Aktuell, Panorama

Das erste Lächeln, der erste offene Blick

Von Angela Franz-Balsen.

Flüchtlingsfrauen halten sich gerne im Hintergrund, sie prägen auch in Belgien längst nicht so wie die Männer das Bild der Flüchtlingslager und die Flüchtlingsdebatten. Viele von ihnen sind durch Erlebnisse im Heimatland und auf der gefährlichen Reise traumatisiert. Jede dritte der Angekommenen wurde vergewaltigt, manche sind dadurch schwanger geworden, wieder andere haben Mann und Kinder verloren.

Wer ihnen wieder Freude am Leben zurückbringen möchte, muss eine Mauer aus Misstrauen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit durchbrechen. Dazu gehört, die Sprache des Gastlandes zu vermitteln, Vertrauen zu schaffen, schließlich auch Momente des Glücks mitzugestalten. Was ist dieses Glück? Reden und Verständnis finden, Anerkennung – und vielleicht einmal ein körperliches Wohlgefühl, wenn man eine Pflegemaske genießen darf…

Unsere Redakteurin Angela Franz-Balsen hat im dritten Bericht über Flüchtlinge in Belgien neue Eindrücke gesammelt.

 

Es herrscht reger Betrieb in zwei von insgesamt vier Räumen des Espace Femmes. Heute, so war angekündigt worden, werden sie zum Kosmetiksalon umfunktioniert. Etliche Stammkundinnen sind erschienen, um sich eine Pflegemaske machen zu lassen. Sie haben neu angekommene Frauen mitgebracht. Carine aus Westafrika wiegt das Baby einer jungen Mutter von den Philippinen, die als nächste behandelt wird, eine Inderin und eine Afghanin scheinen sich schon sehr heimisch zu fühlen, während eine Kurdin scheu und unsicher auf der Sofakante unter einem stilisierten Baum mit den Namensschildchen der bisherigen Besucherinnen Platz nimmt. Es gibt wie immer Tee und Kaffee, auf einer Herdplatte köchelt eine Kürbissuppe, Brot und Kekse stehen auf dem Tisch.

Melanie bewegt sich ruhig zwischen den Frauen, begrüßt behutsam die Neuen und umarmt die Altbekannten. Die Mittzwanzigerin ist eine von 15 bis 20 Freiwilligen, die zum harten Kern des Projekts gehören und den Laden am Laufen halten. Sie kennt die Situation, die viele der Frauen erlebt haben, aus nächster Nähe: Vor ein paar Tagen war sie noch vor Malta auf einem Rettungsboot unterwegs. Andere Freiwillige haben in ihrem eigenen Leben große Härten und Herausforderungen bewältigt, so dass sie sich stark genug fühlen, Flüchtlngen beizustehen.

Jetzt steckt Ella-Maryse, eine von fünf Gründerinnen des „Frauenraums“, den Kopf durch die Tür und bittet mit strahlendem Lächeln die Nächste in den Nebenraum. Die 49-Jährige ist von Beruf Geburtsbegleiterin. Für die Arbeit mit den Flüchtlingsfrauen hat sie sich weitere Massagetechniken angeeignet und begonnen, kosmetische Gesichtspflege anzubieten. Dabei ist Improvisation gefragt: Warmes Wasser steht in einem kleinen Eimerchen unter dem Behandlungsstuhl, das ganze Pflegezubehör ist ebenso zusammengewürfelt.

Sicherheit bieten, Vertrauen aufbauen

Um den speziellen Ansatz zu verstehen, den Ella und Elisabeth (77) entwickelt haben, muss man zurückblicken auf die ersten Eindrücke und Beobachtungen der beiden Aktivistinnen im Flüchtlingscamp am Brüsseler Nordbahnhof. Dort sahen sie überall nur Männer, die Tee tranken, diskutierten und sich die Zeit mit Spielen vertrieben. Wo waren die Frauen? Die Frauen ruhten zurückgezogen und völlig erschöpft in den Zelten oder kümmerten sich um die Kinder. Einen Treffpunkt für sie gab es nicht, dafür Aggressionen und Streitigkeiten untereinander.

Ella und Elisabeth stellten ein erstes Frauenzelt auf, als Ort für friedliche Kommunikation. Sofort wurde das Zelt geklaut, erst ein zweiter Versuch mit einer befestigten Konstruktion war erfolgreich. Die Frauen wurden aus ihren Zelten gelockt, man trank Tee und plauderte, ohne Fragen zu stellen. Ella und Elisabeth machten jedoch eines klar: Hier seid ihr sicher, und hier sind alle gleich. Der Dank kam in Sätzen wie diesen: „Dies ist das erste Mal, dass man uns in die Augen schaut und uns anlächelt.“

