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Belgiens mehrdeutige Sprachregelung zum Gaza-Konflikt 

Von Michael Stabenow

Wie hält es Belgien mit der Anerkennung des palästinensischen Staats? In der vergangenen Woche, an der Seite von Bundeskanzler Friedrich Merz in Berlin, hatte Premierminister Bart De Wever – auf Deutsch – erklärt, eine rasche Anerkennung könne sich als „sinnlos und sogar kontraproduktiv“ erweisen. Nun scheinen die Dinge innerhalb der belgischen Arizona-Regierung zumindest in Bewegung geraten zu sein. Die Spitzen der fünf Koalitionspartner verständigten sich auf eine gemeinsame Sprachregelung, die allerdings, wie könnte es in Belgien anders sein, unterschiedlich ausgelegt wird.

Zuletzt hatte sich die Auseinandersetzung über den geeigneten Umgang mit den Greueltaten im Gaza-Streifen immer weiter hochgeschaukelt. Während De Wevers flämische Nationalisten (N-VA) und der Parteichef der französischsprachigen Liberalen (MR), Georges-Louis Bouchez, eine deutliche Verschärfung des Kurses gegenüber Israel ablehnten, drangen die Spitzen der drei übrigen Koalitionspartner, die flämischen Sozialisten (Vooruit), Christdemokraten (CD&V) sowie die zentristische Partei “Les Engagés“ auf konkrete Schritte zur baldigen Anerkennung Palästinas. Begleitet wurde dies durch Drohungen, die Arbeit der Koalition zu blockieren.

In einer nächtlichen Sitzung verständigten sich jetzt De Wever und die fünf stellvertretenden Regierungschefs auf eine Kompromisslinie. Demnach soll Belgien sich am Rande der kommenden Vollversammlung der Vereinten Nationen der nicht zuletzt auf Betreiben Frankreichs, Großbritanniens und Saudi-Arabiens in Aussicht gestellten sogenannten New Yorker Erklärung anschließen. Sie soll ein wichtiger Baustein für die angestrebte Zweistaatenlösung sein, welche auch gegenüber der Erklärung zurückhaltende Regierungen wie die Deutschlands befürworten.

Das Bekenntnis zur New Yorker Erklärung kann als Erfolg für die gegenüber der israelischen Regierung besonders kritischen Parteien Vooruit, CD&V und Les Engagés gelten. Allerdings gelang es De Wever und dem stellvertretenden MR-Regierungschef Daniel Clarinval derzeit kaum, erfüllbare Bedingungen für die Anerkennung Palästinas festzuschreiben. Neben der Freilassung der wohl noch 20 im Gaza-Streifen lebend festgehaltenen israelischen Geiseln und der militärischen Entmachtung der Hamas gehört dazu auch die Forderung nach Wahlen in den palästinensischen Gebieten.

Eine deutliche Verschärfung bedeuten auch die von Belgien beschlossenen Einreiseverbote für zwei israelische Regierungsmitglieder, Sanktionen gegen gewalttätige israelische Siedler im Westjordanland sowie eine Überarbeitung – im Klartext: Beschränkung – des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel. So will die belgische Regierung die Einfuhr von Produkten untersagen, die in den von Israel besetzten Gebieten hergestellt werden.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte mit scharfen Worten auf die jüngsten belgischen Beschlüsse. In einer am Mittwoch verbreiteten Erklärung warf er De Wever vor, eine schwache Persönlichkeit zu sein, die den islamistischen Terror herunterspiele und dabei Israel opfere. „Er möchte das terroristische Krokodil füttern, ehe es Belgien verschlingt“, heißt es in der Erklärung.

In einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des belgischen Parlaments rechtfertigte Außenminister Maxime Prévot (Les Engagés) den Regierungskompromiss. Belgien gehöre jetzt bei den Bemühungen zur Anerkennung eines Palästinenserstaats zur „Spitzengruppe“ in Europa. Anders äußerte sich MR-Parteichef Bouchez zur belgischen Sprachregelung. Im Kurznachrichtendienst X schrieb er: „Die Stimme der Vernunft ist gehört worden. Palästina wird rechtlich erst durch Belgien anerkannt, wenn die Geiseln befreit sind und Hamas vollkommen entmachtet ist. Eine Terrorismusprämie wäre weder annehmbar noch vernünftig gewesen“.

Auch wenn es auch künftig innerhalb der Arizona-Koalition unterschiedliche Sichtweisen zum Umgang mit dem Gaza-Konflikt geben dürfte, können und müssen sich die fünf Partner jetzt stärker der entscheidenden innenpolitischen Herausforderung zuwenden. Mit den Beschlüssen der vergangenen Monate, nicht zuletzt zur Rentenreform und zur zeitlichen Befristung des Arbeitslosengeldes, schickt sich die Arizona-Regierung zwar an, Kernbestandteile ihres Koalitionsvertrags zu verwirklichen. Das Ziel, die öffentliche Neuverschuldung im Jahr 2029 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu begrenzen, scheint jedoch weiter nur schwer erreichbar zu sein. So besagt eine im Juli von einer Gruppe von Beamten vorgelegte Analyse, dass die Neuverschuldung dann – ohne Gegensteuern der Regierung – auf 5,2 Prozent des BIP anzusteigen drohe.

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