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Bald Schluss mit dem Leben wie Gott in Belgien?

© Belgische Nationalbank

Belgier sind so reich wie nie zuvor. Geht es den wohlhabenden Schichten mit der neuen Arizona-Koalition nun bald an den Kragen?

Von Thomas A. Friedrich 

Die vom neuen Premierminister Bart De Wever (N-VA) geschmiedete Fünffarben-Koalition könnte dem sorgenfreien Leben der im Überfluss lebenden und gut betuchten Schicht des Landes bald ein paar Einschränkungen bescheren. Denn mit der angekündigten Steuerreform, der Einführung einer Kapitalertrags-  sowie einer Bankensteuer geht es den Wohlhabenden im Land künftig stärker ans Portemonnaie. Die sogenannte Arizona-Koalition kann sich nun nach dem in der Nacht zum Freitag mit 81 gegen 66 Stimmen im Parlament ausgesprochenen Vertrauen  an die Verwirklichung ihres Programms machen.

Leben wie Gott in Frankreich“ – das könnte entsprechend der historischen Definition des Nachbarlandes aus der höfischen Ständegesellschaft des Mittelalters auch im zeitgenössischen Belgien bald der Vergangenheit angehören.

Die Vorsitzenden der fünf Parteien der neuen Koalition (N-VA, CD&V, Vooruit sowie – auf französischsprachiger Seite – MR und Les Engagés) haben sich darauf geeinigt, eine Kapitalertragssteuer von 10 Prozent einzuführen. Diese auch als „Solidaritätsbeitrag“ apostrophierte Sondersteuer auf Aktiengewinne hatte sich während der nahezu achtmonatigen zähen Regierungsbildung zum schwierigsten Zankapfel unter den Parteien entwickelt und immer wieder zum Scheitern der Verhandlungen geführt.

Belgier sind so reich wie nie zuvor. 

Die Belgier sind insgesamt so reich wie nie zuvor. Das geht aus einer Übersicht der Belgischen Nationalbank (BNB) vom 15.Januar hervor. Demnach betrug das private Vermögen des Landes mit Stichtag Ende September des vorigen Jahres 1.252 Milliarden Euro. Dieses Vermögen setzt sich zusammen aus Sparkonten, Aktien, Anleihen und ähnlichen Aktiva abzüglich laufender Verbindlichkeiten.

Die Gesamt-Aktiva der in Belgien lebenden Menschen lagen erstmals bei mehr als 1.608 Milliarden Euro, das waren vier Prozent mehr als im Vorjahr 2023. Ein Teil davon beruht auf der im Herbst 2023 mit einer Laufzeit von einem Jahr ausgegebenen bundesstaatlichen belgischen Anleihe (Staatsbon), mit einer, wie die BNB ausweist, Rückzahlungssumme von 22 Milliarden Euro.

 Steuern auf Kapitalerträge und Firmenbeteiligungen

Die Arizona-Regierung hat in ihrem rund 200 Seiten umfassenden Koalitionsfahrplan jedoch angekündigt, Kleinanleger schonen zu wollen. Kapitalgewinne bis zu 10.000 Euro aus Börsenaktien pro Jahr sollen in der Steuererklärung freigestellt und nicht veranlagt werden.

Des Weiteren soll auch ein Stufensystem zur Abschöpfung von Beteiligungsgewinnen an Firmenbeteiligungen ab einer Eintrittsschwelle von 10 Prozent eingeführt werden. Hierfür wird ein Freibetrag von 1 Million Euro genannt. Bei einem Gewinn von 1 bis 2,5 Millionen Euro beträgt der Steuersatz 1,25 %, bei 2,5 bis 5 Millionen Euro 2,5 %, bei 5 bis 10 Millionen Euro 5 % und bei über 10 Millionen Euro 10 % bei Firmenbeteiligungen.

Erstmals in Belgien sollen auch Tech-Riesen wie die großen Internetunternehmen Google oder Meta steuerlich stärker zur Kasse gebeten werden. Belgien wurde bereits vor Jahren von der Europäischen Kommission aufgefordert, dem weitgehenden belgischen Steuerdumping gegenüber internationalen Konzernen – wie etwa gegenüber der in Irland ansässigen Airline Ryanair – ein Ende zu bereiten.

Belgien sieht sich mit einem Grand Canyon der staatlichen Verschuldung konfrontiert

Der Föderalstaat Belgien muss sich seit vielen Jahren von der Brüsseler Behörde vorhalten lassen, nicht energisch genug gegen die überbordende Staatsverschuldung vorzugehen und die Maastricht-Kriterien des EU-Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu verletzen. Grund genug für die Arizona-Koalitionäre, nunmehr die Notbremse zu ziehen.

So liest sich der Befund im Koalitionsdrehbuch ungeschminkt: Ohne Einsparungen und Sozialreformen hätte Belgien bis 2038 „den schlimmsten Haushalt aller Industrieländer“, heißt es in der Erklärung zur Regierungsbildung – mit einem Haushaltsdefizit, gemessen an der Jahreswirtschaftsleistung, von 7,2 Prozent und einer Schuldenquote von 130 Prozent. Das klaffende Haushaltsloch zu nivellieren, hat sich die Arizona-Koalition unter den fünf Flaggenfarben des nordamerikanischen Bundesstaates Arizona, der auch „Grand Canyon State“ heißt, auf die Fahnen der künftigen Regierungsarbeit geschrieben.