Den Heldinnen tun die Füße weh

Nach Auflösung des Camps und Umzug in die Hall Maximilien, kämpften Elisabeth und Ella um einen eigenen Raum für ihre Schützlinge. Dort sollten sich die Frauen für eine Weile entspannen können. „Unser Ziel ist, auf ihre Gesichter wieder ein Lächeln zu zaubern“, sagt Ella. Man wolle sie verwöhnen und ihrer Leistung Respekt zollen. Elisabeth ergänzt: „Eigentlich sind alle diese Frauen Heldinnen, denn sie haben es bis hierher geschafft“. Deshalb ist sich die Soziologin auch nicht zu schade, ihnen die Füße zu waschen und zu massieren. „Unseren Frauen tun die Füße weh, sie müssen auch in Brüssel viel laufen, sie haben kein Auto und bekommen nur selten STIB-Tickets.“

Elisabeths Menschenbild beruht auf ihrer politischen Sozialisation in den 68er Jahren, auf ihrer Arbeit als Lehrerin mit Auslandseinsatz im Kongo, dem Studium der Soziologie sowie auf ihrem privaten wie beruflichen Engagement als Feministin. Ihr Credo: Alle Menschen haben gleiche Rechte und sind wertvoll.

Tagebuchnotizen, die viel verraten

Ihre Erfahrungen aus der Koordination zahlreicher Projekte bringt sie als „graue Eminenz“ in den Espace Femmes ein. Vom ersten Tag an lässt sie die Freiwilligen, die die Gäste betreuen, ein Tagebuch führen. Dort notieren sie Beobachtungen und geben Infos an die Nachfolgerinnen im Dienst weiter. In den Notizen wird deutlich, wie langwierig der Prozess der Annäherung ist: Es dauert, bis die Frauen ihre Mäntel ablegen, und noch länger bis sie anfangen zu erzählen. Der Espace Femmes ist manchmal „full of stories, full of trauma“ , wie Ella es ausdrückt. Aber erst dann kann man weiterhelfen, durch Vermittlung an medizinische, psychologische oder soziale Dienste. Diese Aufgaben gehen über die Anwesenheit in den Räumen hinaus, bestimmte Teammitglieder arbeiten eher im Hintergrund, in enger Zusammenarbeit mit anderen Diensten der Plateforme citoyenne pour soutien au refugiés (http://www.bxlrefugees.be/).

Meistens ergeben sich die Angebote, die das Helferinnenteam den Flüchtlingen anbietet, aus Beobachtung und Gesprächen, die Bedürfnisse verraten. Die Mehrheit der Frauen somatisiert die durchstandenen Leiden, als Mittel gegen ihre Rückenschmerzen nehmen sie Massagen am häufigsten in Anspruch. Daneben ist die Sehnsucht der Frauen nach heimischen Gerichten groß, aber auch nach traditioneller Musik und Tanz.

Die Bedeutung von Kochen

Wunsch aller Teammitglieder ist es, die Frauen aufzubauen und zu befähigen, ihr Leben in Belgien in die Hand zu nehmen. Das Erlernen der Sprache ist dafür besonders wichtig, aber etliche Frauen nutzen die angebotenen Sprachkurse nicht. Deshalb hat sich Elisabeth ein Kochbuch ausgedacht. Bevor einzelne oder mehrere Frauen ihre Lieblingsgerichte aus der Heimat für sich und andere kochen dürfen, werden die Rezepte erfasst, man verständigt sich mit Händen und Füßen und mit Bildern!

Steht der Einkaufszettel endlich fest, kaufen die Frauen gemeinsam ein und lernen dabei die Vokabeln. So etwa am vergangenen Donnerstag die zwei Somalierinnen, die herausgeputzt mit den besten Tüchern und Kleidern zum Gang zum Markt, in den Supermarkt und in die Halal-Metzgerei erscheinen. Kritisch begutachten sie die Ware, erst die zweite Metzgerei stellt sie zufrieden. Vor dem Kochen wollen sie die Kleider wechseln – sie brauchen jetzt Arbeitskleidung zum stundenlangen Schnippeln und Rühren. Am Ende des somalischen Menüs applaudieren 20 Personen den superstolzen Köchinnen. ( Foto mit Victoryzeichen der Gäste)

Im Kochen finden die Frauen wieder zu ihrer Identität und zu Produktivität. In den Asylantenheimen können sie das meistens nicht, und das fehlt ihnen sehr.“ erläutert Elisabeth.

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Wer die Arbeit des Espace Femmes durch Spenden oder persönliches Engagement unterstützen möchte, wende sich an: psar.bxl@gmail.com (à l’attention d’Espace-Femmes).

Generelle Infos unter: http://www.bxlrefugees.be/

 

Diese Artikel-Serie von Angela Franz-Bahlsen umfasst insgesamt fünf Artikel. Hier geht es zu den anderen Artikeln der Serie:

1. Teil: Soumayyas Story (2. Oktober 2016)

2. Teil: „Es geht um mehr als heiße Suppe und warme Decken…“ (28. Oktober 2016)

4. Teil: RANA im Brussels-Bubble (28. Februar 2017)

5. Teil: Von Willkommenskultur zu Abschreckungspolitik (2. Juli 2017)

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