Das Stadion trägt den Namen des Anführers eines blutigen Aufstands der Flamen gegen den französischen König im frühen 14. Jahrhundert: Jan Breydel, gelernter Fleischer. Eigentlich schon mal eine gute Voraussetzung für legendäre Fußballbegegnungen zwischen den Lokalrivalen Club und Cercle Brügge. Noch bis 1998 hieß beider Begegnungsstätte Olympiastadion, zur Europameisterschaft im Jahr 2000 wurde sie modernisiert. Die westflämische Provinzialregierung verlangte als Geldgeber die martialische Umbenennung. Heute teilen sich die beiden einzigen belgischen Erstligateams aus der gleichen Stadt die knapp 30.000 Zuschauer fassende Heimstätte.
Doch Derbyzeit in Belgien ist anders als zum Beispiel in Berlin, dem Ruhrgebiet, London oder Manchester. So auch in diesem Jahr bei der Hinrunde der ersten belgischen Liga, einer Farm- und Schaufensterliga für Spieler, die es zumeist weiter in die Premier League, Primera División oder Bundesliga zieht.
„Brügge sehen und sterben?“ hieß ein erfolgreiches Filmdrama von 2008 mit Colin Farrell in der Hauptrolle. Aber Flandern im August ist anders: wer Schlägereien zwischen unterschiedlichen Fangruppen oder Wasserwerfer vor dem Stadion erwartet, wird überrascht. Stattdessen erwartet einen bloß ein versprengtes Grüppchen gelangweilt wirkender Streifenpolizisten. Dass die Zuschauer sich den Weg dorthin zum großen Teil durch eine vergessene Baustelle unter einen aufgehebelten Bauzaun hindurch illegal erkämpft haben, wird noch nicht einmal zur Kenntnis genommen. Die Zuschauerzahl bleibt ohnehin übersichtlich. Sie wird mit 26.000 angegeben. In Wahrheit dürfte sie weit darunter liegen, im weiten Rund klaffen größere Lücken. Bei Bier und den in Belgien allgegenwärtigen Fritten herrscht vor dem Jan Breydel eher Dorffestatmosphäre.
Wenn unter den Fans so etwas wie eine aggressive Grundstimmung zu spüren gewesen sein sollte, liegt das allenfalls an den hochfliegenden Plänen des Club-Trainers und früheren Nationaltorhüters Michel Preud’homme. Nachdem Christoph Daum in der Saison 2011/12 immerhin die Vizemeisterschaft erreicht hatte, wird von Preud’homme nichts weniger als der erste Platz erwartet. Dauerabonnent auf die belgische Meisterschaft ist jedoch der RSC Anderlecht aus der Hauptstadt Brüssel, der noch vor Cercle unbeliebteste Gegner der Club-Fans. Die Namen dieser beiden Teams werden in der Fankneipe von Club Brügge im Stadion grundsätzlich nur verkehrt herum aufgehängt. Überhaupt treffen die Ambitionen der gehetzt wirkenden Vereinsführung auf weit mehr fruchtbaren Boden als dieser eigentlich lieb sein kann. Club Brügge ist nicht nur der Verein mit den mit Abstand meisten Anhängern in der Stadt, sondern auch mit den belgienweit meisten Hooligans. Das belgische Innenministerium stuft Spiele unter Beteiligung von Club Brügge grundsätzlich als Risikobegegnungen ein und hat zur Auflage gemacht, dass zu jeder Auswärtsbegegnung grundsätzlich mindestens 16 vereinseigene Stadionordner mitzureisen haben.
Doch in der Hinrunde zur belgischen Meisterschaft ist die Begegnung gegen Cercle ein Heimspiel. So muss Cercles Fanshop an diesem Spieltag geschlossen bleiben. Ohnehin finden sich nur verhältnismäßig wenige von deren Unterstützern in Grün-Schwarz im Gegensatz zum dominierenden Blau-Schwarz ein. Cercle versteht sich eher als bürgerlicher Verein, während Club die Massen anspricht. Am Ende richtet sich der Unmut der Zuschauermehrheit eher gegen die eigenen Spieler und den Schiedsrichter als gegen Cercle. Der chilenische Angreifer Nicolas Castillo hatte in der 29. Minute das 1:0 erzielt und lange Zeit sah es nach einer erdrückenden Überlegenheit des Club aus. Aber Cercle hielt gegen und so nutzte der Kongolese Junior Kabananga in der 69. Minute eine der wenigen Chancen und erzielte den Ausgleich zum 1:1. Danach erging man sich in harten und nickeligen Zweikämpfen, die zu insgesamt acht gerecht auf beide Seiten verteilte gelbe Karten führten, aber am letztlich gerechten Unentschieden nichts mehr änderten. Der seit 2013 bei Cercle unter Vertrag stehende frühere deutsche U-21-Nationalspieler Richard Sukuta-Pasu kam nicht zum Einsatz.
So darf sich nun niemand Stadtmeister von Brügge nennen. Kein akzeptables Ergebnis für den Favoriten. Die Fans von Club Brügge ließen ihren Frust mit wüsten Beschimpfungen an ihrem ehemaligen, in der vergangenen Saison zu Cercle gewechselten Verteidiger Bart Buysse aus – zwischen ihnen und der gegnerischen Ersatzbank liegen keine zehn Meter und steht vor allem kein Zaun. Club-Sportdirektor Stephan Keygnaert nahm Trainer Preud’homme ins Visier, der gleichzeitig den Unmut von Cercle-Trainer Lorenzo Staelens auf sich zog: „Ich beteilige mich nicht an der Show, die Michel Preud’homme aufführt ebenso wenig wie am respektlosen Verhalten des Vorsitzenden Bart Verhaeghe.“ Dieser soll Staelens nach dem Spiel höhnisch zu den gewonnen drei Punkten gratuliert und gesagt haben, dass nicht mehr allzu viele dazu kommen mögen. Gemeint waren die insgesamt drei Punkte nach vier Spieltagen. So kam nach 90 Minuten doch noch so etwas wie Derbystimmung auf, allerdings jenseits des Spielertunnels. Cercle-Trainer Staelens erschien nicht zur Pressekonferenz, ebenso wenig wie Club-Pressesprecher Klaus Van Isacker. Letzterer war rechtzeitig vor der Begegnung in den Urlaub gefahren.
Club Brugge KV – Cercle Brugge KSV | Brügge | Jan Breydel Stadion
Jupiler Pro League | 4. Spieltag | Freitag, 15. August 2014
Thomas Philipp Reiter
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