Von Reinhard Boest
Ende Juli hat die Brüsseler Regionalregierung die Regeln festgelegt, die ab 2024 für die « sanften » Verkehrsmittel in der Stadt gelten sollen. Im Klartext handelt es sich um elektrisch betriebene Roller, Fahrräder, Lastenfahrräder und Scooter, die man überall anmieten kann (Cyclopartage – Fietsdeelen). Seit dem Erscheinen der Roller im Stadtbild hatte sich zuletzt ein Wildwuchs entwickelt, der die Frage aufwarf, ob man es mit einer Wohltat oder doch eher mit einer Plage zu tun habe. Vor allem die Disziplinlosigkeit (zu) vieler Rollerfahrer, die die Fahrzeuge nach der Nutzung einfach irgendwo stehen (oder liegen) lassen, zwang letztlich zum Handeln. Über 20.000 Roller sind für eine Stadt von der Größe Brüssels einfach zu viel. In Paris waren “nur” 5.000 Roller in Betrieb, aber nach einer Volksabstimmung mussten die Anbieter zum 31. August alle Fahrzeuge abziehen. In Brüssel hatte man sich schon im Frühjahr entschieden, auf ein komplettes Verbot zu verzichten und stattdessen die Regeln strikter zu fassen. https://belgieninfo.net/e-roller-in-bruessel-kein-verbot-wie-in-paris-aber-striktere-regeln/
Die entsprechende Verordnung ist jetzt – fast zwei Monate nach der Verabschiedung – im Gesetzblatt (Moniteur Belge) veröffentlicht worden. War die Vorgängerregelung von 2019 noch eher rudimentär, wird die Materie nunmehr in 75 Artikeln detailliert geregelt, von den Ausschreibungsverfahren über die technischen und weiteren Anforderungen an Fahrzeuge und Anbieter, den Betrieb und das Abstellen der Fahrzeuge, Überwachung und Datenerhebung bis hin zur Höhe der von den Anbietern zu leistenden Abgaben, Strafzahlungen bei Verstößen und der Verwendung dieser Beträge.
Für die Anzahl der Anbieter und der zugelassenen Fahrzeuge pro Lizenz sieht die Verordnung – anders als die Regelung von 2019 und das zugrundeliegende Gesetz des Brüsseler Parlaments von 2018 – erstmals die Möglichkeit einer Begrenzung vor. Für Fahrräder darf es bis zu fünf Lizenzen geben (maximal 4.000 Fahrzeuge pro Lizenz), bis zu drei für Elektroroller (in der Gesetzesterminologie “engins de déplacement – Voortbewegingstoestel”, maximal 6.000 pro Lizenz), Elektro-Scooter (500) und Lastenräder (500). Die Verordnung lässt aber auch die Möglichkeit zu, gar keine Lizenzen zu erteilen.
Die Regierung hat sich jetzt entschieden, ab 1. Januar 2024 die Zahl der Anbieter und der Fahrzeuge gegenüber dem aktuellen Bestand drastisch zu reduzieren, wobei man unter den Obergrenzen bleibt, die die Verordnung erlaubt. Für Elektroroller soll es nur noch zwei Anbieter geben (statt bisher sieben) mit jeweils 4.000 Fahrzeugen. Drei Anbieter statt bisher sechs sind für Fahrräder vorgesehen (jeweils 2.500 Räder), zwei für E-Scooter (je 300 Fahrzeuge) und zwei für Lastenfahrräder (je 150 Räder). Die Lizenzen gelten nur noch drei statt wie bisher vier Jahre.
Jetzt nach der Sommerpause sollen die Lizenzen ausgeschrieben werden, um das Vergabeverfahren rechtzeitig zum Beginn des Jahres 2024 abzuschließen. Kriterien sind – neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Nachweis einer Versicherung – die Einhaltung der Regeln für die Nutzung und das Abstellen der Fahrzeuge, die Sicherheit sowie soziale und ökologische Aspekte wie etwa das Laden der Batterien mit “grünem” Strom. Die Verordnung sieht eine strengere Überwachung der Anbieter einschließlich einer jährlichen Evaluierung ihrer Leistungen vor.
