König Philippes vielbeachteter Besuch im Kongo
Von Michael Stabenow.
Als das heutige belgische Staatsoberhaupt König Philippe am 15. April 1960 zur Welt kam, war das Land eine Kolonialmacht – gerade einmal noch für sechs Wochen. Am 30. Juni erlangte „Belgisch-Kongo“, zunächst von 1885 bis 1908 unter König Leopold als „Freistaat Kongo“ firmierend, nach 75 Jahren Fremdherrschaft seine Unabhängigkeit. Bei seinem ersten Besuch im zentralafrikanischen Land hat König Philippe, wie bereits vor zwei Jahren, nun sein „tiefstes Bedauern“ über die belgischen Verfehlungen während des Kolonialregimes ausgedrückt. Eine förmliche Entschuldigung blieb indes abermals aus.
Dennoch scheint es, als sei das in den vergangenen Jahrzehnten oft durch gegenseitiges Misstrauen und Spannungen gekennzeichnete Verhältnis zwischen Brüssel und Kinshasa in eine neue Phase getreten.
Obwohl es auch in Belgien Zweifel an der demokratischen Legitimation des seit 2019 amtierenden Staatspräsidenten Félix Tshisekedi gibt, kann er, zumal er sich wiederholt versöhnlich gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht geäußert hat, in Brüssel auf wohlwollende Unterstützung vertrauen.
So erklärte Premierminister Alexander De Croo, der König Philippe und Königin Mathilde auf der Reise in den Kongo begleitete, dass Tshisekedi „eine politische Stabilität gibt, die genutzt werden muss“ – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Joseph Kabila, der sich lange Zeit von der Welt abgekehrt habe. De Croo erwähnte als Herausforderungen den Kampf gegen die Korruption und die Reform der Justiz. „Überdies dient der königliche Besuch dazu, die Bevölkerung zu unterstützen, nicht den Präsidenten“, sagte der Premierminister in der kongolesischen Hauptstadt.
Vor zwei Jahren hatte das belgische Staatsoberhaupt auf eigene Initiative in einem – zuvor von der damaligen Premierministerin Sophie Wilmès gutgeheißenen – Brief an Tshisekedi sein „tiefstes Bedauern“ über die Verfehlungen der belgischen Kolonialherrschaft ausgedrückt. Diese Formulierung wiederholte König Philippe jetzt in seiner Rede in der kongolesischen Hauptstadt. Dennoch ging er in Kinshasa weiter als in seinem damaligen Schreiben. 2020 schien sein Brief nicht zuletzt in einen aktuellen Zusammenhang mit der nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis weltweiten Empörung über rassistische Übergriffe zu stehen.
In seiner – gemäß den belgischen Gepflogenheiten von Regierungschef De Croo vorab gebilligten – Rede vor den Toren des kongolesischen Parlaments ging König Philippe, anders als seine Amtsvorgänger Albert II. und Baudouin, hart mit dem belgischen Kolonialregime ins Gericht. „Obwohl seinerzeit viele Belgier im Kongo das Beste gegeben haben und aufrichtig Land und Einwohner mochten, war das Kolonialregime selbst auf Ausbeutung und Beherrschung gegründet“, sagte der König.
Wie schon 2020 ist auch jetzt wieder eine Debatte über mögliche Reparationszahlungen Belgiens an den Kongo entbrannt. Hintergrund ist, dass eine förmliche „Entschuldigung“ der einstigen Kolonialmacht entsprechende Reparationen nach sich ziehen könnte. Im Mai 2021 hatte zum Beispiel die deutsche Regierung ein Abkommen mit Namibia geschlossen, das als Wiedergutmachung für Verbrechen während der deutschen Kolonialzeit Aufbauhilfen im Umfang von 1,1 Milliarden Euro für das südwestafrikanische Land vorsieht.
Auffallend war, dass Tshisekedi beim Besuch des belgischen Staatsoberhaupts nicht nur mit Blick auf die andauernde Instabilität im Osten des Landes die militärische Zusammenarbeit mit Brüssel in den Vordergrund stellte. Die Frage nach einer förmlichen Entschuldigung durch Belgien beantwortete der Präsident laut belgischen Medien so: „Es liegt an Belgien, die Frage zu beantworten, nicht an mir.“ Es gelte jetzt, den Blick nach vorne zu richten.
De Croo hatte schon 2020 Reparationszahlungen abgelehnt. „Meine Erfahrung ist, dass man ein Land nicht mit einem Sack Geld aus der Armut holen kann. Man muss dafür sorgen, dass Staaten starke Institutionen haben, die Korruption ausmerzen“, hatte der Regierungschef damals erklärt. In diesem Sinne äußerte er sich auch jetzt in Kinshasa.
Dennoch dürfte die Debatte über „tiefstes Bedauern“ und „Entschuldigung“ gegenüber der Republik Kongo weiter andauern. Der an der Universität Gent lehrende und für das Königlichen Museum Zentralafrikas in Tervuren bei Brüssel tätige Historiker Mathieu Zana Etambala nannte gegenüber dem Rundfunksender RTBF zwei Gründe. Einerseits verwies er auf den noch ausstehenden Bericht des vom flämischen Grünen Wouter De Vriendt geleiteten belgischen parlamentarischen Sonderausschusses zur Kolonialgeschichte des Landes. „Wenn die Parlamentarier dieses Ausschusses es wünschen, könnten sie es den Parteien und der königlichen Institution auferlegen, anlässlich einer nächsten Reise Entschuldigungen auszusprechen“, erklärte Zana Etambala, der 1962 im Alter von sieben Jahren aus seiner kongolesischen Heimat nach Belgien gekommen ist.
Zum anderen verwies der Historiker darauf, dass Tshisekedi nicht demokratisch gewählt, sondern durch seinen Vorgänger Kabila als Präsident durchgesetzt worden sei. Die nächsten Wahlen sollten Ende 2023 stattfinden. Sollte der Nachfolger demokratisch gewählt werden, könne der Zeitpunkt gekommen sein, gegenüber dem neuen Staatoberhaupt eine förmliche Entschuldigung auszusprechen, meinte Zana Etambala.
Titelbild und Fotos zeigen die Plastik Au-delà de l’Espoir des kongolesischen Künstlers Freddy Tsimba (Kongo, 2007). Sie steht im Viertel Matongé in der Brüsseler Gemeinde Ixelles/Elsene an der Ecke Chaussee de Wavre / Rue E. Solvay. Während des Besuches des belgischen Königspaars in der Republik Kongo hing eine kongolesische Flagge an dem Denkmal, das an die Gräueltaten während der Kolonialzeit erinnern. Von 1878 bis 1908 gehörte das Gebiet der heutigen Republik Kongo dem belgischen König Leopold II. Von 1908 bis 1960 war es eine Kolonie des belgischen Staates. Foto: Jürgen Klute (CC BY-NC-SA 4.0)
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