Schwedin Greta Thunberg und ihren Verbündeten in aller Welt getragenen Klimaschutzinitiative. „Fridays for Future hat den ganzen Druck ermöglicht“, lautete ihr im Publikum zustimmend aufgenommener Befund.

Die zweite – durchaus spirituelle – Erkenntnis der Debatte betrifft das Selbstverständnis der Menschen in der tagtäglich immer deutlicher empfundenen Klimakrise. Pfarrerin Koßmann sieht eine Abwendung vom lange dominierenden „anthropozentrisches Weltbild“. Dies bedeute, davon Abschied zu nehmen, „dass alles dem Menschen dient sowie sowie Tier und Natur Subjekt, nicht Objekt sind.“ Ähnlich äußerte sich Hiesinger: „Der Mensch wird nur überleben, wenn wir unsere natürlichen Ressourcen bewahren.“

Radikalisiert sich die Klimaschutzbewegung weiter?

Dass die von Hiesingers Vorgesetztem, Kommissar Timmermans, maßgeblich auf den Weg gebrachte Initiative zum sogenannten europäischen Green Deal weitreichendere Ergebnisse als zunächst befürchtet ermöglicht habe, gestand auch Agora Energiewende-Mitarbeiterin Holl zu. Sie warnte aber: „Ich glaube, dass die bereits radikalisierte Klimaschutzbewegung sich weiter radikalisieren wird.“

Dem widersprach Hiesinger, die ebenfalls „eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft“ sieht, keineswegs. Sie stellte dem jedoch eine zeitliche Perspektive entgegen. Mit dem EU-Projekt „Fit for 55“, das bis 2030 eine Verringerung des Ausstoßes der für die Erderwärmung maßgeblichen Treibhausgase um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 vorgibt, sei ein entscheidender Schritt getan worden. Nun gelte es, den Weg zu dem für 2050 angepeilten Ziel der Klimaneutralität zu ebnen. Das Ausmaß der Herausforderung verdeutlicht ein von Hiesinger angeführter Befund eines wissenschaftlichen Beirats der EU-Institutionen. Demnach sei eine Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen um 90 bis 95 Prozent bis 2040 geboten. Das werde „in der politischen Debatte nicht so leicht wegzudiskutieren sein“.

Klimaschutz als globale Aufgabe erkannt

Als ermutigend wertete es Hiesinger, dass nicht nur in Europa, sondern auch in Hauptemissionsländern wie China und den Vereinigten Staaten das Bewusstsein für den Klimawandel geschärft worden sei. In der Debatte klang durchaus die globale Dimension des Themas wie der zunehmende Migrationsdruck und die möglichen sicherheitspolitischen Folgen der Erwärmung der Erdatmosphäre an. „Klimaschutz hat jetzt eine Art Lobby“, sagte Hiesinger.

Leer blieb – symbolisch – auf dem „Podium“ ein Stuhl mit der Bezeichnung „Future Chair. Der Blick aus der Zukunft“. Das sollte zum Ausdruck bringen, dass steigende Temperaturen zu Wasser und in der Luft eine generationsübergreifende Herausforderung sind. Der Klimawandel geht schrittweise vonstatten. Höhere Temperaturen und extreme Witterungsphänomene der Gegenwart sind Ergebnisse des gesellschaftlichen und politischen Tuns und – vor allem – Lassens in der Vergangenheit. Aus dem Publikum kam dazu der Einwand, dass sich das Verständnis des Menschen, sich seiner eigentlichen Endlichkeit bewusst, stark auf die Zeitspanne des eigenen Lebens richte.

Welche Rolle für die Kirche(n)?

Als „Stimme aus der Zukunft“ erschien der zu Beginn der Veranstaltung per Videoverbindung zugeschaltete Münsteraner Geographiestudent Finn. Seine zentrale Frage lautete: „Welche Rolle kann die Kirche in der Klimakrise übernehmen?“ Die Transformation im Zeichen der Erwärmung der Erdatmosphäre finde statt, wie auch die Klimaschutzbewegungen von „Fridays for future“ bis zur „Letzten Generation“ zeigten. Doch wie demokratisch finde der Prozess statt, fragte Finn, und ließ dabei auch das Reizwort einer „Ökodiktatur“ fallen. Und sei die Kirche unabhängig von Politik und Parteien?

Dies nutzte Pfarrerin Koßmann als inhaltliche Vorlage zu der Feststellung: “Wir haben tatsächlich ein Parteibuch. Und das ist die Bibel.“ Dem im christlichen Glauben verwurzelten Dreiklang von Anfang, Tod und Auferstehung komme dabei auch in der aktuellen Klimakrise eine wichtige Rolle zu – nicht zuletzt damit verbunden die Hoffnung auf die „Bewahrung der Schöpfung“.

EKD und „Letzte Generation“

Nicht ganz unumstritten – der Disput um die Auslegung hat auch in der mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verbundenen Emmaus-Gemeinde durchaus eine Tradition – war Koßmanns Verteidigung der wegen ihrer radikalen Methoden oft kritisch beäugten Klimaschutzbewegung „Letzte Generation“. Wenn es ums „Wachrütteln“ in einer alarmierenden Lage gehe, „dann ist das in Ordnung, dass sich die EKD dahinter stellt“, sagte die Pfarrerin unter Bezug auf den großen Beifall, den eine entsprechende Äußerung auf der jüngsten Tagung der EKD-Synode – dem Kirchenparlament – in Magdeburg gefunden hatte.

Für etwas – friedlichen – Zündstoff war also gesorgt. Das könnte auch für die kommenden „Emmaus-Gespräche“ am 20. September (“Gibt es einen Weg aus der Ernährungskrise“) sowie am 8. November („Kirche in der Krise“) gelten. Ziel der im Frühjahr begonnenen Veranstaltungsreihe der ist es, regelmäßig aktuelle gesellschaftspolitische Themen unter – wenn auch nicht ausschließlich – christlicher Perspektive zu erörtern. Die Auftaktveranstaltung (Die „Emmaus.Gespräche“ – Eine neue Veranstaltungsreihe der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Brüssel – Belgieninfo) hatte Ende April vor dem Hintergrund des russischen Angriffs gegen die Ukraine unter der Überschrift gestanden: „Wie stellen wir uns als Christen zu Krieg und Frieden?“

 

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