Aktuell, Das Land, Verkehr

Brüssel wird seine E-Roller nicht los

 

Von Reinhard Boest

Am 1. Februar sollte es eigentlich soweit sein. Nach einer vierwöchigen Schonfrist sollte die bereits im Sommer 2023 getroffene Entscheidung der Brüsseler Regionalregierung Realtät werden, zu Beginn des Jahres 2024 die Zahl der zugelassenen elektrischen Mietroller drastisch zu reduzieren und ihre Verwendung – vor allem das Abstellen – strenger zu regulieren (siehe https://belgieninfo.net/bruessel-definiert-regeln-fuer-e-roller-co-ab-2024/).

Die Regierung wollte die Zahl der Roller-Anbieter von sieben (mit rund 20.000 Fahrzeugen) auf zwei (mit höchstens je 4.000 Rollern) begrenzen und hatte im Herbst eine entsprechende Ausschreibung durchgeführt. Kurz vor Weihnachten wurde entschieden, dass künftig nur noch Bolt und Dott eine Lizenz bekommen. Gleichzeitig wurden auch die Lizenzen für die anderen Arten “geteilter” Fahrzeuge neu vergeben: Bolt, Dott und Voi für Fahrräder (je 2.500), Felyx und GO für E-Scooter (je 300) sowie TIER und Pony für Lastenräder (je 150).

Wer gedacht hatte, damit sei die Angelegenheit geregelt, sieht sich jetzt eines besseren belehrt: Voi und Lime haben gegen die Entscheidung geklagt, und am 31. Januar hat ihnen das zuständige Brüsseler Instanzgericht Recht gegeben. Beide hatten argumentiert, dass die ihnen – vor Erlass der Neuregelung – erteilten Lizenzen noch bis August 2024 (Voi) beziehungsweise Juli 2025 (Lime) gültig seien und jetzt nicht einfach annulliert werden dürften. Außerdem sei das Vergabeverfahren nicht transparent gewesen. Lime, das zum Uber-Konzern gehört, hat angekündigt, seine 3.500 Roller weiter zu betreiben; Voi hat sich noch nicht auf eine Zahl festgelegt. Unbekannt ist auch, wie sich die anderen bisherigen Anbieter verhalten werden, die nicht berücksichtigt wurden, sich aber der Klage nicht angeschlossen hatten.

Die zuständige Regionalministerin Elke Van den Brandt von den flämischen Grünen zeigte sich enttäuscht. Jeder wisse, dass die jetzige Zahl von Rollern zu hoch sei und die Qualität und die Sicherheit des öffentlichen Raums beeinträchtige, vor allem für Fußgänger und Personen mit Behinderungen. Die Forderung nach einer Begrenzung sei ja sogar von den Betreibern selbst gekommen. Van den Brandt verwies darauf, dass die Regulierung der Nutzung der Roller nicht in Frage gestellt worden sei. Dazu gehört vor allem das verpflichtende Abstellen der Roller in den sogenannten “Drop Zones”. Die zuständigen Bediensteten der Region und der Gemeinden sollten das jetzt verstärkt kontrollieren, erklärte die Ministerin. Die Verordnung sieht vor, dass nicht ordnungsgemäß abgestellte Roller entfernt werden können und dem Betreiber dafür eine Gebühr in Rechnung gestellt wird.

Auch in dieser Hinsicht gibt es allerdings in der Praxis noch Lücken. Wie der französischsprachige Sender RTBF berichtet, hatten zum Stichtag 1. Februar 2024 nur 11 der 19 Brüsseler Gemeinden ausreichend Abstellzonen definiert und markiert, so dass Nutzer sie auch erkennen können. Dementsprechend können die Betreiber auch nur dort die Geolokalisierung so einstellen, dass der Mietvorgang erst mit dem Abstellen in einer Drop Zone endet. Wo dies nicht der Fall ist, können Roller (nur) entfernt werden, wenn sie ein Verkehrshindernis darstellen, etwa wo Fußwege besonders eng sind.

Mit Blick auf die anstehenden Wahlen wird das Thema natürlich auch für parteipolitische Profilierung genutzt. So hat die Gemeinde Woluwe-Saint-Lambert die Ministerin für ihre Politik kritisiert und sie aufgefordert, gegen die Gerichtsentscheidung Rechtsmittel einzulegen. Hier ist Olivier Mangain seit 2006 Bürgermeister, der langjährige Vorsitzende von DéFi, die im Parlament der Region in der Opposition sitzt. Wenn es nicht gelinge, die Zahl der Roller wie geplant zu reduzieren, seien die Abstellzonen nicht ausreichend. Allerdings gehört Woluwe-Saint-Lambert zu den Gemeinden, die sich bei der Ausweisung der Drop Zones Zeit gelassen haben. Erst jetzt wurde auf der Internetseite eine Google-Karte veröffentlicht – im Straßenraum ist davon allerdings bisher wenig zu sehen. Die Gemeinde kündigt an, verstärkt irregulär abgestellte Roller zu entfernen. Dieses Instrument wende man bereits seit dem erstmaligen Auftauchen der E-Roller 2018 an und sei dabei Vorreiter in der Region gewesen. Dass man die damit verbundenen Kosten trage, sei aber ungerecht, denn die Einnahmen aus den Lizenzen kassiere schließlich die Region.

Zu Beginn des Jahres konnte man den Eindruck gewinnen, dass die verbreitete Anarchie bei der Nutzung dieser Fahrzeuge langsam abnimmt. Jetzt herrscht wieder Unsicherheit. Es bleibt abzuwarten, ob es gelingt, ein auskömmliches Nebeneinander aller Nutzer des öffentlichen Raums zu erreichen, wie es Ziel der Regelung war. Andernfalls könnte letztlich doch die nach der Verordnung auch mögliche, aber eigentlich nicht gewollte Alternative greifen und ein vollständiges Verbot von Mietrollern wie in Paris kommen.

 

Leave a Comment

Ihre E-Mail-Adresse wird veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.