Nun haben die Arizona-Koalitionäre als vorrangiges Ziel proklamiert, die öffentliche Neuverschuldung bis 2030 auf drei Prozent der Wirtschaftskraft zu senken. Dabei sollen – neben Einsparungen im Sozialbereich – die starken Schultern des rund 11,8 Millionen Einwohner zählenden Königreichs zwischen der Nordsee und den südlichen Ausläufern der Ardennen kräftiger zur Kasse gebeten werden. Und das nicht ohne Grund.

 Belgische Bürger gehören zu den reichsten EU-Bürgern in der Eurozone

Der jüngste Bericht der Belgischen Nationalbank wirft ein Schlaglicht auf die Vermögensverhältnisse von Belgierinnen und Belgiern sowie ihr Portfolio und Anlegerverhalten im abgelaufenen Jahr 2024. Börsengeschäfte, Kapitalbeteiligungen, Sparguthaben und der Immobilienbesitz machen die Belgier neben den Luxemburgern und Spaniern zu den reichsten EU-Bürgern. Dies ist nicht zuletzt auch durch moderate Steuersätze für Spitzenverdiener sowie steuerliche Privilegien wie beispielsweise das EU-weit einmalige steuerbegünstigte Dienstwagenaufkommen rund um die Hauptstadt Brüssel zu erklären.  

Mit einem durchschnittlichen Vermögen von 555.000 Euro zählen die belgischen Haushalte zu den reichsten in den Eurozone-Ländern. Dies geht aus den Mitte Januar 2024 veröffentlichten Statistiken der Nationalbank hervor.

Das durchschnittliche Gesamtvermögen ist fast neunmal so hoch wie das durchschnittliche Jahreseinkommen. Immobilien machen demnach mehr als die Hälfte (59 Prozent) des Vermögens der belgischen Haushalte aus. Nur Luxemburg und Spanien schneiden vergleichsweise geringfügig noch besser ab als Belgien.

SZ: Hoher Lebensstandard in Belgien „ist erkauft durch eine immense Staatsverschuldung”

In ihrer Studie untersuchte die Nationalbank das Nettovermögen der Haushalte. Dazu gehören alle finanziellen Vermögenswerte sowie Immobilien und Fahrzeuge. Die BNB-Berechnungen ziehen bestehende Schulden oder beispielsweise noch zu tilgende Hypothekenkredite vom tatsächlichen Nettovermögen eines Haushaltes in Betracht.

Diese Netto-Vermögenssumme setzt sich aus allen finanziellen Aktiva zusammen: Bargeld, Konten, Sparkonten und Sparbücher, Aktien, Versicherungsprodukte (z.B. Rentenzusatzversicherungen) oder Fonds abzüglich finanzielle Verpflichtungen, wie laufende Kredite. Der vergleichsweise hohe Lebensstandard in Belgien „ist erkauft durch eine immense Staatsverschuldung“, befand unlängst ein Brüsseler EU-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung (SZ)

Der finanzielle Aufschwung der belgischen Haushalte hielt auch im Jahre 2024 an. So stieg das finanzielle Vermögen der privaten Haushalte in Belgien im zweiten Quartal 2024 erneut an und zwar um insgesamt 7,9 Milliarden Euro, wie aus den aktuellen BNB-Zahlen hervorgeht. Das bedeutet, dass der ermittelte Gesamtwert der privaten Vermögen bei 1.230 Milliarden Euro liegt.

Milliarden-Privatvermögen stehen vulnerable Gruppen wie Alleinerziehende gegenüber

Obwohl die belgischen Haushalte im Durchschnitt sehr viel reicher sind als die Haushalte in anderen Euro-Ländern, weist die BNB ebenso auf vulnerable Gruppen in der belgischen Gesellschaft hin, die erheblich weniger wohlhabend sind als im Vergleich zu anderen Euro-Ländern. 

Die Nationalbank listet im Einzelnen auf: „Dazu zählen Frauen, junge Menschen, Menschen mit niedrigem Ausbildungsniveau, Niedrigqualifizierte, Alleinerziehende, Niedrigverdiener sowie Menschen, die kein Eigenheim besitzen.“ Sie verfügen laut BNB-Angaben über ein Vermögen, das „klar unter dem nationalen Mittel“ liegt.

Nach Feststellung der Nationalbank befinden sich in Belgien vor allem Alleinerziehende, insbesondere alleinerziehende Mütter, „häufig in einer sehr prekären finanziellen Situation.“ Ein bescheidenes Haushaltseinkommen bedeute, dass sie wenig oder gar keine Möglichkeiten hätten, zu investieren. Immobilienbesitz trage zur Vermögensungleichheit in hohem Maße bei. “Der Besitz eines Eigenheims verkleinert deutlich die Vermögensungleichheit “, stellt die BNB fest.

Veröffentlichung der Nationalbank: https://www.nbb.be/doc/dq/e/dq3/cef.pdf

 

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