Von Michael Stabenow.
In Belgien gehen die Regionen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zunehmend getrennte Wege und machen das Land zu einem Flickenteppich von Regelungen. Die Spitzen der Föderal- und der Regionalregierungen verständigten sich am Freitagabend zwar auf einen „föderalen Sockel“ für die weiter geltenden Schutzvorkehrungen. In der Praxis bedeutet dies jedoch, dass in Flandern vom 1. Oktober an die Nasen- und Mundmaskenpflicht in Geschäften und Gaststätten entfällt. In Wallonien und vor allem in der unter einem erheblichen Rückstand bei der Impfung der Bevölkerungen leidenden Hauptstadtregion Brüssel werden dagegen auch über diesen Termin hinaus Beschränkungen fortbestehen.
Landesweit bleibt es vorerst bei der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Alters- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, aber auch zum Beispiel beim Besuch von Arztpraxen oder Frisier- und Kosmetiksalons. Anfang Oktober dürfen aber Diskotheken und Nachtclubs wieder ihre Pforten öffnen. Besucherinnen und Besucher müssen mit dem sogenannten Covid Safety Ticket (CST) nachweisen, dass sie entweder vollständig geimpft, negativ getestet oder von einer Infektion mit dem Virus genesen sind. Bei Veranstaltungen mit mindestens 500 Teilnehmenden in Innenräumen und 750 Teilnehmenden unter freiem Himmel, herrscht Maskenpflicht für all diejenigen, die nicht über ein CST verfügen.
Premierminister Alexander De Croo rief eindringlich dazu auf, bei den Anstrengungen zur Impfung der Bevölkerung nicht nachzulassen. Belgien weise zwar im internationalen Vergleich eine der höchsten Impfraten auf. Innerhalb des Landes gebe es aber erhebliche Unterschiede. So sind landesweit inzwischen 8,3 Millionen Menschen – 72 Prozent der Gesamtbevölkerung – vollständig geimpft. In Flandern liegt der Anteil bei 78,1 Prozent, in Wallonien bei 66,8 Prozent und im deutschsprachigen Ostbelgien bei 62,4 Prozent – in Brüssel dagegen erst bei 50,6 Prozent.
„Die Epidemie entwickelt sich inzwischen zu einer Epidemie der Nicht-Geimpften“, sagte De Croo unter Hinweis auf die jüngste Entwicklung bei der Zahl der Neuinfektionen – derzeit stabil bei knapp 2000 pro Tag – sowie der Krankenhausaufnahmen – zuletzt täglich rund 60. „Niemand hat das Recht, andere aus freien Stücken in Gefahr zu bringen“, sagte De Croo.
Ähnlich äußerte sich der Brüsseler Ministerpräsident Rudi Vervoort. „Sich die Freiheit zu nehmen, sich nicht impfen zu lassen, bedeutet, andere daran zu hindern, zum normalen Leben zurückzukehren – und keine weiteren Lockerungen“, sagte der sozialistische Politiker. Die Brüsseler Regionalregierung hat beschlossen, von Oktober an insbesondere für den Besuch von Gaststätten, Sport- und Fitnesscentern, Kultureinrichtungen sowie von Veranstaltungen das CST mindestens drei Monate lang für alle über 16-Jährigen zu verlangen.
Während Vertreterinnen und Vertreter des Einzelhandels und der Gaststätten insgesamt positiv auf die am Freitag getroffenen Beschlüsse reagierten, gab es zurückhaltende Äußerungen aus der Wissenschaft. Die Immunologin Sophie Lucas von der Universität Louvain-la-Neuve bedauerte, dass das CST nicht umfassender vorgeschrieben werde. Solange nicht alle Menschen im Land geimpft seien, gebe es keinen vollständigen Schutz gegen das Virus, erläuterte sie im Nachrichtensender LN 24. Der Virologe Marc Van Ranst von der Katholischen Universität Löwen sagte, dass seine Berufszunft die Abschaffung der Maskenpflicht in Gaststätten und Läden lieber „etwas später gesehen“ hätte. „Aber das sind natürlich politische Beschlüsse. Ich denke, dass viele Menschen froh sein werden“, sagte Van Ranst dem Rundfunksender VRT.
Foto: Sandra Parthie
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