Von Ferdinand Dupuis-Panther
Der in Aachen geborene, in Ostbelgien lebende Olivier Chavet ist sowohl ausgebildeter Musiker als auch studierter Agrarwissenschaftler. Im Rahmen eines Konzert weilte er im Februar 2025 im münsterländischen Warendorf und stellte sein Quartett mit dem belgischen Pianisten Igor Gehenot, der in Brüssel lebt, vor. Auf der Bühne standen auch der Kölner Trompeter Matthias Schwengler und der bei Verviers (Belgien) lebende Stamm-Kontrabassist Werner Lauscher, der für die tiefen Klänge verantwortlich zeichnete. Sie stellten Stücke aus dem Album „Racines“ („Wurzelwerk“) und dem März errscheinenden Album „Elements“ vor.
Wer gekommen war, bereute das nicht, angesichts der poetischen Melodien, die zu Gehör gebracht wurden. Ohne einführende Worte begann das Konzert. Zunächst war es an dem Drummer mit feinem Finger- und Handflächenspiel, die Felle von Snare und Tom ins Schwingen zu bringen, gleichsam die perkussive Ouvertüre des Konzertabends. Der Trompeter Matthias Schwengler verwob feine Klangfäden mittels seiner Trompete. So entstand ein dichtes Klanggewebe, weich wie Angorawolle, wenn dieser Vergleich hier erlaubt ist. Was der Trompeter vortrug, glich zudem der frühmorgendlichen Begrüßung eines Tages mit tiefrotem Sonnenaufgang. Begleitet wurde der Trompeter von den stoisch gesetzten Basslinien, dank an Werner Lauscher. Olivier Chavet pflegte einen perkussiven Stil abseits des Hau-drauf. Mit organischen Bewegungen agierte er an seinem Drumset, dämpfte gelegentlich auch das Fellschwirren, unter anderem der Snare. Doch der klangliche Fokus lag ohne Zweifel auf dem Trompeter, auch wenn der Pianist Igor Gehenot in seinem Solo mit seinem Klangfluss die Aufmerksamkeit auf sich lenkte.
Nahezu nahtlos ging es weiter, sieht man mal vom Einzählen für das folgende Stück ab. Olala, gab es da nicht auch im weiteren Harmonien zu hören, die man aus der Musik von Pharaoh Sanders her kennt? Irgendwie kamen dem Berichterstatter Fragmente aus „Save our children“ in den Sinn. Und noch einen Bezug konnte der eine oder andere herstellen, als der Trompeter die musikalische Regie übernahm. Dessen Spiel erinnerte an den Ansatz, den der norwegische Trompeter Mathias Eick pflegt, wenn man so will ein wenig Fjord-Sound im Münsterland. Es war Musik, in die man sich entspannt fallen lassen konnte, stets auf der Suche nach der Schönheit der Melodie. Diese wurde nicht nur in dem zweiten Stück des Konzerts umgesetzt, sondern während des gesamten Konzertabends, einschließlich der obligatorischen Zugabe nach herzlichem Applaus.
Nach den beiden Stücken „Pas à pas“ und „Racines“ ging es mit einem Stück weiter, das Olivier Chavet seiner kleinen Tochter Lucie gewidmet hat. Entstanden ist die motivische Grundidee zum Stück während eines gemeinsamen Spaziergangs von Vater und Tochter. Dieser Song nimmt auch die Rauheit der Eifel und der Hohen Ardennen auf, der Gegend, in der Olivier Chavet daheim ist und im Nebenerwerb seine Landwirtschaft betreibt. Eher die leisen Töne waren es zu Beginn, die den Zuhörern Konzentration abverlangten. Igor Gehenot verstand es dabei, die Stimmung eines Waldspaziergangs einzufangen. Leise Windbewegungen, ein Rascheln des auf dem Boden liegenden Laubs, die Stille und Entspannung. Dazu passte auch das Besengewische von Olivier Chavet, insbesondere um den Wind, der sich im Laub fängt, musikalisch einzufangen.
Der Pianist inszenierte kleine Klangstrudel ebenso wie kristalline Klanggebilde. Derweil war der Bassist bestrebt, in seiner dunklen Tieftönigkeit die Vorstellung von schweren Schritten zu evozieren, oder? Dabei konzentrierte sich das Zupfspiel von Werner Lauscher darauf, die Griffhand am oberen Basshals zu platzieren. Unaufgeregt begleitete der Drummer seine Mitmusiker. Nicht nur bei „Lucie“, sondern auch sonst drängte sich der Schlagwerker nicht auf. Das Spiel der vier Musiker war auf Augenhöhe ausgerichtet!
Auch Stücke aus dem neuen Album „Elements“ hatte die Band mit im Gepäck. So hörten wir dann „Löwenzahn“ (Dent de Lion im Original) und erlebten die Fortsetzung der lyrischen Konnotation, wie sie auch zuvor zu hören war. Alles war im Fluss, ein Leben ohne Hast und mit Momenten der Kontemplation. Das war der Eindruck. Leicht und unbeschwert klang das, was der Pianist vortrug. Im Fortgang wurde dann auch das Schlagwerk fordernder eingesetzt, ohne jedoch in einer Eruption zu münden.
Kurz waren die Wortbeiträge, die Olivier Chavet hier und da zwischen der musikalischen Präsentation einschob. So erfuhren die Anwesenden, dass das Stück „Travers“ aus dem Album „Racines“ zu einem Zeitpunkt entstand, als der Drummer ein „tiefes Tal durchschritt“. Nein, Grau in Grau erlebten wir nicht, wie vielleicht zu erwarten. Statt dessen hellte der Trompeter mit seinem Spiel die Stimmung auf, schien in Pastell eine Klanggouache zu zeichnen. Mit einem Anflug von Chopin war der Pianist unterwegs. Das war jenseits von Schwere. Und in dem folgenden Solo des Trompeters schien man gar mit klassischem Bop konfrontiert.
Außerdem hörten wir „Elements“. Luft, Feuer, Wasser und Erde wurden klanglich umgesetzt und dabei schien auch auf eine Fugenmodulation zurückgegriffen zu werden. Hörte man nicht auch ein Himmelsdonnern? „Resilient“ hieß es weiter. Aufruf zur Widerstandsfähigkeit oder was? – das fragte sich der eine oder andere unter Umständen. Nein, einen Agit-Prop-Song light hatte die Band nicht im Gepäck. Eher konnte man beim Zuhören sich besinnen und seine Mitte finden, insbesondere angesichts der Erzählformen, die der Flügelhornist pflegte.
Im Fortgang des Konzerts widmete sich das Ensemble der „Neun“ als Sinnbild der Vollkommenheit ebenso wie als eigentlich letzten Song des sehr hörenswerten Konzerts dem „Tag“. Doch Tag schien als Kompositionstitel nicht so prickelnd, und so entschied sich Olivier Chavet angesichts seines Rasen mähenden sizilianischen Nachbars für „Giorno“. Kleine nette Anekdote, um die Brücke zum Publikum zu schlagen. Dieses hatte unterdessen ungemein großen Gefallen an der Musik des Quartetts gefunden und „belohnte“ die Musiker mit einem überwältigendem Applaus zum Schluss. Wie gesagt, die Zugabe gab es dann selbstverständlich. Und dann hieß es: Au revoir!
© Fotos Ferdinand Dupuis-Panther
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