Neu ist die Verpflichtung, dass die Fahrzeuge ein Kennzeichen haben müssen, das “auf den ersten Blick sichtbar und lesbar ist”. Schon bisher galt, dass die Fahrzeuge technisch so ausgestattet sein müssen, dass sie die für sie geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen einhalten. Allgemein gilt etwa für E-Roller eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h, in Fußgängerzonen oder Parks dürfen sie nicht schneller als 8 km/h fahren. Alle Fahrzeuge verfügen über eine Ortungsfunktion, damit die Nutzer sie mit Hilfe der dafür auf ihren Mobiltelefonen installtierten App lokalisieren können. Mit Hilfe dieser Funktion soll auch sichergestellt werden, dass die Geschwindigkeit in den Zonen automatisch “abgeregelt” wird, in denen sie beschränkt ist. Die Verkehrsverwaltung der Region (Bruxelles Mobilité) teilt den Anbietern die Abgrenzung dieser Zonen jeweils mit, damit diese die GPS-Signale entsprechend einstellen können.
Die Technik soll auch genutzt werden, um die schon jetzt geltenden Regeln für das Abstellen der Roller und Fahrräder konsequenter durchzusetzen. Nach der Nutzung müssen diese an den dafür vorgesehenen Stellplätzen (“Drop Zone”) geparkt werden und dürfen nicht „wild“ irgendwo stehen oder liegen gelassen werden. Künftig soll die Geolokalisierung dafür sorgen, dass der Mietvorgang nicht beendet werden kann und der Gebührenzähler weiterläuft, wenn ein Fahrzeug außerhalb einer „Drop Zone“ abgestellt wird. Wie präzise diese “digitale” Abgrenzung der Zonen in der Praxis funktioniert, bleibt abzuwarten. Die Verordnung verpflichtet die Anbieter, technisch sicherzustellen, dass 95 Prozent der Fahrzeuge in den dafür vorgesehenen Zonen abgestellt werden.
Die Anbieter müssen Bruxelles Mobilité in Echtzeit Zugang zu ihrer App gewähren, so dass Verstöße gegen die Nutzungsregeln auch “von Amts wegen” festgestellt werden können, etwa die Identifizierung wild abgestellter Roller. Die Betreiber haben zwölf Stunden Zeit, das Fahrzeug korrekt abzustellen. Andernfalls erfolgt das durch Bruxelles Mobilité oder die jeweilige Gemeinde, wofür dann eine Gebühr fällig wird: 35 Euro für das “Umparken” in eine “Drop Zone”, 100 Euro für das Entfernen, falls das Fahrzeug sich mehr als 150 Meter von einer “Drop Zone” befindet (200 Euro für einen Scooter oder ein Lastenfahrrad).
Die Einrichtung der “Drop Zones” obliegt nach der Verordnung den Gemeinden. Ihre Anzahl, Größe und Lage soll den lokalen Bedürfnissen Rechnung tragen. Der Prozess soll im gesamten Stadtgebiet bis Jahresende abgeschlossen sein. Einige Gemeinden sind mit der Ausweisung der Zonen schon fertig, andere lassen sich Zeit. Den Gemeinden sollen für diese Aufgabe die Einnahmen aus der – in der Verordnung von 2019 noch nicht vorgesehenen – Abgabe für die Nutzung des öffentlichen Raums zufließen. Die Anbieter müssen dafür jährlich pro Fahrrad 35 Euro, pro Roller oder Lastenrad 50 Euro und pro Scooter 60 Euro entrichten. Bei der ab Januar 2024 vorgesehenen Zahl von Fahrzeugen käme man auf einen Betrag von gut 700.000 Euro, der auf die Gemeinden im Verhältnis der von ihnen eingerichteten “Drop Zones” aufgeteilt wird.
Nachdem jetzt alles – zumindest theoretisch – bis ins kleinste Detail geregelt ist, bleibt zu hoffen, dass die Realisierung ab Anfang nächsten Jahres dazu führt, dass insbesondere die Nutzung der E-Roller nicht mehr als Plage empfunden wird. Dazu gehört auch, dass die gar nicht mehr so ganz neuen Regeln des Straßenverkehrsgesetzes eingehalten werden, die seit Mitte 2022 für E-Roller gelten: etwa Altersgrenzen, Verbot der Nutzung von Fußwegen, nicht zu zweit auf dem Roller. Das Institut für Straßenverkehrssicherheit VIAS hat im Mai noch einmal an diese Regeln erinnert und bietet ein Quiz an, bei dem jeder seine Kenntnisse überprüfen kann.
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