Von Michael Stabenow.
Es ist die Zeit der Neujahrsempfänge der belgischen Parteien. Und während die Parteikassen offenbar nach wie vor genug für die Wahrung der Tradition der Neujahresempfänge hergeben, sieht es bei den öffentlichen Finanzen zunehmend mau aus. Seit 13 Monaten verfügt Belgien lediglich über eine geschäftsführende Regierung.
In der Praxis heißt dies, dass der amtierenden Premierministerin Sophie Wilmès und ihrem Parteikollegen, dem ebenfalls den französischsprachigen Liberalen (MR) angehörenden Haushaltsminister David Clarinval, die Hände gebunden sind. Kann die Regierung im klassischen Alltag schnell gegensteuern, sobald die Finanzen aus dem Ruder laufen, so muss sie derzeit tatenlos zusehen, wie die öffentliche Neuverschuldung stetig anwächst.
Ursprünglich hatte die Regierung geplant, die Neuverschuldung auf 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu begrenzen. Aus den, im November der Europäischen Kommission vorgelegten, aktuellen Haushaltszahlen ging jedoch hervor, dass die Neuverschuldung 3,8 Milliarden Euro höher als vorgesehen ausfällt und sie damit in diesem Jahr auf 2,3 Prozent des BIP ansteigen dürfte.
Für die Schieflage sorgen nicht zuletzt die niedriger als erwartetet fließenden Steuereinnahmen. Die belgische Nationalbank (BNB) schätzt das reale Wirtschaftswachstum für 2020 auf 1,2 Prozent des BIP. Damit dürfte die Haushaltslage angespannt bleiben und der Sparzwang in den kommenden Koalitionsverhandlungen, so sie denn irgendwann beginnen sollten, deutlich zunehmen. Eine weitere akute Herausforderung sind die Ausgaben für die soziale Sicherheit, die um 550 Millionen Euro höher zu Buche schlagen, als erwartet.
Es gibt belgische Ökonomen, die zu Gelassenheit raten. So verwies der an der London School of Economics (LSE) lehrende Wirtschaftswissenschaftler Paul De Grauwe gegenüber dem flämischen Rundfunksender VRT unlängst darauf, dass die internationale Konjunkturentwicklung den Spielraum einzelstaatlicher Haushaltspolitik zwar deutlich einschränke. De Grauwe, ein flämischer Liberaler, erinnerte aber auch daran, dass Belgien in den Jahren 2010 und 2011, also zum Höhepunkt der Finanzkrise, 541 Tage lang von einer geschäftsführende Regierung gelenkt wurde und die Folgen der Finanzkrise besser überstand als beispielsweise die benachbarten Niederlande. „Wir hatten damals keine Regierung, die Niederlanden dagegen sehr wohl. Und die wollte zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt sparen: in voller Rezession. Folge war, dass die niederländische Wirtschaft in den Keller rauschte. Sie haben damals enorme Fehler begangen. Daher sehe ich diese geschäftsführende Phase recht gelassen“, erläuterte De Grauwe.
Der Dachverband der belgischen Unternehmen (VBO/FEB) hat dagegen jetzt Alarm geschlagen. Kernherausforderungen in der Haushalts- und Steuerpolitik, bei der Finanzierung von Renten und sozialer Sicherheit sowie den chronisch überlasteten Verkehrswegen, ließen sich nur mit einer handlungsfähigen Regierung anpacken, erklärte Generaldirektor Pieter Timmermans. Sollte die Regierungskoalition für die kommenden Jahre nicht rasch zustande kommen, dann müsse es eine Notlösung („Durchstartregierung“) mit einem kleinen Team sowie einem beschränkten Arbeitsprogramm geben. Belgien könne sich keine „italienischen Zustände“ leisten.
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