Seit dem 26. November 2014 gehört das belgische Glockenspiel zum Weltkulturerbe. Das Glockenspiel, im französischen „le carillon“, bringt in Belgien viele Städte zum Klingen. Joëlle Milquet meinte sichtlich erfreut nach Kenntnisnahme der Anerkennung von Unesco : „Le carillon est la voix musicale de nos cités“. Das Glockenspiel ist die musikalische Stimme unserer Städte. Bekannt sind die Glockenspiele der Kirchen von Ath, Brüssel, Brügge, Lüttich, Mons, Nivelles, Soignies, von Tournai – und sicher kommen noch einige mehr hinzu.
Ein Carillon ist ein spielbares großes Glockenspiel, das sich in einem Turm, einem Belfried oder eigens dafür errichtetem Bauwerk befindet. Das Carillon hat eine enorme Klangfülle, man kann es mit einer großen Orgel vergleichen. Es ist ein faszinierendes Instrument, welches bei der Bedienung Kraftaufwand, musikalisches Gespür und Präzision erfordert. Über das Treten der Pedale und mit Hilfe hölzerner Stöcke, die ähnlich einer Klaviertastatur doppelseitig am Manual, dem Spieltisch, angebracht sind und mit Fäusten bedient werden, werden die Zugseile der Glocken in Bewegung gesetzt. Bedenkt man die Schwierigkeit der Bedienung dieses Instruments so ist es umso erstaunlicher, dass es Menschen gibt, die Turmglockenspieler, die vielseitige Musik, von Klassik, über das Volkslied bis hin zu bekannten Chansons und Filmmusik aus den vielen, vielen Glocken hervorzaubern können.
Auf in den Kampf
Hat man Gelegenheit, dem Glöckner bei einem Konzert zuzuschauen, so erscheint dem Zuschauer die Behandlung des Instruments geradezu brutal. Der Glöckner tritt und stampft mit den Füssen auf die Pedalen und haut mit den Fäusten auf die hölzernen Stöcke. Doch oh Wunder. Es erklingt eine „süße wohlklingende Melodei“. Und die Menschen unten auf der Straße sind dankbar über die tägliche Musik, ohne die sie sich ihre Stadt nicht mehr vorstellen können. Der Glöckner jedoch ist alleine hoch oben auf seinem Turm. Er hat keinen Kontakt zu den Menschen auf der Straße. Aber die Menschen kennen ihn und wissen, dass er da „oben“ ist und das bei jedem Wetter. 200 manchmal bis über 400 Stufen muss er erklimmen, bevor er an seinem Arbeitsplatz ankommt.
Die Ausbildung eines Glockenspielers erfordert viel Zeit. Ganze 10 Jahre dauert es, bis der Glöckner an seinem Instrument sitzen und in die „Tasten hauen“ darf. Vieles muss er lernen. Die einzige Schule für diesen Beruf befindet sich in Mechelen bei Antwerpen. Es ist die „Königliche Carillonschule“, gegründet 1922. Die Studenten dieser Schule kommen aus ganz Europa, Amerika, Russland und sogar aus Japan. Hat der Student endlich das Diplom in der Tasche, muss der künftige Meister zum Abschluss ein eigenes Musikstück für das Turmglockenspiel komponieren.
Welch ein großes Gefühl muss es für den Glöckner sein, wenn er nach dem langen und schweren Studium die vielen oft bis zu 50 Glocken zum Klingen bringen kann und dann seine eigene Komposition über der Stadt erklingt. Der Glöckner ist nun Herr über das Carillon geworden.
Text: Sibylle Schavoir
Foto: Ulrich M. Alexander
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